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Seehofer: Kinderarmut Ärgernis Nummer eins

Vor dem Hintergrund der geplanten Verschiebung der Kindergelderhöhung hat sich Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) für ein Zwei-Stufen-Modell ausgesprochen. Mit Blick auf die angespannte Haushaltssituation plädierte er dafür, zunächst die Kinderzuschläge für einkommensschwache Familien anzuheben. Am Wochenende war bekannt geworden, dass Union und SPD sich darauf verständigt haben, den Existenzminimumsbericht nun doch nicht um einige Monate vorzuziehen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Der scheidende Arbeitsminister Franz Müntefering hat gegenüber dem Magazin "Der Spiegel" am Wochenende noch einmal kräftig zugelangt. Dass die Bundeskanzlerin das Scheitern beim Postmindestlohn nicht aufgehalten, sondern mitgemacht habe, sei ein Fehler gewesen - so Müntefering. Der SPD-Politiker zog die Verlässlichkeit von Angela Merkel in Frage. "Es sei keine gute Form der Zusammenarbeit, wenn man sich im Kabinett gemeinsam zu Beschlüssen durchringe und sie anschließend sehenden Auges nach massivem Lobby-Einfluss torpediere." Am Telefon ist nun ein Kabinettsmitglied: der Verbraucherschutzminister Horst Seehofer. Guten Morgen!

    Horst Seehofer: Guten Morgen!

    Engels: Starker Tobak von Franz Müntefering oder?

    Seehofer: Die Sozialdemokraten pflegen ja diesen Stil jetzt schon seit Wochen, im Grunde seit ihrem Parteitag in Hamburg. Und ich muss sagen ich kann das überhaupt nicht verstehen. Es ist sehr überflüssig, denn im Kabinett selbst, in der Regierung selbst läuft die Zusammenarbeit eigentlich reibungslos und ganz gut.

    Engels: Kann man in einem solchen Klima der Vorwürfe weiterhin am Kabinettstisch zusammensitzen?

    Seehofer: Ja, ich denke schon. Man muss das richtig einordnen. Da ist viel Nervosität bei den Sozialdemokraten. Wir stehen ja vor drei wichtigen Landtagswahlen. Die Umfrageergebnisse sind nicht sehr rosig und da muss man manches einfach mit Nachsicht behandeln. Aber man muss auch umgekehrt sagen: Endlos kann dies nicht so weitergehen und eigentlich müssten Führungskräfte diese Dinge beenden, denn wir haben noch unheimlich viel zu tun für unser Land und ich glaube die Menschen wollen in allererster Linie, dass wir uns auf unsere Arbeit konzentrieren.

    Engels: Franz Müntefering macht für die Konflikte der letzten Zeit und auch Frau Merkels begrenzte Handlungsfähigkeit indirekt auch die CSU verantwortlich. Das Zitat: "Als Kanzlerin ist sie von der Union akzeptiert, aber als Parteivorsitzende nur von der CDU." Verhindern Sie von der CSU Kompromisse?

    Seehofer: Das ist auch so eine völlig unbegründete Aussage. Ich bin ja in der Spitze der CSU mit dabei. Wir bereiten ja diese Koalitionsrunden sehr sorgfältig vor. Bei uns gibt es niemand, der nicht dafür wäre, dass man für vernünftige Arbeit auch vernünftigen Lohn bekommt. Aber die Bedingungen müssen dafür erfüllt sein und das wäre ja die Aufgabe auch von Herrn Müntefering gewesen, diese Darlegung zu führen, denn man kann ja nicht Mindestlöhne in einer Weise festlegen, dass Wettbewerber auf dem Markt ausgeschaltet werden.

    Engels: Vernünftiger Lohn für vernünftige Arbeit. Wie steht es denn im Beispiel beim Zankapfel Mindestlöhne im Postgewerbe? Ihr bayerischer Ministerpräsident Günther Beckstein hat sich im Deutschlandfunk gesprächsbereit gezeigt, einen Kompromiss bis Weihnachten zu schaffen. Mit welchem Inhalt?

    Seehofer: Schon alleine aus diesem Angebot von Günther Beckstein sehen Sie ja, dass der Vorwurf, die CSU würde das verhindern oder behindern, einfach unzutreffend ist. Wir wollen auch Mindestlöhne.

    Engels: Aber zu welchen Bedingungen?

    Seehofer: Die Koalition hat vereinbart, dass eine Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrages nur dann in Frage kommt, wenn dieser Tarifvertrag mehr als 50 Prozent der Arbeitnehmer bei den Briefzustellern umfasst. Darum geht die Diskussion und ich finde das kann man vernünftig ausdiskutieren, ohne dass man solche persönlichen Vorwürfe der Führungslosigkeit und Ähnliches erhebt.

    Engels: Aber genau da hat ja das Gespräch bereits gehakt. Da hat man schon einmal sechs Stunden im Koalitionsausschuss gesprochen und kam nicht zusammen. Was geben Sie der SPD, damit das Klima wieder besser wird?

    Seehofer: Diese Bereitschaft, darüber zu reden, die Bereitschaft, Mindestlöhne festzulegen, wenn die Rahmenbedingungen dafür stimmen. Die Dinge selbst muss man untereinander miteinander besprechen. Sie sehen ja gerade bei der Bahn, wie schädlich manches ist, wenn die Dinge über die Öffentlichkeit ausgetragen werden. Und ich möchte, dass wir dort auch als Politiker gerade als Koalition mit gutem Beispiel vorangehen, nicht jedes Wochenende Verhandlungen über den Mindestlohn öffentlich führen, sondern dort wo sie hingehören. Die Aussage von Günther Beckstein kann ich nur voll unterstreichen. Wir sind weiterhin jederzeit gesprächsbereit.

    Engels: Können sich das die Bayern und die CSU überhaupt leisten, denn schließlich stecken sie tatsächlich schon im Wahlkampf? In den Landtagswahlen in Bayern wollen sie wieder gewinnen. Was sagen sie da, wenn Frank-Walter Steinmeier von der SPD heute in der "Bildzeitung" vor einem Dauerwahlkampf warnt? Sie können sich das doch gar nicht erlauben.

    Seehofer: Wissen Sie das ist jetzt das schöne Beispiel. Der eine führende SPD-Mann erklärt große Kritik an der Koalition und an der Führung der Koalition. Der zweite führende SPD-Mann, der künftige Vizekanzler, erklärt, man sollte nicht Dauerwahlkampf führen. Genau diese Einlassungen der SPD aus den letzten Tagen sind so etwas wie Wahlkampf und ich glaube man könnte am besten damit beginnen, wenn der Herr Steinmeier seine Leute bewegt, jetzt diese Serenade von Interviews gegen die Koalition zu beenden.

    Engels: Bleiben wir bei einem weiteren möglichen Wahlkampfthema, das gerade für die CSU sehr wichtig ist: Stichwort Familienpolitik. Am Wochenende wurde bekannt, dass offenbar der Koalitionsausschuss doch beschlossen hat, die einmal geplante Kindergelderhöhung doch nicht von 2010 auf 2009 vorzuziehen. Bleibt es dabei?

    Seehofer: Ich muss Ihnen sagen, ich habe das auch jetzt erfahren, dass das so beschlossen worden ist. Die Grundlage ist eigentlich relativ eindeutig. Man muss immer dann das Kindergeld erhöhen, wenn das steuerfreie Existenzminimum für die Kinder nicht mehr gewährleistet ist. Das ist im Grunde eine Rechenaufgabe. Stellt der Staat das Existenzminimum der Kinder steuerfrei und wenn das nicht mehr gegeben ist, muss er es tun und den Leuten, die von dieser Steuerfreiheit nicht voll profitieren oder überhaupt nicht profitieren, weil sie keine Steuern bezahlen, das Kindergeld entsprechend erhöhen. Das ist die Grundlage und ich denke, dass man dies auch richtig geprüft hat. Ich halte im Übrigen auch sehr viel davon, jetzt zu allererst einmal die Familien zu unterstützen, die besondere Schwierigkeit haben: zum Beispiel Menschen, die wegen der Arbeitslosigkeit in das ALG II fallen, also in Hartz IV. Da wollen wir ja den Kinderzuschlag so verändern, dass niemand wegen eines Kindes praktisch hilfebedürftig wird. Das halte ich für in Ordnung und im Moment habe ich da keine Kritik anzubringen.

    Engels: Das heißt die Erhöhung erst 2010 geht in Ordnung? Das sieht Ihre Parteifreundin, die bayerische CSU-Familienministerin Christa Stewens anders. Sie will die Erhöhung ab 2009. Wollen Sie dafür noch einmal kämpfen?

    Seehofer: Wissen Sie wir haben ja zwei Ziele. Das eine Ziel ist, dass wir unseren Haushalt möglichst in absehbarer Zeit schuldenfrei stellen und sanieren, und auf der anderen Seite, dass wir das soziale Ärgernis Nummer eins unserer Tage, nämlich über zwei Millionen Kinder in Armut, beenden. Wenn man die beiden Ziele parallel verfolgt, dann muss man schauen: Wie können wir bei den Familien zuerst bei denen ansetzen, die besondere Probleme haben, das heißt bei den besonders Einkommensschwachen. Deshalb kann ich mir durchaus vorstellen, dass man, wenn man jetzt nicht ausreichend Geld für alle hat, zuerst einmal bei denen beginnt, die vom Einkommen her besonders bedürftig sind.

    Engels: Aber hat man denn wirklich nicht genug Geld für alles? Alle Seiten und auch gerade die CSU schreibt sich doch auf die Fahnen, gerade die Familienförderung voranzubringen. Geht nicht beides?

    Seehofer: Ich sage doch, dass ich genauso für die Familienförderung bin. Ich denke, dass man im Bundesfinanzministerium ausreichend geprüft hat, ob das mit 2010 verfassungsrechtlich in Ordnung geht. Wenn dies der Fall ist, dann bin ich dafür, dass wir die knappen Gelder des Bundeshaushaltes zuerst für die Familien einsetzen, die besondere Probleme haben. Das macht man ja in der Politik oft, wenn es insgesamt nicht ausreicht mit den Finanzen, dass man bei den besonders Bedürftigen beginnt.

    Engels: Da wäre doch eine Möglichkeit vielleicht auch ...

    Seehofer: Zum Beispiel muss ich Ihnen sagen: Man muss jetzt beim Kindergeld nicht bei mir beginnen, sondern bei denen, die weniger verdienen.

    Engels: Aber nehmen wir zum Beispiel einen anderen Vorschlag, den die CSU will. Sie will ja das extra Betreuungsgeld, das den Elternteilen von Kleinkindern gezahlt werden soll, die zu Hause bleiben. Verzichten Sie doch darauf und erhöhen Sie das Kindergeld!

    Seehofer: Das Betreuungsgeld wäre ja ohnehin und ist ohnehin erst ab dem Jahre 2013 vorgesehen. Also das steht jetzt nicht in Konkurrenz zur Erhöhung des Kindergeldes ab 2009 oder 2010. Wenn es finanziell möglich ist bin ich der erste, der für ein generelles höheres Kindergeld eintritt. Wenn es finanziell nicht möglich ist, kann man durchaus in zwei Stufen vorgehen: Zuerst und zwar möglichst schnell die Kinderzuschläge zu erhöhen für jene, die es brauchen, dringend brauchen, und dann ein Jahr oder zwei Jahre später das Kindergeld.

    Engels: Horst Seehofer, der Verbraucherschutzminister und stellvertretende Vorsitzende der CSU. Ich bedanke mich für das Gespräch.