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Shakespeares Coriolan
Populist wider Willen

"Coriolanus" gehört zu den selten gespielten Werken William Shakespeares. Am Düsseldorfer Schauspielhaus verwandelt Regisseur Tilman Köhler die Tragödie um den römischen Feldherrn in eine Farce, mit hintergründigen Bezügen zum aktuellen politischen Geschehen.

Von Christoph Ohrem | 19.04.2019
William Shakespeare - eine zeitgenössische Darstellung des erfolgreichsten Bühnenautors aller Zeiten.
Shakespeare - Dramatiker mit einer Vorliebe für sinistre Herrschergestalten wie den antiken Coriolanus (dpa / picture alliance)
Shakespeares Tragödie "Coriolan" hat neben dem titelgebenden römischen Patrizier und General einen anderen, sozusagen heimlichen Hauptdarsteller: Das Volk. Immer wieder werden die Geschicke des stolzen, ja arroganten römischen Kriegers durch Volksmassen bestimmt – und schließlich besiegelt.
Regisseur Tilmann Köhler lässt dieses Volk zu Beginn seiner Inszenierung wie Ungeziefer aus dem dunklen Loch der Kanalisation in der Bühnenmitte hinaufkrabbeln und erst einmal in hektischer Betriebsamkeit die leere und gänzlich holzvertäfelte Bühne von Karoly Risz scheuern.
Die hungernden Plebejer Roms erscheinen als modernes Putz-Prekariat, gekleidet sind sie wie albtraumhafte Clowns mit roten Nasen in schrillen, bunten Kostümen mit weiß geschminkten Gesichtern, die eher an Stephen Kings Horrorclown "Es" erinnern als an die Kinderbespaßer aus dem Zirkus.
Erstaunliche Parallelen zur Jetzt-Zeit
Das Volk ist also auf der Straße und randaliert, es will nicht mehr auf Kosten der satten Oberschicht der Patrizier hungern. Als Coriolanus, gespielt vom Düsseldorfer Publikumsliebling André Kaczmarczyk, sie standesbewusst in ihre Schranken weist.
"Was gibt's, ihr Querulantenpack! Juckt euer kleines bisschen Grips euch so, dass ihr euch bis zum Aussatz kratzt?"

"Von Euch, da kriegen wir noch immer gute Worte, was?"

"Ein gutes Wort für dich, das wäre Schmeichelei, bei der es mir hochkommt."
Es ist wohl dem Zeitgeist geschuldet, dass in Düsseldorf gerade jetzt der selten gespielte "Coriolan" auf dem Spielplan steht. Der 400 Jahre alte Text, der sich mit einer noch einmal 2000 Jahre weiter zurückliegenden Zeit befasst, weist trotzt seiner so großen Entfernung immer wieder erstaunliche Parallelen zu heutigen Phänomenen auf, wenn Gelbwesten in Frankreich und Pegidademonstranten in Deutschland durch die Straßen ziehen, oder Populisten in Brasilien und den USA die Wahlen gewinnen.

Tilmann Köhler unterlässt es aber dankenswerter Weise diese Bezüge direkt in Bühnengeschehen zu übersetzen, sondern lässt seine teils bis zur Unkenntlichkeit maskierten Schauspieler den Text bis auf einige auf Pointen bedachte Einschübe häufig unverändert zur Rampe hin deklamieren. Die Deutung der aktuellen Bezüge überlässt er dem Publikum, auch wenn es durch diese Spielweise mit der Nase darauf gestoßen wird. Die Zuschauer im Saal sind das Volk, das sich hier von Despoten, Populisten und auch von eigenen Meinungsführern allzu leicht manipulieren lässt.
Von der Tragödie zur Farce
Es ist so einfach zu bezirzen, dass selbst der von ihnen gehasste Coriolanus, nachdem er eine große Schlacht entscheidend beeinflusst hat und jetzt von seiner Mutter getrieben das höchste Amt im Staate anstrebt, die Wahl zum Consul, dass selbst dieser Coriolanus es schafft, sie zu umgarnen. In moderner Wahlkampfmanier schwenkt er opportun ein mit Ronald McDonalds Konterfei bedrucktes Fähnchen.
"Was kostet denn bei euch das Konsulamt?"
"Also das kostet bei uns, freundlich darum zu bitten.
"Dann bitte ich freundlich Herr, es mir zu geben."
"Bester Mann, bester Mann, bester Mann..."
Regisseur Tilmann Köhler gestaltet die Tragödie Shakespeares zu einer Farce um, die durchaus für Coriolanus Partei ergreift, der von der Dummheit des Volkes geplagt ist. Er findet pointierte Bilder für das Geschehen, etwa wenn der Senator Menenius von den Volkstribunen an zwei Schlingen über die Bühne gezerrt wird oder Coriolanus, wenn er zum Feind überläuft seine rote gegen eine blaue Nase eintauscht.
Die stets auftauchende Clownerie als Abbild absurder Weltpolitik aber fügt sich nicht organisch ein in das Bühnenspiel und schielt so bei aller Unterhaltsamkeit, die die meist gelungenen Gags bieten, doch zu sehr darauf ab, den anspielungsreichen und sperrigen Text konsumierbar zu machen.

Köhler führt die Tragödie letztlich aber doch zu einem starken, ja utopischen Ende. Nachdem alle Figuren die Bühne verlassen haben, bleibt einzig Coriolanus' Sohn zurück, der als Verkörperung einer neuen Welt den überkommen Systemen den Kampf ansagt – und sich abwendet.

"Mit Verachtung kehre ich der Stadt, weil es eure ist, den Rücken. Es gibt auch anderswo noch eine Welt."