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Sibylle Lewitscharoffs "Killmousky"
Luftholen nach dem Skandal

Der Skandal um ihre Dresdner Rede über "Tod und Geburt" machte die Büchner-Preisträgerin Sibylle Lewitscharoff in diesem Frühjahr zur Persona non grata des Literaturbetriebs. Ihr neuster Roman mit dem Titel "Killmousky" ist ein überraschender und etwas harmloser Ausflug ins Krimingenre.

Von Ulrich Rüdenauer | 04.06.2014
    Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff am Rednerpult bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises.
    Nach ihrer Dresdner Rede ist Sibylle Lewitscharoff mit ihrer Aussage zu künstlich gezeugten Menschen zurückgerudert. (dpa picture alliance / Andre Hirtz)
    Um es gleich vorweg zu sagen: Im neuen Roman von Sibylle Lewitscharoff geht es weder um künstliche Befruchtung noch um "Halbwesen", er spielt weder in den Labors der Reproduktionsmediziner noch in den Lebensborn-Anstalten der Nazis. Dresden ist von den Schauplätzen dieses Buches sehr weit entfernt. Christlicher Fundamentalismus lässt sich schwerlich nachweisen. Und das Thema Sterben und Sterbehilfe, mit dem Lewitscharoff ihre bedenklichen Dresdener Gedanken einleitete, kommt hier nur in einem auf andere Weise verdächtigen Sinne vor, nämlich als Mordfall.
    Geradezu putzig beginnt Lewitscharoffs Buch, mit dem Schnurren eines Katers. Mit Würde tritt er in das Leben des frühpensionierten Kommissars Richard Ellwanger, der vom Dienst suspendiert worden ist, nachdem er einen Verdächtigen ein wenig zu hart ins Gebet genommen hat. Eines Abends sitzt der Kater maunzend auf Ellwangers Terrasse; den Namen für den anhänglichen Besucher borgt er sich aus der Krimiserie "Barnaby", die kurz zuvor im Fernsehen lief: "Killmousky". Der Dackel in "Apostoloff", der Löwe in "Blumenberg", und nun ein Kater – bald hat sich Sibylle Lewitscharoff einen munteren Privatzoo zusammengeschrieben:
    "Die Tiere haben große Bedeutung für mich, und ich lasse gerne mal eines durch das Gelände laufen. Der Kater hier ist ja nur eine periphere Figur, aber er hat eine gewisse Würde."
    Immerhin: Der neue Roman von Sibylle Lewitscharoff heißt nach dem Kater "Killmousky", auch wenn die Titelfigur im weiteren Verlauf tatsächlich eine bescheidene Nebenrolle zu spielen hat. In mehrerlei Hinsicht ist "Killmousky" ein ungewöhnliches Buch: Es ist ein lupenreiner Detektivroman, geschrieben zudem in einer äußerst reduzierten Sprache – und das bei einer Autorin, die für ihre sprachliche Exaltiertheit, ihre Metaphernfreude und polemischen Übertreibungsgesten bekannt und - spätestens seit ihrer Dresdener Rede - auch berüchtigt ist.
    Lupenreiner Detektivroman in reduzierter Sprache
    "Ich wollte mal wirklich etwas anderes ausprobieren. Das ist so als Fingerübung wirklich schön. Und ich muss auch sagen, ich lese zwar nicht allzu gerne Krimis, weil die doch oftmals zu schlecht geschrieben sind. Ich liebe natürlich Raymond Chandler, wer nicht, ja, aber ansonsten habe ich nichts Adäquates mehr gefunden, was an diese Kunst heranreicht. Und ich liebe auch nicht die extreme Form der Grausamkeit. Das langweilt mich. Das fünffache Hautabschneiden und was weiß ich, Augen ausstechen – irgendwann beim dritten Mal, sag ich mal, na, jetzt ist aber gut."
    Auch der Immoralismus der Figuren etwa von Patricia Highsmith ist Sibylle Lewitscharoffs Fall nicht:
    "Patricia Highsmith hat sehr gut geschrieben, ohne Frage. Aber ich mag die Geschichten nicht. Ganz einfach: Das widerstrebt meinem Gerechtigkeitsempfinden. Bei mir muss der Verbrecher einem Ende zugeführt werden, sei es einem gerichtlichen, sei es einem totähnlichen. Dass die so gut davonkommen, das ist nicht meine Welt. Ich bin wirklich der Gerechtigkeitsfanatiker, der aufklären und zur Strecke bringen will. Das ist für mich das klassische Genre, das ich nicht verlassen will. Hat mich immer gestört, obwohl sie wirklich gut geschrieben hat, keine Frage."
    Das klassische Genre verlangt nach einem klassischen Verbrechen – und nach Wiederherstellung der vom Verbrecher gestörten Ordnung. Lewitscharoff weicht von diesem Muster keinen Millimeter ab, und sie bedient sich ungeniert aus der Asservatenkammer des Kriminalromans – ein zunächst überforderter Private Eye, ein mysteriöser Todesfall, ein paar undurchsichtige Spuren, die in die Vergangenheit der Verdächtigen weisen, ein reizvolles, weil fremdes Milieu.
    Lewitscharoff fackelt nicht lange: Der aussortierte Kommissar Ellwanger, der sich zunächst sorgt, wie er seine Zeit in Zukunft totschlagen soll, kommt unverhofft zu seinem ersten Fall als Privatdetektiv. Seine wohlhabende, von ihm heimlich angeschwärmte Vermieterin, die in New York und München zu Hause ist, bringt ihn auf die Fährte:
    "Ellwanger glaubte für einen Moment, die Phantasie sei mit ihm durchgegangen. Aber nein, Frau Kirchschlager erklärte ihm seelenruhig, er könne von jetzt an als freier Detektiv arbeiten und sie habe für ihn den ersten Auftrag an Land gezogen. Sie kicherte: er sei ja so begabt! Ihn könne man nicht einfach so von der Fahne lassen. Ein gutbezahlter Job warte auf ihn, vergeben von einem reichen New Yorker, zu recherchieren sei aber in Deutschland. Schleunig solle er seine Sachen packen und herfliegen, alles Weitere würde ihm dann erklärt."
    "Ich bin ein Gerechtigkeitsfanatiker, der aufklären und zur Strecke bringen will"
    Eine junge Frau aus den besseren Kreisen New Yorks hat sich das Leben genommen – zumindest besagt das der Polizeibericht. Die Familie aber zweifelt an dieser Version. Sie hat den blendend aussehenden, parvenühaften und vom Tod seiner Frau profitierenden Gatten im Verdacht, beim tödlichen Fenstersturz etwas nachgeholfen zu haben. Wie ein Westentaschen-Marlowe beginnt Ellwanger mit seinen Ermittlungen:
    "Es ist schon Chandler, der mich richtig gereizt hat. Dessen auch so ein bisschen düstere, verhangene Plots, auch die Kriegsatmosphäre, die noch so durchsickert als Nachbeben, das ist schon ganz toll. Nur das kann man nicht nachbauen mit einem deutschen Kommissar, das ist ganz ausgeschlossen. Sie können auch die erotische Magie, die ja bei Chandler wirklich da ist und die ist einfach klasse, die können sie einem deutschen Mann nicht zueignen, weil der hat keinen tollen Krieg gewonnen, der ist nun, mein Alter, gar nicht kriegserfahren im Übrigen. Eros und Männlichkeit sind da nicht ganz so herbeizuzwitschern, wie Chandler es gekonnt hat, das geht nicht."
    "Ellwanger kam sich komisch vor, wie er da im Pyjama am Schreibtisch hockte, den Hörer in der Hand, während Killmousky um seine nackten Füße strich. (...) Aus Ellwanger, dem erfahrenen Kriminalkommissar im vorzeitigen Ruhestand, wurde urplötzlich wieder der kleine Bub aus dem Hohenlohischen, der sich vor allem und jedem fürchtete. Trotzdem, er hatte gar keine Wahl. Er würde es tun. Besser, sich in New York zu blamieren, als in Solln zu vergammeln."
    Ein Humphrey Bogart oder Robert Mitchum ist dieser Ellwanger wahrlich nicht. Aber unterschätzen sollte man ihn dennoch auf keinen Fall. Mit sicherem Gespür und dem hellwachen Blick des Fremden entdeckt er die Risse in einer Geschichte, die immer geheimnisvoller wird, in New York ihren Anfang nimmt und ihn schließlich zurückführt an den eigenen Geburtsort Gerabronn.
    Spuren werden in diesem Kriminalroman nach und nach zu Indizien, Indizien zu handfesten Beweisen. Wie unterscheidet sich die Arbeit an einem Krimi, bei dem jedes Rädchen passgenau ins andere greifen muss, vom sonstigen Schreiben Sibylle Lewitscharoffs?
    "Ich konstruiere meine anderen Romane auch sehr stark im Voraus im Kopf. Das heißt, ich kann eigentlich gar nicht schreiben, wenn ich nicht schon den vorgängigen Prospekt vor Augen habe und das Ende schon weiß, dann fang ich überhaupt nicht mit dem ersten Satz an. Das ist zwanghaft geradezu. Ich schreibe nie ins Offene hinein. Nur hat man bei den anderen Romanen viel größere Freiheiten dazwischen, das heißt also, man kann sich kleine Blindschleichen, Ablenkungsschnüre usw., komische Pfade seitwärts erlauben. Das ist bei einem Kriminalroman nur bedingt möglich, weil man ja nicht ein zu großes Verwirrspiel anzetteln sollte, man muss schon wissen, wohin es geht, und, sagen wir mal, die ein, zwei falschen Fährten, die man vielleicht, auf die man zuhalten muss, das reicht dann, aber nicht zehn Schleichpfade, ja, wo es in die Irrnis oder in die Verwilderung geht. Das mag ich eigentlich nicht. Ich mag wirklich die klassisch durchkomponierten Romane: Erst mal weiß man nicht so recht, es werden zwei, drei Möglichkeiten offeriert und man tappt noch im Dunkeln, und dann gibt es die Auflösung."
    Der stoffelige Kommissar und die Upper-Eastside-Blondine
    In einem Showdown löst sich schließlich alles auf. Ausgeplaudert seien hier aber weder die Wendungen dieses Falls noch der Täter – denn auch davon lebt "Killmousky" wie jeder Kriminalroman, dass man zwar frühzeitig ahnt, wo der Hase läuft, aber doch nicht wohin. Sibylle Lewitscharoff scheint die Arbeit am Krimi Freude bereitet zu haben. Sie spielt unbefangen mit dem Trivialen, montiert kleine Motive aus den Nachrichten der letzten Jahre in die Handlung, scheut sich nicht vor Zitaten aus Fernsehkrimis und blendet Bilder des Film Noir in ihre Geschichte ein. Ellwanger ist zwar beileibe kein Robert Mitchum, aber eine Charlotte Rampling-hafte Femme fatale legt ihm Lewitscharoff doch ins Bett. Der stoffelige Kommissar und die Upper-Eastside-Blondine, das Landei und die New Yorker Gesellschaft – größere Gegensätze sind kaum vorstellbar:
    "Und mich hat eines sehr gereizt: Und zwar, ich hasse es regelrecht, wenn deutsche Autoren als Kenner über New York schreiben, das finde ich fürchterlich. Also diese Art, den Menschen zeigen zu wollen, ich habe die Welt in meiner Tasche, das ist sowas Lächerliches, ich wollte da wirklich auch mit Absicht das Gegenprogramm fahren. Deswegen die Vorstellung von einem Kommissar, der zwar sehr gut ist in seinem Beruf, aber ein bitterarmes, scheußliches Englisch spricht und sehr verunsichert wird bei reichen Amerikanern, mit denen er sich überhaupt nicht auskennt. Und das fand ich einfach eine witzige Konnotation, das ist ja viel charmanter auch. Also eigentlich ein Held, der er durchaus ist in manchem, den auf ein schlüpfriges Geleise zu führen, wo für ihn erst mal nichts funktioniert und er übrigens auch erst mal nichts aufklären kann, weil ihm die Mittel, die sprachlichen Mittel fehlen auch. Das fand ich schon eine reizvolle Figur, muss ich sagen."
    "Er hingegen war auch in München immer ein Provinzler geblieben, der seine gedrückte Herkunft aus dem Hohenlohischen niemals hatte abstreifen können."
    "Ich kann mir nicht vorstellen, wer zum ersten Mal in so ein reiches Haus kommt, ich bin das in New York auch mal gekommen, und ich komme nicht aus der Unterschicht wie Ellwanger, ich komme aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, aber nicht so, mein Vater war schon Arzt, also schon was anderes, aber da war ich auch einigermaßen vor den Kopf geschlagen, oder ich war eingeladen bei einem Charity-Essen von Milliardären... Also, ich hab reagiert wie der gequetschte Kleinbürger, eine Mischung aus Bewunderung und Aggression. Das ist sehr schwer, sich da zu behaupten und diese Art von Reichtum zu verkraften, wenn man das überhaupt nicht kennt. Also, da hatte er mein Mitgefühl, der Mann."
    Überraschender und ein wenig harmloser Genreausflug
    Unsere Sympathie hat er ebenfalls. Man verrät nicht zu viel, wenn man andeutet, dass er seinen ersten Job als Privatdetektiv mit Bravour zu Ende bringt. Und der überraschende, auch ein wenig harmlose Genreausflug Sibylle Lewitscharoffs ist für die Autorin möglicherweise ein willkommenes Luftholen nach ihrer Skandalrede – und vor dem nächsten größeren literarischen Streich:
    "Ich habe von den Themen her immer gerne ein bisschen was anderes vor mir, und das nächste Buch, das ich schreiben will, das ist für mich eigentlich so die große Herausforderung, das ist nun etwas ganz anderes, das ist wirklich ohne Rücksicht auf Leser, das ist wirklich eine 180 Grad-Wendung, und davor wollte ich aber gerne mal sowas Realistisches einbauen, zur Selbstberuhigung, und auch, um nicht nur auf einer Schiene so weiterzumachen. Weil das nächste ist angesiedelt in einem ganz hohen Raum, bei Dante usw., und ich habe mich davor gefürchtet, so eine Folge zu leisten wie Blumenberg, Dante, ist das nächste dann Homer oder ist es Moses? Das ist lächerlich. Da kommt mir ein schwarzer Kater und ein Herr Ellwanger gelegen... das ist da das richtige Gegenprogramm dazu."

    Sibylle Lewitscharoff: "Killmousky".
    Suhrkamp Verlag, Berlin 2014, 223 Seiten, 19,95 Euro.