Donnerstag, 25. April 2024

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Sexualstrafrecht
"Kinderschutz ist Familienschutz"

Eine geplante Verschärfung des Kinderpornografie-Paragrafen im Strafrecht stößt beim Deutschen Anwaltverein auf Kritik. "Das, was jetzt versucht wird zu regeln, geht viel zu weit und wird viel zu unbestimmt", sagte die Rechtsanwältin Gül Sabiha Pinar im Deutschlandfunk.

Gül Sabiha Pinar im Gespräch mit Marina Schweizer | 25.09.2014
    Verschwommene Aufnahme eines Polizei-Computers mit kinderpornografischen Bildern auf dem Bildschirm.
    Ein bayerischer Kriminalbeamter wertet kinderpornografische Bilder aus dem Internet aus. (picture alliance / dpa / Peter Kneffel)
    Gemäß der bisherigen Formulierung im Strafrecht "war es eben überhaupt nicht schwierig, zu unterscheiden, was eine pornografische Darstellung ist und was nicht", sagte Gül Sabiha Pinar, Rechtsanwältin im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins, im Deutschlandfunk. "Letztendlich sollen ganz normale, möglicherweise privat aufgenommene Fotos auch unter Strafe gestellt werden. Nicht nur, weil ein Kind nackt aufgenommen worden ist, muss das strafbar sein."
    Der Gesetzgeber wolle solche Aufnahmen jetzt mit dem Passus "unnatürlicher Haltung" einschränken, "aber letztendlich sind sogenannte Posing-Fotos, wie wenn Kinder "Germany's Next Topmodel" spielen oder Ähnliches, auch Posing-Fotos, die auch nicht unbedingt eine natürliche Körperhaltung darstellen".
    Die Einschätzung, ob die Aufnahme eine pornografische Darstellung sei, liege also künftig im Auge des Betrachters, sagte Pinar. "Das neue Vorhaben bestraft letztendlich auch privat gemachte Fotos und könnte bis in die Familienalben hineingreifen." Pinar forderte, das Strafrecht müsse Ultima Ratio bleiben. "Kinderschutz ist Familienschutz auf der einen Seite, das ist nicht Aufgabe des Strafrechts. Und diejenigen, die eine pädophile Neigung haben: Es ist eine Krankheit. Und daran muss gearbeitet werden. Es ist ein schlimmes Schicksal, diese Krankheit zu haben, auch wenn die gesellschaftliche Diskussion das so dämonisiert."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Der Fall Sebastian Edathy hatte die Diskussion ins Rollen gebracht. Nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen Kinderpornografie hat er immer wieder betont, er habe sich nicht strafbar gemacht. Jetzt zieht der Gesetzgeber die Konsequenz.
    Die geplante Verschärfung des Sexualstrafrechts beschäftigt heute in erster Lesung den Bundestag.
    Auch sogenannte Posing-Bilder sollen jetzt unter Strafe gestellt werden. Über die Pläne der Großen Koalition hat meine Kollegin Marina Schweizer mit Gül Pinar gesprochen. Sie ist Mitglied im Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins und zuständig für Sexualstrafrecht. Ihre erste Frage war, wie schwierig nach jetziger Gesetzeslage eine Kategorisierung solcher sogenannter Posing-Bilder ist.
    Gül Sabiha Pinar: Wenn Sie mich als Praktikerin fragen - bislang war es überhaupt nicht schwierig zu unterscheiden, was eine pornografische Darstellung ist und was nicht. Im Moment beschäftigt sich die öffentliche Diskussion mit der Edathy-Affäre letztendlich nur um die Fragestellung der Kinderpornografie, und da kann ich sagen, da bestand kein Änderungsbedarf, und das, was jetzt versucht wird zu regeln, geht viel zu weit und wird viel zu unbestimmt.
    Marina Schweizer: Warum geht das denn zu weit und wie erklären Sie sich das, dass dieser Vorstoß so gemacht wird?
    Pinar: Letztendlich sollen ganz normale, möglicherweise privat aufgenommene Fotos auch unter Strafe gestellt werden. Nicht nur, weil ein Kind nackt aufgenommen worden ist, muss das strafbar sein. Der Gesetzgeber versucht mit der Einschränkung "in unnatürlicher Haltung", aber letztendlich sind sogenannte Posing-Fotos wie wenn Kinder "Germany's next Topmodel" spielen oder Ähnliches auch Posing-Fotos, die auch nicht unbedingt eine natürliche Körperhaltung darstellen.
    Schweizer: Sie sagen ja jetzt, dass da schon eine Formulierung im Gesetz vorhanden ist, und die ist Ihres Erachtens bisher eindeutig genug.
    Pinar: Ja, weil ein Strafgesetz nur das unter Strafe stellen kann, was die Rechtsgüter von anderen beschränkt und einschränkt, und wenn an Kindern pornografische Fotos, so wie es das bislang vorgesehen hat, gemacht werden, dann hat man die Rechte der Kinder beschnitten, und zwar ganz massiv
    Es ist aber was anderes, wenn Kinder spielend aufgenommen werden und es nur dem Auge des Betrachters bleibt, wie man das denn einzuschätzen hat.
    Pinar: Vorhaben könnte "bis in die Familienalben hineingreifen"
    Schweizer: Jetzt ist es ja auch so, dass dieser Gesetzesentwurf genau da ansetzen will, bei der Aufnahme selbst, und nicht etwa bei der Verbreitung, zum Beispiel bei der Verbreitung über das Internet.
    Pinar: Das geht noch viel weiter als bei der Verbreitung im Internet. Bei der Verbreitung im Internet kann man dann sagen, das ist ja sowieso unter dem Urhebergesetz bislang auch schon strafbar gewesen. Aber das neue Vorhaben bestraft letztendlich auch privat gemachte Fotos und könnte bis in die Familienalben hineingreifen.
    Schweizer: Befürworter sagen ja, man muss im Zweifel das Gesetz verschärfen, weil am Ende immer der Schutz des Kindes steht, und wenn da jetzt eine Gratwanderungssituation da ist, dann muss man am Ende das Kind schützen. Sie sagen aber, das geht trotzdem zu weit.
    Pinar: Es ist die Frage, was es heißt, das Kind zu schützen. Wovor hat man denn das Kind geschützt, was im Garten spielt oder was bei einer Geburtstagsparty aufgenommen wird, und sollen Eltern, die dann bei einer Geburtstagsparty ihres Kindes die anderen Kinder aufnehmen, jeweils um Erlaubnis bitten. Ich finde, das führt zu weit.
    Schweizer: Da müssen wir ganz kurz erklären. Es geht jetzt darum, dass Eltern ihre eigenen Kinder nach wie vor fotografieren können, aber fremde Kinder nicht nackt auf diesen Bildern sein sollen. So sieht es der jetzige Gesetzesentwurf vor, wenn ich das richtig verstanden habe.
    Pinar: Genau. Das eigene Kind kann im Familienalbum bleiben und das im Garten mitspielende Nachbarskind aber nicht ohne die Erlaubnis der jeweiligen Eltern.
    Pinar: Alltagshandlungen sind nicht Sache des Strafrechts
    Schweizer: Frau Pinar, Sie kritisieren jetzt den Gesetzesentwurf, er ginge zu weit. Was wären denn die richtigen Instrumente?
    Pinar: Das Strafrecht muss letztendlich immer Ultima Ratio bleiben. Kinderschutz ist Familienschutz auf der einen Seite, das ist nicht Aufgabe des Strafrechts. Und diejenigen, die eine pädophile Neigung haben, es ist eine Krankheit und daran muss gearbeitet werden und es ist ein schlimmes Schicksal, diese Krankheit zu haben, auch wenn die gesellschaftliche Diskussion das Ganze so dämonisiert. Und es muss auch Möglichkeiten geben, mit und an diesen Menschen zu arbeiten.
    Schweizer: Sie sagen, das Strafrecht muss da rausgehalten werden?
    Pinar: Ich sage nicht, das Strafrecht muss Pädophile nicht bestrafen. Darum geht es nicht. Ich sage nicht, das Strafrecht soll Kinderpornografie nicht bestrafen. Aber das Strafrecht soll sich da raushalten, wo Alltagshandlungen stattfinden.
    Schulz: Die Anwältin Gül Pinar vom Deutschen Anwaltsverein im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte meine Kollegin Marina Schweizer.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.