Samstag, 04. Mai 2024

Sicherheitsgesetz zum Sport in Hongkong
Die Eigenständigkeit läuft langsam ab

Der Einfluss Pekings in Hongkong nimmt weiter zu. Vor kurzem wurde das so genannte "Sicherheitsgesetz" in der Sonderverwaltungszone ausgeweitet. Unter diesem wachsenden Druck bietet zumindest der Sport noch einige Freiräume.

Von Ronny Blaschke | 20.04.2024
Matthew Orr hebt bei einem Fußballspiel beide Arme
Fans beobachten genau, wie die Fußball-Nationalspieler Hongkongs zu chinesicher Symbolik stehen und ob und wie zum Beispiel Matthew Orr die chinesische Nationalhymne mitsingt. (picture alliance / newscom / Dickson Lee)
Das Mongkok-Stadion in Hongkong liegt mitten in einem Wohngebiet. Ende Januar trifft hier eine Fußballauswahl der Sonderverwaltungszone auf ein Team aus Guangdong, aus der Nachbarprovinz im Südosten Chinas. Rund 5.000 Fans aus Hongkong besingen ihre Heimatstadt - und buhen den Gegner aus. Auch aus politischen Gründen.
"Der Fußball bietet einen Freiraum. Wir versuchen, unsere Ablehnung gegen China auf die Spieler von Guangdong zu übertragen", sagt der Hongkonger Student Lee, der Fußball und Fankultur in sozialen Medien dokumentiert. Seinen richtigen Namen möchte er nicht nennen. "Der Sport ist eine sehr gute Plattform. Hier können wir Hongkonger zeigen, dass wir eine eigenständige Identität haben."
Seit Jahren verschärft Peking die Repression in Hongkong. Aktivisten werden verhaftet, Medien geschlossen. Tausende Menschen verlassen die Stadt. Nach und nach übernimmt die Lokalpolitik Gesetze der Volksrepublik. Im Sport in Hongkong kann das Ausbuhen der chinesischen Hymne Haftstrafen nach sich ziehen, das gilt auch für das Zeigen von Symbolen der alten britischen Kolonialmacht. Doch die Fans finden Wege, um ihre Abneigung gegen China zum Ausdruck zu bringen, berichtet Lee. "Es gibt einen kontroversen Fall. Der Fußballer Dai Wai Tsun wuchs in Hongkong auf, aber entschied sich für das Nationalteam Chinas. Wir bezeichnen ihn als Verräter."

Fans stehen unter Beobachtung

Lange schien sich Peking für diesen Unmut im Fußball wenig zu interessieren, aber das ändert sich. Seit kurzem müssen Sportverbände in Hongkong den Namenszusatz "China" tragen. Und zuletzt vor der Fußball-Asienmeisterschaft musste ein Testspiel zwischen der Volksrepublik und Hongkong ohne Publikum stattfinden. Hongkong gewann das Spiel 2:1 und nahm dann in Katar zum ersten Mal seit über 50 Jahren wieder an einer Asienmeisterschaft teil. Mit mehr als 500 mitgereisten Fans.
 "Selbst in Katar standen Fans aus Hongkong unter Beobachtung", sagt Lee. "Wenn sie dort das Nationale Sicherheitsgesetz missachtet hätten, hätte es Konsequenzen geben können. Die Fans waren vorsichtig und haben ununterbrochen Hongkong angefeuert. Für 90 Minuten waren sie eine große Gruppe, die sich auch durch die Abgrenzung von China verbunden fühlt. Aber danach, und das ist uns allen klar, sind wir politisch klar im Nachteil gegenüber China."

Sportverbände in Hongkong weiter geduldet, auch im Interesse Chinas

Fans wie Lee beobachten genau, wie sich die Nationalspieler Hongkongs zu den Symbolen der Volksrepublik verhalten. Da ist zum Beispiel der Offensivspieler Matthew Orr, der die chinesische Hymne stets mitsingt. Aber, so glaubt Lee, ohne große Leidenschaft. Seine Vermutung: Matthew Orr möchte sich seine Karriere nicht verbauen, denn er steht bei einem Klub im chinesischen Shenzhen unter Vertrag.
Der österreichische Sportsoziologe Tobias Zuser geht davon aus, dass Hongkong weiterhin eigene Sportverbände haben wird, zumindest auf dem Papier: "Das kann auch im Interesse von China sein, zum Beispiel im Internationalen Olympischen Komitee, wenn es Abstimmungen gibt, oder auch in der asiatischen Fußball-Konföderation. Dass sie mehr Stimmen haben auf ihrer Seite."

Chinas Volleyballerinnen in Hongkong beliebt

Es gibt aber auch Funktionäre und Sponsoren in Hongkong, die den Einfluss aus Peking im Sport kommerziell nutzen wollen. Seit Jahren werben sie dafür, dass ein Fußballteam aus Hongkong in die lukrative chinesische Super League aufgenommen wird. Insbesondere im Fußball lehnen viele hartgesottene Fans die Annäherung aber ab.
In anderen Sportarten sind aber auch chinesische Athleten in Hongkong sehr anerkannt, sagt Tobias Zuser, der seit langem in Hongkong lehrt: "Da ist vor allem das chinesische Frauen-Volleyball-Nationalteam sehr beliebt. Die kommen auch normalerweise einmal im Jahr nach Hongkong. Es gibt hin und wieder auch Situationen, zum Beispiel, wo ein Hongkong-Team in einer chinesischen Liga spielt. Das ist momentan der Fall in der zweiten Basketballliga."

Zusammengehörigkeitsgefühl durch Olympia

Peking sorgt im Sport für eine seltene Konstellation. Die Menschen in Hongkong sollen ihre Heimat nicht mehr als Nation bezeichnen, dürfen aber eigene Nationalteams unterstützen. Der globale Einfluss Chinas wächst, auch deshalb scheint sich das IOC mit einer Bewertung zurückzuhalten. Nun bei den Olympischen Spielen in Paris dürften die Athleten Hongkongs unter Beobachtung aus Peking stehen. So wie bei den vergangenen Spielen 2021 in Tokio, als die Sportler Hongkongs sechs Medaillen gewannen, darunter eine in Gold.
 "Als diese ersten Meldungen hereinkamen, dass Hongkong gewinnt, ist das Interesse rasant angestiegen", sagt Tobias Zuser. "Und dann kam es eben auch zu diesen Momenten, wo dann Leute in Einkaufszentren 'Hongkong' rufen."
Der Sport bietet den Menschen in Hongkong die seltene Möglichkeit, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu empfinden. Wie lange Hongkong noch Sportler zu Olympischen Spielen schickt, ist ungewiss. Sicher ist: Die Eigenständigkeit läuft langsam ab.