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Seenotrettung vor 40 Jahren
Die "Missione Vietnam" der italienischen Marine

Vor 40 Jahren schickte Italien Kriegsschiffe nach Südostasien, um vietnamesische Boatpeople zu retten. Die Vietnam-Mission war einzigartig. Italien war das einzige Land, das den sogenannten Boatpeople zu Hilfe eilte.

Von Tilmann Kleinjung | 29.10.2019
163 boatpeople, darunter 72 Kinder, bei ihrer Ankunft auf dem Flughafen in Hannover am 03.12.1978. Auf Initiative des niedersächsischen Ministerpräsidenten Albrecht wurden die Vietnam-Flüchtlinge von dem völlig überfüllten Schiff "Hai Hong" nach Hannover geflogen.
Auch Deutschland nahm vor 40 Jahren "Boatpeople" auf. Italien setzte die eigene Marine zur Rettung ein (dpa / Werner Schilling)
Die Geschichte klingt vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion um Seenotrettung und geschlossene Häfen wie ein Märchen: Es war einmal ein italienischer Staatspräsident, dem das Schicksal der vietnamesischen Bootsflüchtlinge so naheging, dass er die italienische Marine losschickte, um sie zu retten.
Was Rupert Neudeck mit der Cap Anamur als private Seenotrettung unternommen hat, war damals in Italien staatliche Aufgabe. Staatspräsident Pertini hatte die Mission persönlich angeregt. Vor 40 Jahren wurden die Kriegsschiffe "Vittorio Veneto", "Andrea Doria" und "Stromboli" innerhalb kürzester Zeit nach Süd-Ostasien verlegt, mit dem Auftrag, vietnamesische Bootsflüchtlinge, die damals ziellos auf dem Meer unterwegs waren, aufzunehmen. Fast 900 Menschen wurden gerettet und nach Italien gebracht. Bei der Einfahrt in den Hafen von Venedig wurden Besatzung und Passagiere begeistert empfangen.
Das ist die Geschichte von Anna Duong. Sie ist Kosmetikerin, 51 Jahre alt und betreibt ein Wellness- und Kosmetikstudio in Ostia bei Rom.
Sie ist stolz, dass sie es so weit gebracht. Eine vielbeschäftigte Geschäftsfrau. Und trotzdem nimmt sich Anna Duong alle Zeit der Welt, ihre Geschichte zu erzählen.
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Anna Duong (Deutschlandradio / Tilman Kleinjung)
"Ich verdanke den Italienern, den Seeleuten mein Leben. Und deshalb erzähle ich jeder Person, die interessiert ist meine Geschichte. Wie großartig Italien damals war."
Staatspräsident Pertini schaltete sich ein
Damals, das war das Jahr 1979. Anna war elf Jahre alt und musste mit ihrer Familie aus Vietnam fliehen. Wie Hunderttausende andere, die von dem kommunistischen Regime des Landes förmlich zur Flucht gezwungen wurden. Aus dieser Zeit kennt die Welt den Begriff "Boatpeople". Denn das war die einzige Chance zu entkommen, auf kleinen Fischerbooten übers Meer. Wer Glück hatte, landete in Thailand, wer Pech hatte in Malaysia. Nach einer Odyssee im südchinesischen Meer fand sich Annas Familie in einem Flüchtlingscamp in Kuala Lumpur wieder. Allerdings nur für ein paar Wochen, dann wurde die Familie gezwungen, wieder in Boote zu steigen, wieder raus aufs Meer.
"Sie haben uns rausgezogen, dann das Tau gekappt und uns der Strömung überlassen."
"Die waren dem Tode geweiht. Und an dieser Stelle muss man an den damaligen Staatspräsidenten Sandro Pertini erinnern. Ein außerordentlicher Mann. Den erschütterte diese gigantische Tragödie, die damals von der halben Welt ignoriert wurde."
Pertini alarmierte Ministerpräsident Giulio Andreotti und der setzte die italienische Marine in Bewegung.
Drei Kriegsschiffe, die "Andrea Doria", die "Vittorio Veneto" und die "Stromboli" verließen im Juli 1979 italienische Häfen Richtung Südostasien.
Die Vietnam-Mission war einzigartig. Der erste humanitäre Einsatz der "Marina Militare" und das einzige Land weltweit, das den Boatpeople zu Hilfe eilte. Auch deshalb wohl war ein Filmteam des Militärs mit an Bord. Und als einziger Fernsehjournalist Luca Ajroldi von der RAI.
Rettungsmission war ein Wettlauf gegen die Zeit
"Sicher gab es diesen Impuls der Mitmenschlichkeit im Angesicht eines notleidenden Volkes. Und dann gab es auch einen gewissen Stolz bei den höheren Dienstgraden, dass man zu etwas in der Lage ist."
Der italienische Politiker Sandro Pertini, Sozialist, Präsident der Republik Italien von 1978 - 1985. Undatierte Aufnahme. |
Italiens damaliger Staatspräsident Sandro Pertini (picture-alliance / dpa / ANSA )
Innerhalb kürzester Zeit werden Schiffe flottgemacht, Mannschaften zusammengestellt, Freiwillige gesucht. Francesco Serri war Arzt in der Toskana und bekam im Sommer 1979 einen Anruf.
"Ein Admiral Pons rief mich an und sagte: Lieber, Serri, sie haben jetzt die einmalige Chance, als Arzt an der Rettungsmission im südchinesischen Meer teilzunehmen. Mich hat das natürlich unvorbereitet getroffen, weil ich eigentlich schon meinen Urlaub geplant hatte."
Doch Serri und viele andere haben ihren Urlaub verschoben, sogar Hochzeiten wurden verlegt. Die Rettungsmission war ein Wettlauf gegen die Zeit. 20 Tage nach dem Auslaufen erreichen die italienischen Schiffe das Einsatzgebiet.