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Serie "Klimakommunen" (6/6)
Die Null-Emissions-Gemeinde aus Rheinhessen

Viel Sonne, wenig Regen: Auch wegen des Wetters und des Weinanbaus wird die Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen rheinhessische Toskana genannt. Doch auch hier bereitet der Klimawandel große Sorgen. Deswegen will die Kommune eine "Null-Emissions-Gemeinde" werden.

Von Ludger Fittkau | 16.08.2019
Luftaufname von Sprendlingen in Rheinhessen mit Denkfabrik Stempel
Setzt auf LED-Straßenlaternen und erneuerbare Energien - Sprendlingen-Gensingen in Rheinhessen (dpa / picture alliance / Thomas Muncke )
Guerilleros stellt man sich eigentlich anders vor. Ein Nachfolger von Che Guevara oder Fidel Castro – das ist Andreas Pfaff nicht. Doch auf einem Garagendach im Hof der rheinhessischen Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen hat er etwas montiert, was Andreas Pfaff "Guerilla-Photovoltaik" nennt. Es sind kleine Solarmodule, mit denen jeder ganz einfach selbst Solarstrom erzeugen kann – etwa auf dem heimischen Balkon:
"Am Anfang war das natürlich nicht alles so genehmigt und von den Energieversorgern auch nicht unbedingt so gewünscht, dass jeder einspeist und macht und tut, wie er möchte."
Doch inzwischen sind die Photovoltaikanlagen abgenommen und zumindest in dieser Hinsicht keine Guerilla-Technik mehr.
"Die sind jetzt alle konform, die Geräte. Man muss natürlich immer darauf achten, dass man ein ordentliches Modul erwirbt und dann passt das."
Konzept zur "Null-Emissions-Gemeinde" mit FH Bingen entwickelt
Diese Photovoltaikanlagen gibt es zuhauf in der rund 14.500 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Gemeinde. Und so wurden alle kommunalen Dächer, wenn es die Statik erlaubte, mit Solaranlagen ausgestattet. Das ist ein Baustein auf dem Weg zur klimaneutralen Kommune.
Bereits vor einem Jahrzehnt ist die Entscheidung gefallen eine sogenannte "Null-Emissions-Gemeinde" zu werden. Gemeinsam mit der Fachhochschule Bingen hat man vor zwei Jahren den sogenannten "Masterplan 100 Prozent Klimaschutz" entwickelt. Mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen sollen die Treibhausgasemissionen bis 2050 um 95 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 gesenkt werden. Gleichzeitig soll der Energieverbrauch halbiert werden. Dazu dienen Energiesparmaßnahmen, die Nutzung erneuerbarer Energien sowie generell die Förderung eines nachhaltigen Lebensstils der Bewohnerinnen und Bewohner. Die Lokalpolitik lebt vor, betont Manfred Scherer, der Bürgermeister der Verbandsgemeinde Sprendlingen-Gensingen:
"Klimaschutz ist bei uns auf allen Ebenen beheimatet und behaftet. Und es wird auch von den Ortsbürgermeistern und unseren Verbandsgemeinderatsmitgliedern mitgetragen."
Solaranlage auf dem Dach der Grundschule gegenüber der Gemeindeverwaltung
Solaranlage auf dem Dach der Grundschule gegenüber der Gemeindeverwaltung (Deutschlandradio/Ludger Fittkau)
Doch noch ist die Gemeinde nicht 100 Prozent erneuerbar – es wird noch viel mit Gas geheizt. Aber:
"Ja man braucht eine Vision, um das manchmal auch Unmögliche zu fordern, um das Mögliche zu erreichen."
Sagt Andreas Pfaff, er arbeitet für die Energieagentur, die die Gemeinde betreibt. Und dort spricht er auch mit Winzern, wenn sie für Bienen und andere Insekten neue Wildwiesen-Streifen in den Weinbergen anlegen möchten. Und er berät Privatleute, wenn sie etwa eine Guerilla-Photovoltaik-Anlage auf dem Garagendach wollen.
Ein Gärtner entfernt unerwünschte Gewächse auf einem begrünten Dach in einer Neubausiedlung
Reihe: Nachhaltige Städte
Die Straßen sind voll, die Luft ist schlecht, Asphalt und Beton aufgeheizt. Deutsche Großstädte leiden unter dem Klimawandel – und sie sind zugleich auch Treiber. Doch es tut sich etwas. Wir beleuchten einige Ansätze in einer Sommerserie der Deutschlandfunk-Wirtschaftsredaktion.
Straßen der Gemeinde werden durch LED beleuchtet
Am Anfang setzt die Gemeinde eigentlich auf Windkraft, sagt Bürgermeister Manfred Scherer. Doch dieser Plan ging wegen Bedenken des Naturschutzes nicht auf – nur vier kleinere Windräder konnten installiert werden:
"Wir haben also erkannt, wir können nicht allein auf Windenergie setzen, sondern wir brauchen andere Maßnahmen."
Zum Beispiel das Energiesparen, wo es irgendwie geht, werde dies auch gemacht, versichert der Bürgermeister:
"Zudem haben wir in der Vergangenheit schon die Straßenbeleuchtung, die ja auch ein großer Energieträger ist, umgestellt auf LED-Beleuchtung, also Energiesparlampen und werden jetzt bis Ende dieses Jahres 100 Prozent aller Gemeinden mit LED-Straßenlaternen ausgestattet haben, was wiederum einen starken Effekt zur CO2-Reduzierung mit sich bringt."
Bürgermeister Manfred Scherer und Energieberater Andreas Pfaff am Elektro-Mobil der Gemeindeverwaltung
Bürgermeister Manfred Scherer und Energieberater Andreas Pfaff am Elektro-Mobil der Gemeindeverwaltung (Ludger Fittkau/Deutschlandradio)
"Natürlich voller Energie" – dieser Slogan ist inzwischen Teil des Gemeindelogos von Sprendlingen-Gensingen geworden. Das Logo ziert auch das Elektroauto, das als Dienstwagen auf dem Hof der Gemeindeverwaltung steht. Eines der nächsten Ziele- möglichst den gesamten Altbaubestand in den Ortskernen von Gensingen und Sprendlingen auf Wärme aus regenerativen Energiequellen umstellen, die vor Ort erzeugt wird. Bürgermeister Manfred Scherer:
Gemeinde setzt auch auf energetische Sanierung
"Gerade in den Gemeinden Gensingen und Sprendlingen gibt es Städtebau-Fördermittel für Sanierungen, die insbesondere auch einen energetischen Aspekt haben. Das ist das eine. Und zum anderen wollen wir über sogenannte Quartierskonzepte auch nochmal mit allen Hauseigentümern in engen persönlichen Kontakt kommen, um hier individuelle Lösungen zu suchen. Bis hin zu der Frage, ob wir nicht eine Nahwärme-Versorgung über nicht-fossile Brennstoffe dann, was die Heizenergie angeht, sicherstellen können. "
Es gibt also auch in der klimapolitisch sensiblen Gemeinde Sprendlingen-Gensingen noch viel zu tun, um das fossile Zeitalter hinter sich zu lassen.