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Sexualisierte Gewalt im Sport
Wo ist die Grenze?

Der unabhängige Beauftragte der Bundesregierung, Johannes Wilhelm Rörig, hat an die Spitzenverbände des Sports appelliert, Vereine dabei zu unterstützen, verbindliche Regeln zum Schutz vor sexueller Gewalt zu etablieren. Auch beim Forum Safe Sport des DOSB in Berlin ging es um diese Regeln.

Von Andrea Schültke | 18.11.2018
    Athletenvertreterin Amélie Ebert
    Athletenvertreterin Amélie Ebert (Schültke/Dlf)
    Das Erkennen von Grenzbereichen beim Thema sexualisierte Gewalt ist ein Feld, das Amélie Ebert sehr beschäftigt. Die frühere Synchronschwimmerin ist Mitglied der Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes. Und Mitbegründerin des Vereins "Athleten Deutschland". Hier kümmert sie sich um das Thema "sexualisierte Gewalt im Sport" und brachte einen Punkt aus dem Athletenalltag in die Diskussion ein. Ebert sagte beim Forum Safe Sport des Deutschen Olympischen Sportbunds in Berlin:
    "Von kleinauf im Training bekommt man jeden Tag gesagt, du musst deine Grenze überschreiten um besser zu werden, du musst mehr als 100 Prozent geben".
    Über die Leistungsgrenzen gehen oder auch in den Schmerz hinein trainieren - Standards, die Athleten im Training immer wieder hören - ganz normal schon im Nachwuchsbereich. Deshalb fällt es möglicherweise gar nicht auf, wenn die Grenzen immer weiter überschritten werden – bis hin zu seelischer und körperlicher Gewalt. Vor zwei Jahren gab es durch die Studie Safe Sport erstmals Zahlen zum Ausmaß sexualisierter Gewalt im Sport in Deutschland. Eine Aussage darin: "37 Prozent der Athletinnen und Athleten haben schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erlebt".
    "Halbnackt vor Kontrolleuren pinkeln müssen"
    Das reichte von dummen sexistischen Sprüchen über Grabschen bis hin zum ungewollten Geschlechtsverkehr erläuterte damals Studienleiterin Bettina Rulofs von der Sporthochschule Köln.
    Amélie Ebert setzt aber schon viel früher an, wenn sie das "Über-die-Grenzen-Gehen" im Alltag von Leistungssportlern schildert. Als Beispiel nennt sie die Anti-Doping-Bestimmungen:
    "Das sind ja extreme Eingriffe in die Privatsphäre zum Beispiel halbnackt vor den Kontrolleuren pinkeln zu müssen, da hat man irgendwann gar kein Gefühl mehr, wo ist eigentlich die Grenze. Wenn man damit aufwächst und mit dem ganzen Team so aufwächst, dass es für alle normal ist, hat man niemanden mehr, der einem diese andere Sicht beibringt".
    "Wieder Gefühl für Grenzen bekommen"
    Hier sieht die ehemalige Leistungssportlerin auch die Athletenvertretung in der Pflicht, die Diskussion darüber anzukurbeln. Zum Beispiel durch die Sicht und Einordnung etwa von älteren Sportlern:
    "Sodass Athleten wieder die Möglichkeit haben darüber nachzudenken, was sie selbst als angenehm oder unangenehm empfinden und wieder ein Gefühl dafür zu bekommen, wo eigentlich die Grenzen liegen, auch wenn man weiß, dass man sie im sportlichen Sinn jeden Tag überschreiten muss".
    Mit einer ähnlichen Frage hat sich das Berliner Krankenhaus Charité auseinandergesetzt. Christine Kurmeyer, Gleichstellungsbeauftragte der Klinik, war Gast auf dem Forum Safe Sport des DOSB. Dort berichtete sie von den Ergebnissen einer Umfrage zu sexueller Belästigung in der Charité. Es ging um Witze, Anstarren, Hinterherpfeifen und verbale Grenzüberschreitungen:
    "Und so haben wir dann festgestellt, dass im Laufe des Berufslebens 70 Prozent der Frauen und 60 Prozent der Männer von sexueller Belästigung betroffen waren".
    "Da ist die Grenze"
    Die Sozialpsychologin sieht eine Parallele zwischen Medizinbereich und Sport, unter anderem, was Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse betrifft. Daher arbeitet sie in Sachen Prävention mit dem Deutschen Olympischen Sportbund zusammen.
    Als Folge der Umfrageergebnisse hat die Charité Richtlinien entwickelt zur Vorbeugung von Grenzverletzungen. Es geht um den respektvollen Umgang miteinander auf allen Hierarchieebenen und einen kooperativen Führungsstil. Betroffene werden zur Beschwerde ermuntert und der Ablauf einer solchen Beschwerde ist genau aufgeführt. Die Sanktionen bei Grenzverletzungen sind klar benannt. Das könnte ein Anknüpfungspunkt auch für die Athleten sein. Denn für Amélie Ebert wäre ein Regelwerk wichtig, auch für die Diskussion der Sportlerinnen und Sportler untereinander:
    "Wo wir sagen, da ist die Grenze und das wollen wir nicht mehr".
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