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Serie "The Deuce"
Der Teufel trägt Strapse

Die neue HBO-Serie "The Deuce" zeigt die Anfänge der Pornoindustrie und ist eine akribische Milieustudie. Der amerikanische TV-Sender hofft auf einen neuen Mega-Hit nach "Game of Thrones" – und geht mit dem schwierigen Stoff auf Risiko.

Von Julian Ignatowitsch |
    David Simon, Maggie Gyllenhaal, James Franco und George Pelecanos bei der The Deuce Serien Premiere am 7.09.2017 in New York
    Produzent David Simon (l.) hat sich für seine Darsteller ein sehr spezifisches Milieu ausgesucht: Das Rotlichtviertel im New York der 70er-Jahre (imago stock&people)
    Die Leuchtreklametafeln waren schon damals da. Aber Worte wie "Burlesk" oder "Porno" liest man am Time Square in New York heute nicht mehr.
    "Was ist los Baby? Scheiße! Scheiße!"
    Zeiten ändern sich. Wo heute Touristen auf übergroße Werbevideos starren und anschließend vielleicht ins Theater gehen, verkauften sich in den 70er-Jahren Prostituierte für 30 Dollar und ihre Zuhälter kassierten das Geld:
    "Die Welt hier draußen ist nicht einfach. Dir kann jederzeit ein Arm gebrochen werden oder du kriegst ein Messer zu spüren. Ich kannte mal eine Frau, die musste Abflussreiniger schlucken."
    Menschen am Rande der Legalität
    "The Deuce", der Teufel, so heißt die 42nd Straße, einst der Kiez von New York, im Stadtslang; und so heißt auch die neue HBO-Serie, die das Leben im Zwielicht dieser berüchtigten Vergnügungsmeile zeigt. Sex, Gewalt und Alkohol - die Grenze verläuft auf dem "Deuce" fließend. Und natürlich geht es immer ums Geschäft. Da ist zum Beispiel Candy - großartig gespielt von Maggie Gyllenhaal -, die Frau ohne Zuhälter, die ihre Geschäfte selbst regelt.
    "Ich bin die Einzige, die mit meiner Muschi Geld verdient, ich behalte die Mäuse und bin nicht scharf drauf, dass du oder jemand anders sie kassiert. Und jetzt lass mich anschaffen gehen."
    Oder die Zwillingsbrüder Vincent und Frank Martino, der eine erfolgreicher Bar- später Bordellmanager, der andere spielsüchtiger Lebemann, beide gleichermaßen im Nachtleben aktiv - keiner könnte für diese Doppelrolle besser geeignet sein als James Franco.
    "Hey, kleiner Bruder. Immer am Ackern." – "Wo warst du, verdammte Scheiße?" – "In Queens. Da nehmen sie meine Wetten noch an." – "Du wettest immer noch?" – "Erfolgreich, ich habe 4000 gemacht." – "Blödsinn!"
    "The Deuce" zeigt Menschen am Rande der Legalität und den Anfang der Pornoindustrie. Plötzlich werden in Hinterzimmern schlüpfrige Filme gedreht, die in "Erwachsenenbuchhandlungen" unter dem Tresen verkauft werden, und die Freier gehen ins Freudenhaus.
    Keine schmuddelige Männerfantasie
    Produzent David Simon gelingt mit "The Deuce" erneut eine akribische Milieustudie, die Tatsachen und Fiktion miteinander vermischt. Wie im gefeierten "The Wire", das den Drogenhandel im amerikanischen Baltimore zum Thema hatte, geht es auch hier um menschliche Abgründe, das komplizierte Verhältnis von Staat und Individuum, von Mächtigen und Ohnmächtigen sowie die ausbeuterische Brutalität des Kapitalismus. Dazu kommt 70er-Jahre-Nostalgie mit Hippiebewegung, Black Power und verrauchten Clubs.
    Die Gratwanderung ist nicht immer einfach, Prostitution natürlich sowieso ein schwieriges, ein nicht selten gewalttätiges Thema - der Sender HBO geht mit "The Deuce" also durchaus ein Risiko ein. Die Macher haben bewusst versucht, eine allzu männliche Perspektive zu vermeiden: Vier der acht Episoden wurden von Regisseurinnen gedreht, Schauspielerin Gyllenhaal war gleichzeitig als Produzentin tätig und man engagierte homo- und transsexuelle Drehbuchautoren. Dieses Vorhaben gelingt. "The Deuce" ist keine schmuddelige Männerfantasie.
    Und doch erinnert manches an HBOs letzten Retro-Flop, "Vinyl": Die Charaktere bieten wenig Identifikationspotenzial, ihre Beweggründe, zum Beispiel wieso sich die selbstbewusste Candy überhaupt verkauft, werden teilweise nicht klar. Und der Plot springt an manchen Stellen beliebig von einem Schauplatz zum nächsten. Dazu bleibt die Frage: Was, jenseits von mal mehr, mal weniger gemütlicher Rotlicht-Nostalgie, verrät uns die Serie heute über Sex, in Zeiten von ständig verfügbarem "Internet Porn" und "Tinder Dating"? Antwort: Eher wenig. Der Reiz von "The Deuce", so viel ist sicher, liegt im spezifischen Setting und Milieu: das "verbotene" New York, Anfang der 70er-Jahre. Zumindest die deutschen Zuschauer dürften davon aber nicht so angefixt sein, wie von Drachen und Schwertkämpfen.
    Ab 11.09.2017 montags um 20:15 Uhr auf Sky Atlantic HD