Samstag, 27. April 2024

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Shared Spaces
Münchener Kammerspiele erkunden Wohnmodelle

Eine winzig kleine Wohnung, eine Geheimdienstwohnung, ein Gemeinschaftstreffpunkt: die Münchener Kammerspiele zeigen Wohnformen der Zukunft. Das Programm "X shared spaces" soll mit Mitteln des Theaters auf die Fehler der Gegenwart hindeuten. Ein Theaterrundgang mit Blick hinter die Wohnungstüre.

Von Dorothea Marcus | 20.07.2018
    Ein Mann im derangierten Anzug, mit offenem Hemd und nackten Füßen, presst sich mit dem Rücken an ein Fenster, das mit einem Vorhang verhangen ist. Der Raum ist sehr klein und enthält Schreibtisch, Dusche, einen Schrank und ein Waschbecken. Das Bild ist schräg aufgenommen und scheint nach rechts zu kippen.
    Kinan Hmeidan, X Shared Spaces / Kammerspiele München (Julian Baumann / Kammerspiele München)
    Jeweils zwei Theaterbesucher gehen los, mit nichts als einem Zettel in der Hand, auf dem sind die Stationen vermerkt. Die Münchener Ludwigsvorstadt ist für sich ein Theatererlebnis. Direkt am Hauptbahnhof einer der reichsten Großstädte von Deutschlands öffnet sich eine Parallelwelt aus Euroshops, Kopftuchtragenden, Handyshops, Brautmoden. Und vielen Armutsgrüppchen. Zugleich einer der wenigen Orte, wo sich Studenten noch eine Wohnung leisten können – zumindest als Wohngemeinschaft. Paula öffnet die Tür in der Augustenstraße und bittet in ein abgedunkeltes Zimmer…
    Krasse Lebensungleichheit
    Fotos von Körperkult und Motorradleidenschaft pflastern die Wand. Ein schwarzer junger Mann sitzt auf dem Motor-Skateboard , er trägt einen Motorradhelm und zieht sein T-Shirt aus, er spannt die Muskeln an und kreist um den Besucher – setzt ihm mit dem melancholischen Song Bilder von Sehnsucht, Einsamkeit, Verlorenheit in den Kopf. Der Mann könnte ein Flüchtling sein, gestrandet in der kleinen prekären WG. Aber es ist der Künstler Jeremy Nedd, der sich selbst in eine tänzerische Installation verwandelt hat. Weiter gehts durch die bunten Straßen, es riecht nach Döner und Shisha, Männer sitzen in Caféhäusern. Und dann klettert man nach oben in einen sechsten Stock und es öffnet sich: ein stylishes Luxusloft mit zwei Balkonen und Betonboden, auf Dauer dem Markt entzogen als Air bnb -Wohnung – mit dem unbezahlbaren Flair des echten Lebens, das schön weit unten auf der Straße entsorgt ist. Die Young Boy Dancing Group zeigt hier mit an die Geschlechtsteile montierten Laserstrahlen einen wütenden Tanz über die krasse Lebensungleichheit, die hier auf engstem Raum parallel stattfindet.
    Doch die extremste Erfahrung eröffnet der Künstler Franz Wanner in der Goethestraße nebenan. Eine Geheimdienstwohnung, wie es viele gibt, gerade in München, getarnt als Firma "Südtechnik".
    Franz Wanner: "Ich bin sofort bei ihnen. Vielen Dank! Entschulldigen Sie. Einen Moment noch. Ich muss Sie bitten auf dem Monitor die Einweisung zu unterschreiben."
    Ein Bad der Extreme
    Der Theaterbesucher wird hier von zwei schneidigen Vorgesetzten ausgebildet – zum Befrager des BND. Und erhält gleich auch noch einen Tarnausweis ausgehändigt- schockierenderweise mit echtem eigenem Bild und Namen, heimlich aufgenommen aus der Laptop-Kamera, wo man eben noch eine Erklärung unterzeichnet hat.
    "Lassen Sie die Befragten zu Ihrer eigenen Sicherheit im Glauben, dass es sich hier um einen Üblichen Behördenakt im Rahmen des Asylverfahrens handelt. Der Teilnehmer muss zu jederzeit als freiwillig darstellbar sein, auch wenn sie Druck aufbauen… oder minderjährig sind…deuten Sie an dass eine Kooperation zu einem positiven Bescheid führen kann."
    Jahrelang hat der bildende Künstler Wanner über geheime Dienststellen des BND recherchiert, in denen Geflüchtete "geheimdienstlich abgeschöpft" wurden – die ausbeuterische Praxis: Informationen gegen Asyl - wurde erst 2015 unter öffentlichem Druck für beendet erklärt, um nun an anderen geheimen Orten weitergeführt zu werden – so Wanners These. Die ethische Grenzüberschreitung seiner Recherche-Ergebnisse spürt man in der Wohnung als neu angeworbener Befragungsoffizier körperlich. Ohnehin öffnet der Rundgang 3 von "X Shared Spaces" Welten, die sonst hinter dicken Fassaden verschlossen liegt. Ein Bad der Extreme ist es, wenn bei der nächsten Station die feministische Burschenschaft Molestia ein echtes Gespräch mit einer echten Sexarbeiterin ermöglicht. Was eben alles so hinter verschlossenen Türen liegt. Das Gefühl der Ausgeschlossenheit, das vor allem durch Wohnungspolitik gesteuert werden kann, in der Reichenstadt München ist es wohl besonders extrem. Und so ist es äußerst tröstlich, wenn man am Schluss von einem Auto abgeholt und zum "Bellevue di Monaco" gefahren wird, mit Augenbinde zu einer Ton-Installation…
    Letzte Utopie im Stadtraum
    Und letztlich erfährt, dass es eben doch Konzepte des Miteinanders gibt. Aus diesem einst leerstehenden Haus in bester Münchener Innenstadtlage ist ein Vorzeigeprojekt für das Zusammenleben geworden: Geflüchtete Neu-Münchner finden hier Unterkunft und Kontakt, kochen selbst mit im lichtdurchfluteten Café, und stellen bei der letzten Station hier entstandene Gedichte und Lebenskonzepte vor: ein wunderschöner Begegnungsort. Eine der letzten Utopien, die in dieser Stadt wohl noch möglich sind.