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Serie: Die landläufige Meinung
"Wir haben das geschenkt bekommen, dass wir hier leben"

Der extrem schlechte Zustand der Radwege und des Bildungssektors, die Flüchtlingspolitik, aber durchaus auch grundsätzliche Systemkritik: Das sind die Themen, die Studierenden in Hamburg zwischen 20 und 30 auf den Nägeln brennen.

Von Axel Schröder | 07.09.2017
    Ein Schlagloch auf einer Straße.
    Mangel in der Verkehrsinfrastruktur - auch für junge Wähler ein Thema (dpa/picture-alliance/Franziska Kraufmann)
    Sprecher: Welches sind Dinge, von denen Sie im Alltag manchmal denken: Darum müsste sich die Politik doch mal kümmern?
    Marleen O.: Wenn ich an Hamburg denke, dann Fahrradwege und tatsächlich auch die Infrastruktur der Universität. Also, Gebäude zum Beispiel sind teilweise so was von ranzig und ohne Toiletten auf gewissen Etagen, da finde ich, ja, also, Bildung finde ich einfach ein ganz, ganz wichtiges Thema. Ich glaube, dass über Bildung einfach so viel passieren kann bezüglich Vorteile und. Bildung ist für mich der Schlüssel zu einem guten Leben.
    Lennard T.: Wohnraum bereitstellen, der günstig und bezahlbar ist, so im Bereich vielleicht 450 bis 500 Euro. Als Nächstes im Bereich Pflege, speziell dass mehr Pflegekräfte angestellt werden. Ich habe selber eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger absolviert und habe da gesehen, dass auch im Zuge des demografischen Wandels doch ziemliche Belastungen auf die Pflegekräfte und auch auf die ambulanten Pflegedienste zukommen. Weiter persönlich ist mir wichtig, dass keine Waffen mehr exportiert werden. Ja, so.
    Anna K.: Die Bildungsinstitutionen, und damit geht einher, dass ich wirklich die Flüchtlingsthematik unfassbar entscheidend finde und dass ich eben den Schlüssel darin in der Bildung sehe. Das ist ganz großes Alltagsthema. Weil ich mit Flüchtlingen arbeite und weil ich da einfach nicht zusehen kann, wie das hingenommen wird, dass die sterben und dass denen verwehrt wird, ein Leben zu leben, wie wir uns das wünschen, weil wir uns das nicht verdient haben. Also, mit nichts, wir haben das geschenkt bekommen, dass wir hier leben, dass wir hier geboren sind, aber wir können es nicht anderen verwehren, aus welchem Grund?
    Sprecher: Haben Sie zuletzt etwas im Internet öffentlich geschrieben oder gepostet? Und wenn ja, zu welchem Thema? Wenn nein, würden Sie das denn gerne machen?
    Marleen O.: Das war zum G20-Gipfel. Ich poste tatsächlich eigentlich nie irgendwas Politisches auf Facebook, aber das hat mich dann doch schon so bewegt, dass ich gemerkt habe, ich brauche doch einmal ein Forum, um mich öffentlich zu äußern. Weil ich mitbekommen habe, das erste Mal, denke ich, in meinem Leben, wie Menschen gewalttätig werden und aufeinander zugehen und sich gegenseitig verkloppen. Und mir war das dann ein wenig zu einseitig teilweise, das ging halt am Anfang des G20-Gipfels ja immer um die Polizei, da ging der Hass gegen die Polizei und dann … Da wollte ich mich zu äußern, dass man seinen Blick weiten muss und sich nicht erst mal so einer Massenmeinung anschließen sollte.
    Lennard T.: Ich habe weder Facebook noch soziale Medien, Twitter und so weiter, habe insofern keine Plattform, worüber ich mich irgendwie kundtun würde. Aber langsam kommt der Drang, auch was aktiv zu sagen und ein bisschen zu gestalten.
    Anna K.: Ich habe auch zum G20-Gipfel was geschrieben, auch wenn ich das Medium sonst nicht nutze, und ich habe das über Facebook gemacht. Auch aus dem Grund, dass ich das Gefühl hatte, es wird einseitig berichtet in beide Richtungen, also sowohl am Anfang sehr gegen die Polizei – und ich habe mich mit vielen Polizisten unterhalten –, auf der anderen Seite aber dann eben auch sehr gegen diesen linken Protest, den ich für absolut notwendig halte in diesem Land. Es muss Kapitalismuskritik geben, es muss Kritik an dem System geben, in dem wir leben, wo neun Zehntel einfach daran zugrunde gehen, dass wir davon profitieren, und das muss stattfinden.
    Sprecher: Welches Thema beschäftigt Sie so sehr, dass Sie Ihre Wahlentscheidung im September davon abhängig machen würden?
    Marleen O.: Mich beschäftigt am meisten: Bildung und Umweltschutz. Ich bin auf jeden Fall links orientiert und würde auch aber daher eher die Grünen gehen, weil, da geht noch Umwelt meist vor dem Menscheln, und ich finde Umwelt tatsächlich sehr, sehr wichtig.
    "Wie ganze Lebensläufe einfach so zerschossen werden"
    Lennard T.: Inwieweit sich die verschiedenen Parteien zu Flüchtlingspolitik positionieren, das wird meine Wahlentscheidung beeinflussen. Weil ich selber eine Zeit in Jordanien gelebt habe, dort mein Freundeskreis hauptsächlich aus Syrern und Palästinensern bestand, ich insofern da miterleben konnte, was so ein Krieg mit Menschen macht und auch wie sie dann in dem Land gestrandet sind, wenn sie ihre Pässe nicht wieder neu beantragen können. Und dass dann einfach in dem Land erst mal Endstation ist. Und es tut mir einfach weh zu sehen, wie ganze Lebensläufe einfach so zerschossen werden.
    Anna K.: Die Flüchtlingsthematik auf jeden Fall. Ich finde, dass es keine Obergrenze geben darf, ich bin der absolut festen Überzeugung, dass Integration gelingen kann, wenn man eben nicht in der Sicherheitspolitik ansetzt. Weil, wenn man die Leute ins Gefängnis steckt, dann ist es schon meistens zu spät, ich glaube, dass man in den Kindergärten anfangen muss, in den Schulen, dass man den Menschen so abgedroschen sich das anhören mag, aber man muss ihnen Liebe ins Herz setzen. Wir leben halt in einem Land, wo viele sich damit brüsten, dass wir christliche Werte vertreten, aber wenn sie dann dagegen hetzen, dass man Menschen aufnimmt, dann frage ich mich, wo der Grundwert von Christlichkeit ist, nämlich Nächstenliebe?
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.