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Sexuelle Dysfunktion
Die Macht der Gedanken

Erwartungsdruck und Selbstzweifel: Sexueller Dysfunktion liegen selten physiologische Ursachen zugrunde, sondern eher negative Gedanken und Gefühle. Ein neuer Ansatz der Verhaltenstherapie scheint bessere Behandlungserfolge zu versprechen als Medikamente.

Von Sophia Wagner | 22.07.2019
 Ein Paar liegt im Bett. Sie sehen die vier Füße unter der Beckdecke hervorkommen.
"Unsere Studien haben gezeigt, dass positive Gefühle und erotische Gedanken die besten Vorhersager für tatsächlich gefühlte Lust und Erregung sind", so der Sexualwissenschaftler Pedro Nobre. (dpa, Christophe Gateau)
"Mein Name ist Pedro, Pedro Nobre. Ich bin Professor an der Universität von Porto und in meinem Labor betreibe ich hauptsächlich Sexualforschung."
Pedro Nobre untersucht, wie Gedanken und Emotionen die sexuelle Erregung von Männern und Frauen beeinflussen. Das Ziel: die Verbesserung von Therapieansätzen für Menschen mit sexueller Dysfunktion.
"Verschiedene Studien haben gezeigt, dass zwischen 30 und 40 Prozent aller Frauen und etwas weniger Männer Probleme mit Sex haben."
Diese Probleme reichen von einem Mangel an sexuellem Verlangen über Orgasmusschwierigkeiten bis hin zu Erektionsproblemen. Physiologische Ursachen gibt es nur selten, ein wichtiger Faktor sind dagegen unrealistische Erwartungen und negative Gefühle.
Erwartungsdruck und Selbstzweifel
"Eine der häufigsten Überzeugungen, die uns im Zusammenhang mit sexueller Dysfunktion bei Männern begegnet, ist die Erwartung, dass Männer die gesamte Verantwortung für den Sex übernehmen sollten. Sagen wir es so: Er sollte immer bereit sein. Er sollte niemals versagen."
Auch bei Frauen habe dieser Erwartungsdruck in den letzten Jahren zugenommen. Dazu kommt Zweifel am eigenen Körper und der eigenen Attraktivität.
Um effektivere Therapien für Menschen mit sexueller Dysfunktion zu entwickeln, untersucht Pedro Nobre in seinem Labor zunächst, wie Menschen ohne sexuelle Probleme Lust empfinden. Dafür zeigt er Versuchsteilnehmern Sex-Filme und misst dabei ihre genitale Erregung. Bei Männern passiert das über den Penisumfang, bei Frauen wird die Durchblutung der Vagina gemessen.
"Meistens können wir innerhalb von einer Minute eine klare Erregung der Genitalien feststellen. Bei Männern und Frauen."
Anders ist es bei der subjektiven, persönlichen Erregung, die nach dem Filmschauen über einen Fragebogen evaluiert wird. Denn im Gegensatz zu der mehr oder weniger automatischen Reaktion der Genitalien hängt die tatsächlich gefühlte Erregung stark von der inneren Einstellung zum Sex ab.
"Unsere Studien haben gezeigt, dass positive Gefühle und erotische Gedanken die besten Vorhersager für tatsächlich gefühlte Lust und Erregung sind."
Negative Gedanken akzeptieren
Für die Behandlung von sexuellen Dysfunktionen sei es darum vor allem wichtig, einen Fokus auf positive, erotische Gedanken zu legen.
"Das stimmt überein mit einer neuen Denkrichtung in der Verhaltenstherapie, bei der es nicht so sehr darum geht, die negativen Gedanken zu hinterfragen, sondern darum, sie zu akzeptieren. Gleichzeitig versucht man Strategien zu vermitteln, die den Patienten helfen, den Moment zu genießen."
Früher ging es in der Therapie mehr darum, die Ursachen von Erwartungen wie "Ich muss immer bereit sein" zu verstehen. Heute zielen Therapien darauf ab, den Erwartungsdruck abzubauen und das Gedankenkarussell zu stoppen, zum Beispiel durch Achtsamkeitstraining. Dabei lernt man unter anderem, die Situation weniger zu bewerten und mehr zu beobachten.
Medikamenten wirken nicht langfristig
Dass dieser Ansatz wirkt, zeigt auch eine laufende Studie aus Pedro Nobres Labor. In ihr werden zwei Gruppen von Männern mit erektiler Dysfunktion verglichen. Während die einen ihre Probleme in einer Therapie angingen, wurden die anderen über den gleichen Zeitraum mit einem Potenzmittel behandelt.
"Die vorläufigen Daten zeigen, dass es den meisten Männern, die in Therapie waren auch sechs Monate nach Ende der Behandlung weiterhin gut geht. Viele der medikamentös behandelten Männer haben dagegen wieder mit Erektionsproblemen zu kämpfen."
Neben der richtigen Technik gibt es für eine erfolgreiche Therapie aber noch ein anderer Faktor wichtig: "Die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist, dass die Partner zusammen an ihren Problemen arbeiten."