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Sexuell übertragbare Krankheiten
Noch immer ein Tabu

Die Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten nehmen rasant zu. Doch viele Betroffene scheuen den Gang zum Arzt, denn Leiden wie Syphilis oder Gonorrhoe sind extrem tabuisiert. In Bochum bietet ein neues Zentrum für sexuelle Gesundheit Patienten medizinische Betreuung und soziale Beratung.

Von Thomas Liesen | 07.06.2016
    Ein Piktogramm für Männer- und Frauen-Toiletten
    Geschlechtserkrankungen sind extrem tabuisiert und kommen in der öffentlichen Diskussion praktisch nie vor. (picture alliance / dpa/ Jens Kalaene)
    Mitten in Bochum, direkt neben einer Kirche und sogar auf dem Gelände des katholischen Bistums. Dort erwartet man nicht unbedingt ein Zentrum, in dem es ausschließlich um Krankheiten geht, die durch Sex übertragen werden. Doch das ist Teil des Konzepts, das auch mit Unterstützung der Kirche verwirklicht werden konnte, erklärt Prof. Norbert Brockmeyer, ärztlicher Leiter des neuen Zentrums.
    "Wir wollten den Menschen die Möglichkeit geben, mehr oder weniger in dieses Zentrum hineinzustolpern, der Eingang ist ja über dem Kirchplatz der Probstkirche in Bochum. Also neben der Kirche ein solches Zentrum. Und damit wollten wir den Menschen ermöglichen, ihre Scheu, ihre Hemmungen zu überwinden, zu uns zu kommen, sich beraten zu lassen."
    Viele Vorurteile bei Syphilis und Gonorrhoe
    Während für HIV und Aids schon seit Jahren Aufklärungskampagnen laufen und sich dadurch in der Bevölkerung viele Vorurteile zumindest aufweichen ließen, sieht das bei anderen Krankheiten noch ganz anders aus – bei Syphilis und Gonorrhoe zum Beispiel.
    "Die sind dann wirklich ganz Schmuddelecke, ganz Bahnhofstoilette sage ich jetzt mal und das ist das Problem."
    Sagt Norbert Brockmeyer. Diese Erkrankungen sind extrem tabuisiert, kommen in der öffentlichen Diskussion praktisch nicht vor. Und das, obwohl allein die Syphilis-Infektionen in den letzten Jahren um 20 Prozent gestiegen sind. Folge: Die Betroffenen trauen sich anfangs nicht zum Arzt.
    "Wir haben 30 bis 50 Prozent sehr sehr späte Diagnosen. Das heißt, es kommen häufig Menschen, die nicht nur die Infektion haben, sondern erkrankt sind. Dieses Zentrum bietet dann einfach die Möglichkeit, dass sie medizinisch betreut werden, dass sie durch einen health adviser, also jemand, der eine soziale Beratung machen kann, Sozialkompetenz hat, beraten werden kann, dass sie psychologisch-psychotherapeutisch beraten werden können, also diese Unterschiedlichkeit, die bietet den Vorteil."
    In Zentrum für sexuelle Gesundheit haben sechs verschiedene Institutionen ihren Sitz: von der immunologischen Ambulanz der Universitäts-Hautklinik Bochum über Pro Familia, die Aidshilfe, bis zum Beratungszentrum für Sexarbeiterinnen.
    "Bisher konnten sich Menschen leicht im Dschungel der Beratungsangebot verlaufen, zumal die räumlich über die ganze Stadt verteilt waren, sagt Carlos Winkel, seit 27 Jahren HIV-positiv."
    "Hier ist nun plötzlich alles auf einem Haufen, man weiß ganz genau: Du hast den und du hast den, Du kannst da hin gehen und da, und jeder hilft dir."
    Mehr Sensibilität für Betroffene
    Und jeder der rund 25 hier arbeitenden Spezialisten kennt sich mit sämtlichen sexuell übertragbaren Krankheiten bestens aus. Keine Selbstverständlichkeit im Medizinbetrieb, wie Carlos Winkel schon mehrfach am eigenen Leib erfahren musste:
    "Ich habe kürzlich mal auf einer Intensivstation gelegen in einem Krankenhaus und dann kam jemand zum Blutabnehmen und hatte keine Handschuhe an. Bevor ich sagen konnte "Handschuhe" war ein Pfleger im gleichen Raum, reichte die Handschuhe und sagte das Wort "Aids". Ich war nicht in der Lage, so platt und sprachlos war ich, zu sagen: Soll ich hier mal ein bisschen Fortbildung machen."
    Dass ein HIV-Infizierter nicht unbedingt jemand ist, der an Aids leidet, dem Endstadium der unbehandelten Infektion, das braucht man im Bochumer Zentrum niemandem zu sagen. Was die Eröffnung dieser Einrichtung ansonsten ganz praktisch für einen Patienten bedeutet, erklärt Arne Kaiser von der Aidshilfe Bochum. Er hat erst vor ein paar Tagen jemanden betreut, der kurz davor die Diagnose HIV-positiv erhielt.
    "Der ist dann in die medizinische Behandlung von der immunologischen Ambulaz bei einer Ärztin gewesen und als die Ärztin ihr Erstgespräch mit dem Patienten gemacht hat, Blut abgenommen hat, kamen viele andere Fragen: Wie kann ich meine Sexualität leben? Wie kann ich mit meiner Diagnoseeröffnung umgehen? Und dieser Mensch wurde dann zur Aidshilfe weitergeleitet. Und da sieht man einfach: Innerhalb weniger Meter kann man ein interdisziplinäres, hochprofessionelles Angebot schaffen und das ist der entscheidende Vorteil in diesem Zentrum."