Freitag, 03. Mai 2024

Geschlechtliche Identität
Was regelt das Selbstbestimmungsgesetz?

In Zukunft soll es leichter sein, seinen Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern. Das Kabinett hat das Selbstbestimmungsgesetz auf den Weg gebracht. Bisher war dieser Änderungsprozess für Transmenschen aufwändig und teuer.

23.08.2023
    Eine männlich gelesene Person schwenkt die Transflagge in blau, lila und weiß über dem Kopf.
    Das Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland ist bei den Betroffenen hochwillkommen – und bei anderen umstritten. (IMAGO / Pond5 Images / IMAGO / xnitox)
    Cis, trans, non-binär: Es gibt eine Vielzahl von Geschlechtsidentitäten jenseits der traditionellen männlichen und weiblichen Kategorien. In Deutschland hat jede*r das Recht auf seine und ihre geschlechtliche Selbstbestimmung, so steht es im Grundgesetz.
    Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, sollen es mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz einfacher haben, den Eintrag dazu zu ändern. Mittlerweile gibt es vier mögliche Angaben beim Geschlecht im Personenstandsregister: männlich, weiblich, divers, keine Angabe.

    Inhaltsverzeichnis

    Was wird mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz geregelt?

    Das neue Selbstbestimmungsgesetz ersetzt das umstrittene Transsexuellengesetz in Deutschland. Es ermöglicht transsexuellen, intergeschlechtlichen und nichtbinären Menschen, ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ohne psychologische oder andere Sachverständigengutachten und gerichtliche Entscheidungen zu ändern. Die Änderungen können einfach beim Standesamt beantragt werden. Somit entfallen einige bürokratische Hürden. Anstelle eines Gerichtsverfahrens genügt eine "Erklärung mit Eigenversicherung" beim Standesamt.
    Menschen, die ihren Geschlechtseintrag geändert haben, können sich zudem als "Elternteil" in Geburtsurkunden ihrer Kinder eintragen lassen. Das Gesetz verbietet zudem die Offenlegung früherer Geschlechtseinträge oder Namen gegen den Willen der betroffenen Menschen, um diese vor einem Zwangsouting zu schützen. Wer dagegen verstößt, muss mit einem Bußgeld rechnen.

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    Haben Kinder auch das Recht auf Selbstbestimmung?

    Ja. Aber sie dürfen den Geschlechtseintrag nicht eigenständig ändern: Kinder bis 14 Jahre benötigen die Zustimmung ihrer Sorgeberechtigten, um eine Änderung vorzunehmen. Minderjährige ab 14 Jahren können die Änderungserklärung zwar selbst abgeben, die Zustimmung der Sorgeberechtigten bleibt jedoch erforderlich.
    Die Grafik zeigt ein Balkendiagramm zur Anzahl der geschlechtsangleichenden Operationen in Deutschland nach Altersgruppen
    Transition findet mehrheitlich in den 20ern statt. (Statista)
    Können sich die Eltern nicht einigen, kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils diesem die alleinige Entscheidung übertragen. Maßstab ist das Kindeswohl. Bei Gefährdung des Kindeswohls kann das Familiengericht Schutzmaßnahmen bis hin zum Entzug des Sorgerechts ergreifen - etwa, wenn die Eltern entgegen dem Willen des Kindes dessen Geschlechtseintrag ändern lassen wollen.

    Wie oft darf man in Deutschland sein Geschlecht ändern?

    Dazu gibt es keine Beschränkung im Gesetz. Die Änderung wird allerdings erst nach drei Monaten wirksam, mit einer einjährigen Sperrfrist für eine erneute Änderung.
    Die Grafik zeigt ein Balkendiagramm. Demnach ließen 2021 in Deutschland 598 Menschen eine geschlechtsangleichende Operation an sich vornehmen - das sind rund 21 Prozent mehr als im Vorjahr. Von den Eingriffen entfallen zwei Drittel auf Trans-Frauen.
    Anzahl der geschlechtsangleichenden Operationen in Deutschland (Statista)
    Laut dem Statistischen Bundesamt unterzogen sich im Jahr 2021 in Deutschland etwa 2.600 Personen einer geschlechtsangleichenden Operation. Die größte Anzahl dieser Eingriffe (50,8 Prozent) wurde in der Altersgruppe der 20- bis unter 30-Jährigen durchgeführt. In den vergangenen Jahren ist die Anzahl dieser Eingriffe deutlich gestiegen. Dabei entscheiden sich nicht alle Transmenschen für eine Geschlechtsangleichung. Schätzungen zufolge liegt die Quote unter 50 Prozent. Besonders Transmänner zögern oft aufgrund der Komplexität und der weitreichenden Folgen der Operation.

    Was wird mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz nicht geregelt?

    Das Gesetz enthält keine Bestimmungen in Bezug auf medizinische Maßnahmen zur Angleichung der Geschlechtsmerkmale. Hier gelten weiterhin die einschlägigen medizinischen Regelungen und Leitlinien. 

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    Es regelt zudem nicht den Zugang zu geschützten Räumlichkeiten wie Saunen, Umkleidekabinen, Frauenhäusern und anderen Schutzräumen. Im Vorfeld hatte es Bedenken gegeben, dass man künftig solche Schutzorte insbesondere für Frauen dann künftig auch für Transmenschen öffnen müsse. Das private Hausrecht bleibt aber vom dem Gesetz unberührt. Das heißt: Was derzeit rechtlich zulässig ist, bleibt auch künftig zulässig, und was derzeit rechtlich untersagt ist, bleibt weiterhin untersagt.

    Regelung beim Strafvollzug bleibt Ländersache

    Das Selbstbestimmungsgesetz betrifft auch nicht den Strafvollzug, der weiterhin Sache der Länder bleibt. Bei der Unterbringung von Strafgefangenen geht es um Sicherheit und Rechte aller. Bisher haben die meisten Landes-Strafvollzugsgesetze Regelungen, die bestimmen, dass "Frauen getrennt von Männern untergebracht werden". Einige Bundesländer haben ihre Regeln für transgeschlechtliche Gefangene bereits angepasst.
    Zudem ist im Gesetz keine allgemeine Regelung bezüglich des Verbots des "Misgenderns" (falsche Anrede, die nicht dem Geschlecht entspricht) oder "Deadnamings" (den von Transpersonen abgelegten Namen zu verwenden) enthalten. Auch die Autonomie des Sports bleibt unangetastet: Weiterhin entscheiden Sportvereinigungen und Organisationen, welche Personen für welche Wettkämpfe zugelassen werden.

    Was sagen Betroffenenverbände zum Selbstbestimmungsgesetz?

    Das Vorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland, Mara Geri, äußerte sich zufrieden über die Gesetzesinitiative. Darauf habe man viel Jahre gewartet, sagte Geri der Zeitung "Die Welt". Ausdrücklich begrüße man, dass die Fremdbestimmung in dem Gesetzentwurf wegfalle. An vielen Stellen atme der Referentenentwurf aber noch großes Misstrauen, kritisierte Geri.
    Auch der Bundesverband Trans* sieht im weiteren parlamentarischen Verfahren noch erheblichen Anpassungsbedarf.
    Sven Lehmann, der Queerbeauftragte der Bundesregierung, bezeichnete den Beschluss des Selbstbestimmungsgesetzes als historisch. Er betonte das Recht auf Anerkennung der Persönlichkeit, das bisher trans- und intergeschlechtlichen sowie nicht-binären Menschen verwehrt wurde. Die geplante Abschaffung von Zwangsbegutachtungen und langwieriger und teurer Gerichtsverfahren sei ein großer Fortschritt für diese Menschen.

    Was sah die alte Regelung, also das Transsexuellengesetz, vor?

    Die alte Regelung basierte auf dem Transsexuellengesetz (TSG) von 1981. Dieses verlangte von Betroffenen, die ihren Geschlechtseintrag oder Vornamen ändern wollten, medizinische und rechtliche Schritte. Das Bundesverfassungsgericht hatte Teile dieser Regelung bereits für verfassungswidrig erklärt. Kritikpunkte bezogen sich vor allem auf die als demütigend empfundene "psychiatrische Zwangsbegutachtung".
    Eine ärztliche Diagnose der Geschlechtsidentitätsstörung und geschlechtsangleichende Behandlungen waren erforderlich. Diese Gutachten mussten in der Regel eine dauerhafte Unfruchtbarkeit bescheinigen und waren Voraussetzung für geschlechtsangleichende Operationen.
    Bis 2007 mussten Betroffene sich zudem scheiden lassen, bevor die Geschlechtsanerkennung möglich war. Bis 2011 waren sogar Zwangssterilisationen notwendig, was Betroffene vor die Wahl zwischen eigener Fortpflanzung und rechtlicher Anerkennung stellte. Dies führte zu ethischer Kritik und Menschenrechtsbedenken. Die Sexualwissenschaft kritisierte die psychopathologische Sichtweise auf transgeschlechtliche Menschen, die in dieser Zeit etabliert wurde. Insbesondere die Verbindung zwischen Geschlecht und Fruchtbarkeit wurde hinterfragt.
    Ab 2011 erkannte das Bundesverfassungsgericht, dass Zwangssterilisation und die damit verbundenen Bestimmungen im TSG Menschenrechtsverletzungen darstellten. Dennoch dauerte es noch einige Zeit, bis Reformen in Angriff genommen wurden.

    BMJ, afp, dpa, og, Statista