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Selbstradikalisierung im Netz
Dschihad 2.0

Ob der IS oder Salafisten: Propaganda-Videos aus der islamistischen Szene gibt es im Internet mittlerweile zuhauf. Aber auch Einzelpersonen ohne Verbindung zu bereits bekannten Organisationen radikalisieren sich im Netz. Ermittler nennen das den "individuellen Dschihad".

Von Ina Rottscheidt | 28.01.2015
    Szene eines Videos des Bonner Islamisten Bekkay Harrach, der offenbar in Afghanistan getötet wurde.
    Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass es in Deutschland über 40.000 Islamisten gibt, die sich von solcher Propaganda ansprechen lassen könnten. (picture alliance / dpa / DB IntelCenter)
    Seit den Anschlägen von Paris steht das Telefon im Büro von Aladdin Sarhan nicht mehr still. Der Islamwissenschaftler arbeitet für das Landeskriminalamt in Mainz und ist dort unter anderem dafür zuständig, die Polizei mit Informationen über die dschihadistische Szene im Internet zu versorgen und bei Ermittlungen zu unterstützen. Ministerien, Politiker, Medien: Sie alle wollen von ihm im Moment Einschätzungen und Analysen:
    "Zum Beispiel habe ich hier eine Übersicht gemacht über die dschihadistischen Aktionen im Internet zu den Anschlägen in Paris. Also das reicht von Bekennerschreiben, Video- und Audiobotschaften über Interviews mit Jugendlichen aus Frankreich, die im Dienste des Islamischen Staat kämpfen."
    Wenige Mausklicks später hat Aladdin Sahrhan gefunden, wonach er sucht: Eine Seite, deren Macher sich als Sprachrohr des IS bezeichnen:
    "Da steht hier 'Interviews im Zusammenhang mit den gesegneten Operationen in Frankreich'. Sie nennen auch die Anschläge nicht Anschläge, sondern 'gesegnete Feldzüge'. Das Wort Feldzug ist eine Anspielung auf die Feldzüge des Propheten gegen die Ungläubigen von Mekka."
    Das Video zeigt einen bärtigen jungen Mann, der in einem Armeecape irgendwo im Schneeregen steht. Im Hintergrund fahren Autos vorbei, während er mit einer Kalaschnikow im Arm zum Kampf gegen die Ungläubigen in Europa aufruft:
    "Er hat gesagt: 'Diejenigen Brüder, die in Europa leben und nicht auswandern können: Bleibt da, wo ihr seid, versucht alles zu tun, was ihr könnt: Tötet sie! Schlachtet Sie ab! Verbrennt ihre Autos und ihre Häuser!' Und das gilt für sie auch als Dschihad. Also, man muss nicht den Dschihad betreiben, in dem man auswandert, sondern man kann auch ersatzweise den Dschihad durch militante Aktionen auch im eigenen Land durchführen."
    "Ich achte immer auf die Autos, die im Hintergrund stehen"
    Der Islamwissenschaftler rückt näher an seinen Computerbildschirm heran. Immer wieder stoppt er das Video; wiederholt Sequenzen, sucht Details:
    "Wenn ich mir das anschaue, nicht nur das, was er sagt, sondern: Wer ist diese Person? Die ist mir zum Beispiel in diesem Fall nicht bekannt. Es erweckt für mich den Eindruck, dass er aus Frankreich kommt, er spricht akzentfreies Französisch. Und ich achte immer auf die Autos, die im Hintergrund stehen. Versuche auch, Autokennzeichen zu identifizieren, versuche hier irgendwie, ein Schild zu finden, einen Hinweis auf die Ortschaft zu finden, also es geht nicht nur um die Botschaft von ihm, sondern um den gesamten Kontext."

    Screenshot eines Videos, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
    Screenshot eines Videos, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). (dpa / picture alliance)
    Ob dieser Mann nun ein Einzelner oder Teil eines gefährlichen Netzwerkes ist, vermag Aladdin Sarhan zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu beurteilen. Aber ernst nehme man jeden dieser Aufrufe, sagt er. Und wenn seine Recherchen zu konkreten Ergebnissen führen, wird er seine Kollegen in Frankreich informieren. Die Islamisten des IS sind Profis, wenn es um Eigenwerbung, Rekrutierung und Spendensammeln im Netz geht. Sie nutzen alle Kanäle, die Anzahl der Propagandavideos steigt - vor allem in Deutschland. In seiner letzten Erhebung geht das Bundesamt für Verfassungsschutz davon aus, dass es in Deutschland über 40.000 Islamisten gibt, die sich von dieser Propaganda ansprechen lassen könnten. Überwiegend junge Männer, die in den Medien gerne als gesellschaftliche Verlierer dargestellt werden.
    Marwan Abou-Taam sitzt beim LKA Mainz nur wenige Büros entfernt von Aladdin Sarhan, auch er ist Islamwissenschaftler und beobachtet die islamistischen Aktivitäten im Internet. Er hält diese Erklärung für verkürzt:
    "Ich würde sowieso nicht von Verlierern und Gewinnern in einer Gesellschaft sprechen, sondern von Personen, die Teilhabe an einer Gesellschaft haben oder nicht. Das heißt, die Frage ist: Welche Bedingungen existieren, damit ich mich mit meiner Umgebung solidarisiere? Und wenn ich ausgeschlossen werde aus meiner Umgebung, ist es nicht wahrscheinlich, dass ich mich mit meiner Umgebung solidarisiere. Und genau an dieser Stelle setzt Propaganda an."
    Und das passiere über ganz niederschwellige Angebote, weit weg von martialischen Kämpfervideos. Im Netz sind diese leicht zu finden. Abou-Taam gibt einen Suchbegriff bei Youtube ein, wenige Sekunden später startet das Video:
    "Die Legende erzählt von einem einsamen Kämpfer. Er trinkt Tee wie ein Türke. Er rezitiert wie ein Araber. Er kämpft wie ein Tschetschene. Man nennt ihn: Super-Muslim!"
    Super-Muslim ist eine Comicfigur, die mit weißer Gebetskappe, Sonnenbrille und Vollbart in Kung-Fu-Manier leichtfüßig eine Gruppe Nazis niederstreckt, dargestellt ebenfalls als eierköpfige Comicfiguren, allerdings mit Hakenkreuz auf dem Kopf, damit auch keine Missverständnisse aufkommen:
    "Das, was interessant ist an dieser Episode, ist die Tatsache, dass man hier versucht, ein Problem muslimischer Jugendlicher aufzugreifen, nämlich die Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus. Und die Antwort darauf ist, dass man sich selbst an seiner eigenen Identität orientiert, nämlich an Gott und vor allem an dem Imam, das heißt an dem Glauben. Vor allem hier interpretiert man sich selbst im Kontext der großen islamischen Umma."
    "Die Probleme dieser Jugendlichen sind nicht religiöser Natur"
    Nasheed/ Gesang: "Es ist ein schmaler Grat, und das Tag für Tag Bleib auf deinem Pfad, folge Gottes Planwas auch immer geschah, Gott ist immer daleidet der Bruder, leidet die Umma"
    "Ich würde hier noch nicht von Radikalisierung sprechen, sondern hier geht es darum, dass man Angebote macht, Identitätsangebote. Und das wirkt. Das wirkt deswegen, weil diese Angebote eben Antworten sind auf die konkreten Probleme, in denen sich diese Jugendlichen befinden. Das ist aus meiner Sicht erst einmal unproblematisch, wäre es nicht so, dass man plötzlich diese Probleme in eine religiöse Sphäre überträgt. Denn die Probleme dieser Jugendlichen sind nicht religiöser Natur. Die Antwort wird nur in der Religion gesehen. Die Antwort ist zunächst einmal nicht problematisch auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick ist sie problematisch, weil sie wiederum diesen Dualismus verstetigt. Das heißt, schon den Einstieg erleichtert."
    Rund 30.000 Mal wurde dieses eine Video bislang aufgerufen, das Teil einer Serie ist, angesiedelt irgendwo zwischen Popkultur und Propaganda. Seit Jahren schon beschäftigen sich Wissenschaftler mit der Frage, ob und in welchem Maße das Internet und soziale Netzwerke eine radikalisierende Wirkung haben. Wenn es dafür noch eines Belegs gebraucht hätte, so wurde dieser 2011 erbracht:
    Es ist der Nachmittag des 2. März 2011, als der 21-jährige Arid Uka am Flughafen Frankfurt in einen mit US-Soldaten besetzten Bus steigt, seine Pistole zieht und das Feuer auf die Männer eröffnet:
    Polizisten stehen auf dem Flughafengelände Frankfurt am Main nach dem Angriff auf einen US-Militärbus neben dem Fahrzeug.
    Polizisten stehen auf dem Flughafengelände Frankfurt am Main nach dem Angriff auf einen US-Militärbus neben dem Fahrzeug. (AP)
    "Ein Mann hatte vor dem Terminal 2 mehrere Schüsse auf einen Bus der US-Streitkräfte abgegeben und war geflüchtet. Kurze Zeit später nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter fest. Sein Motiv ist noch unklar."
    An diesem Tag ist der Anschlag eine Randnotiz in den Nachrichten. Doch schon wenig später ergeben die Ermittlungen: Der junge Kosovare hatte sich im Netz radikalisiert. Der damalige hessische Innenminister Boris Rhein erklärt:
    "Konkret ist das beispielsweise geworden über das Profil, was er in einem sogenannten sozialen Netzwerk angelegt hat, das ihn eben als Islamisten ausweist. Und dass er sich in den vergangenen Wochen auch einen islamistischen Kampfnamen zugelegt hat."
    Unter dem Namen "Abu Reyyan" war aus dem bislang unauffälligen Realschüler ein selbst ernannter Dschihadist geworden. Direkten Kontakt zu einer terroristischen Organisation hatte er nach Ergebnissen der Ermittler niemals gehabt, aber auf seinem Rechner fanden sie Hunderte Dateien mit dschihadistischen Inhalten. Roland Desch, Leiter des Verfassungsschutzes in Hessen, berichtet damals:
    "Es ist ein Einzeltäter nach derzeitigem Stand, der sich in den vergangenen Wochen sehr intensiv mit islamistischen Seiten beschäftigt hat."
    Kein Al Kaida also, kein Islamischer Staat im Hintergrund. Was zunächst wie eine Entwarnung klang, bereitet Verfassungsschützern in Wirklichkeit schon länger Kopfzerbrechen: Der "individuelle Dschihad", also Einzeltäter, die ohne Verbindung zu bereits bekannten Strukturen agieren und sich daher vor der Tat praktisch kaum aufspüren lassen.
    "Und das ist das, was wir vom Verfassungsschutz ja schon immer sagen, dass auch Einzelne - ohne, dass sie in ein Netzwerk eingebunden sind - dermaßen radikalisiert werden können, dass sie dann aus dem Nichts heraus einen Anschlag verüben."
    Ein Jahr später wurde Uka vom Oberlandesgericht Frankfurt wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. In den Vernehmungen erklärte er, ein Video, das die Vergewaltigung einer Muslimin durch US-Soldaten zeigte, habe ihn zu der Tat getrieben. Dieses Video stammte von der sogenannten dschihadistischen Union Usbekistan, die die Szene aus einem Kinofilm herauskopiert hatte. Uka hatte die Szene für echt gehalten. Die Tat des damals 21-Jährigen ist der erste nicht verhinderte islamistische Anschlag in Deutschland. Und der bekannteste Fall, der die Wirkung des Internets bei der islamistischen Radikalisierung zeigt. Noch auf dem Weg zum Flughafen soll Uka auf seinem iPod immer wieder Dschihad-Hymnen gehört haben, sogenannte Nasheeds:
    (Beispiel eines Nasheeds) "Mutter bleibe standhaft, dein Sohn ist im Dschihad!"
    "Jeder, der sich zum Dschihad berufen fühlt, findet im Internet leicht, was er sucht: Musik, Propaganda, Märtyrervideos und Anleitungen zum Bombenbauen. Diese Entwicklung begann Ende der 90er-Jahre: Damals verschickte die Terrororganisation Al Kaida ihre Erklärungen noch per Fax oder Videokassetten an den Fernsehsender Al Jazeera. Doch mit der weltweiten Verbreitung des Internets begannen dschihadistische Organisationen, ihre ersten eigenen Seiten zu erstellen. Preiswerte Digitalkameras und einfach zu bedienende Videoschnittprogramme trugen zur Professionalisierung der Inhalte bei."
    Der Einmarsch der USA 2003 in den Irak löste auch bei den Muslimen in Europa große Empörung aus, in der Folge erhielten die radikalen Organisationen einen enormen Zustrom, und sie begannen, ihre Inhalte an das westliche Publikum anzupassen. Das geschah mit dem Aufbau einer eigenen Öffentlichkeitsarbeit wie etwa der Globalen Islamischen Medienfront in Deutschland und Österreich. Inhalte wurden nun zunehmend auch auf Deutsch und Türkisch präsentiert. Der Politologe und Publizist Asiem El Difraoui beobachtet diese Entwicklungen seit Jahren:
    "Was danach passiert durch die sozialen Netzwerke, ist noch viel interessanter: Zunächst wurde diese Propaganda in den Westen exportiert, dann aber wurde sie autonom im Westen angereichert mit den Kodizes einer westlichen Jugendkultur. Man findet jetzt in dieser Propaganda auf einmal eine Bildsprache, die Hollywood-Katastrofenfilmen entspricht, oder aber auch Rap-Videos. Also, da haben sich dschihadistische Propaganda mit europäischer Jugendkultur zu etwas vermischt, was natürlich junge Europäer entschieden anspricht."
    Keiner verkörpert diese Verbindung von europäischer Subkultur mit islamistischer Propaganda so sehr wie Denis Cuspert: Unter dem Namen Deso Dogg war der Berliner Gangsta-Rapper mäßig erfolgreich, bis er sich unter dem Namen Abu Talha al-Almani dem IS anschloss und ins Ausland ging. Auch der Flughafenterrorist Arid Uka war ein Fan.
    Heute ruft Cuspert in seiner Musik zum bewaffneten Dschihad auf, die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts der Volksverhetzung, einige seiner Songs stehen auf dem Index, sie dürfen nicht öffentlich gespielt werden. Cuspert soll eine treibende Kraft des "Al Hayat Media Centers" sein, eine Medienabteilung, die der IS erst im vergangenen Jahr geschaffen hat und die ständig neue Videos produziert. Der IS hat mit Abstand die professionellste Öffentlichkeitsarbeit unter allen dschihadistischen Organisationen. Da staunen auch die Experten immer wieder:
    "Man hat ja manchmal bei diesen Filmen schon das Gefühl, bei diesen Propagandastreifen auch den schlimmsten, im Grunde sieht das alles so aus wie ein Videospiel. Und da scheint es doch, das oftmals europäische Jugendliche, die wirklich E-natives sind, die aus der Cyber-Kultur, der Videospielkultur kommen, oftmals gar nicht mehr den Unterschied machen können zwischen dem realen Grauen des Krieges und dieser Anti-Kultur und ihrer Propaganda."
    Die hier verbreiteten Botschaften schnurren den Islam zusammen auf ein paar einfache Erklärungsmuster und Symbole. Konsumierbar in kleinen, leicht verdaulichen Häppchen:
    "Diese jungen Menschen haben zumeist kaum Ahnung vom Islam, sie bauen sich einen Lego-Islam, da werden gewisse Suren aus dem Koran isoliert, neu zusammengesteckt. Das, was einem nicht passt, wird weggetan. Im Grunde ist es eine Sektenkultur der Jugend, wo Islam einfach nur die Rechtfertigung für zum Teil sehr, sehr grausame Taten gibt. Also dieser Sinn suchenden europäischen Jugend wird mit einer Symbolik der Jugendkultur eine ganz gefährliche Heilslehre verkauft, die im Grunde nur einen ganz oberflächlichen Anstrich von Islam hat."
    Facebook, Twitter und Google sollen stärker in die Pflicht genommen werden
    Die Regierungen im Westen zerbrechen sich den Kopf darüber, wie man diese Propaganda eindämmen kann. Ein Patentrezept gibt es nicht. Gerade erst hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière angekündigt, Facebook, Twitter, Google und Co. stärker in die Pflicht nehmen. Mit einer Selbstverpflichtung will er die Konzerne dazu bringen, entsprechende Inhalte von sich aus zu löschen. Die Wirkung ist allerdings begrenzt. Das beobachtet Aladdin Sarhan vom LKA in Mainz immer wieder:
    "Manchmal gibt es immer so Warnungen: Schau dir das an, bevor es gelöscht wird und tu uns den Gefallen, poste das woanders, damit, falls Youtube oder Facebook einen bestimmten Inhalt löscht, dass man das an anderer Stelle finden kann."
    2007 wurde in Berlin unter Federführung des Bundesinnenministeriums das Gemeinsame Internetzentrum eingerichtet, damals erklärte der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, im Interview mit dem Deutschlandradio:
    "Wir haben hier Experten - Islamwissenschaftler, sprachkundige Leute, die was von Islamismus und Terrorismus verstehen – zusammen, und diese Leute kümmern sich zusammen um das, was im offenen Internet zu sehen ist. Das heißt, sie wenden keine speziellen nachrichtendienstlichen Methoden an, also keine geheimen Methoden, sondern sie versuchen, das was relevant ist für die Gefährdungslage in Deutschland zu erfassen."
    Mitte September des vergangenen Jahres hat Innenminister de Maizière den "Islamischen Staat" in Deutschland verboten. Dessen Kennzeichen - wie etwa die markante schwarze Flagge -dürfen hier nun nicht mehr verwendet werden. Und bei der Innenministerkonferenz der Länder im Dezember sagte er in der ARD:
    "Wir sind in Kontakt mit den großen Netzbetreibern und Anbietern, und auf unsere Hinweise nehmen sie auch diese Inhalte raus aus dem Netz. Das ist im internationalen Bereich schwer, so etwas zu verbieten. Aber die Zusammenarbeit läuft ganz gut. Ich will gerne noch etwas anderes hinzufügen: Wir müssen auch andere Geschichten erzählen. Können wir Aussteigergeschichten erzählen, man nennt das "counter narratives", eine Gegenaufklärung im Internet. Das müssen wir zustande bringen."
    In den USA versucht man schon seit gut zehn Jahren, die Faszination, die von solchen Propagandavideos ausgeht, sich selbst zunutze zu machen und einen medialen Gegenangriff zu starten:
    "Allahu Akbar! Allahu Akbar!..."
    Ein Video des US-Außenministeriums soll drastisch deutlich machen, was die Reise ins IS-Gebiet bedeutet: gesprengte Moscheen, Selbstmordanschläge, Hinrichtungen. Zwischen den Szenen berichten junge Muslime von ihren Erfahrungen:
    "Ich dachte, wir würden eine Gruppe vorfinden, die für ein gemeinsames Ziel kämpft. Ich hatte gedacht, dass sie für Gerechtigkeit kämpfen. Und dann fand ich heraus, dass sie auch nur Macht wollen, Land, Besitz. Dass sie, wenn sie dich nicht mehr brauchen, loswerden wollen."
    "IS hat keine Gesichter, du kannst ihnen nicht trauen!" "Think again, turn away", mahnt ein Aufruf am Ende des Videos, also: Denk noch mal nach, wende dich ab! Ob die Aussagen der Muslime in dem Film authentisch sind? Das ist nicht nachzuprüfen. Ob so etwas junge Menschen, die sich radikalisieren, am Ende umstimmen kann? Marwan Abou-Taam vom LKA in Mainz hält die Wirkung dieser Counter-Narratives für begrenzt:
    "Als Präventionsstrategie kann man davon ausgehen, dass diese "Gegennarrative" in einer Frühphase der Radikalisierung vielleicht wirksamer sind. Ich glaube allerdings nicht, dass jemand, der sehr tief in der Ideologie steckt, durch eine Gegenerzählung rausgeholt werden kann. Weil das, was man versucht, einzubringen, wird abgeblockt mit dem Argument, das kommt ja von den Gegnern des Islam."
    Am Ende, da ist er sich sicher, muss es vor allem eine gute Präventionsarbeit sein: Beratungsstellen, Fachpersonal, Bildung und vor allem Perspektiven: Sie können die jungen Menschen immun machen gegen die einfachen Botschaften und Lösungen der Islamisten.
    Abou-Taam:
    "Es ist nicht so, dass jemand, der überhaupt keine Affinität hat zum Islamismus, zum Salafismus zufällig eine Seite findet im Internet und drauf guckt und sagt: Na toll, jetzt gehe ich mal los und erschieße mal ein paar Leute. Es muss mehr sein. Insofern darf man die Rolle des Internets nicht überschätzen und nicht unterschätzen. Sondern das ist eine ergänzende Rolle, die sehr zentral ist neben anderen, insbesondere emotionalen Prozessen, in denen sich so eine Person befindet."