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"Sie war kein Heimchen am Herd"

Nach außen habe Hannelore Kohl häufig eine Maske getragen, privat sei sie ein witziger und sympathischer Mensch gewesen, sagt Heribert Schwan, Autor der Biografie "Die Frau an seiner Seite: Leben und Leiden der Hannelore Kohl". Die Spendenaffäre um ihren Mann habe sie aber letztendlich kaputt gemacht.

Heribert Schwan im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.06.2011
    Friedbert Meurer: Sie war die Frau an der Seite des Bundeskanzlers, der am längsten in Deutschland regierte: Hannelore Kohl. Von ihr ist die Rede. Ihr Freitod am 5. Juli vor zehn Jahren hat viele in Deutschland erschüttert. Im Gegensatz zum Beispiel zu einer Stephanie zu Guttenberg blieb Hannelore Kohl stets im Hintergrund hinter ihrem Mann Helmut Kohl.

    O-Ton Hannelore Kohl: Wahlkampf, das ist für mich doch Teil meines Lebens. Ich weiß nicht, ob Sie das Jahr 1955 schon erlebt haben; das war jedenfalls das Jahr, als die Abstimmung an der Saar war, und da habe ich bereits den VW gefahren, in dem mein Mann als Wahlkämpfender dort tätig war. So war das immer. Ich war immer der Meinung, ich bin nicht der politische Mandatsträger, sondern ich stehe selbstverständlich entweder daneben, oder durchaus auch zurück.

    Meurer: Hannelore Kohl. – Diese Woche ist eine Biografie von ihr erschienen, Titel: "Die Frau an seiner Seite: Leben und Leiden der Hannelore Kohl". Geschrieben hat es Heribert Schwan. Guten Morgen, Herr Schwan.

    Heribert Schwan: Guten Morgen.

    Meurer: Wie sehr litt Hannelore Kohl?

    Schwan: Hannelore Kohl litt eigentlich schon seit der Geburt. Sie ist als Frühchen auf die Welt gekommen, zwei Monate zu früh, da begann schon ihr Kampf. Dann ging es weiter in einer großbürgerlichen Familie, da hat sie sich sehr wohl gefühlt, sie wurde verwöhnt, wie man sich das kaum noch vorstellen kann heute. Sie wurde abgöttisch geliebt von ihrem Vater, die Mutter war distanziert. Und dann kam die Flucht 1945, und auf dieser Flucht ist sie mehrfach vergewaltigt worden als 12-Jährige. Dann kam der Absturz – ich muss das einfach in dieser Kürze so sagen -, der Absturz, der gesellschaftliche Absturz der Familie, Hungerzeiten gab es nach 45 wie in Millionen anderen Familien, und dann ging es weiter. Erst als Helmut Kohl sie kennenlernte, da ging es eigentlich aufwärts mit ihr, da war sie wirklich gesichert, der Fels in der Brandung gab ihr alles, was sie brauchte.

    Meurer: Sie haben sie in den 80er-Jahren, Herr Schwan, in Oggersheim gesehen, im Bungalow. Wie hat sie auf Sie persönlich gewirkt?

    Schwan: Ich habe ja einen Film über sie gedreht, einen Film über den Mann, ich habe ein Buch über ihren Mann geschrieben und ich habe sie damals kennengelernt. Ich habe versucht, ihr näher zu kommen, insofern, als ich versuchte, dieses Geheimnis zu klären, was war hinter dieser Maske, die sie ja häufig so nach außen zeigte. Sie war ein sympathischer Mensch, sie war ein Mensch, der witzig sein konnte, wirklich auch verbal witzig, also witzig insofern, als man oftmals lachen konnte. Sie stellt sich ganz anders dar, wenn man sie persönlich unter vier Augen hatte. Also das war schon eine tolle Frau, eine Frau, die immer sehr diszipliniert war, die immer auf Leistung war und die immer hinter ihrem Mann stand und alles tat, um ihrem Mann die Karriere zu ermöglichen.

    Meurer: Bisher hat man ihr Unrecht getan, irgendwie ist sie ja auch als Heimchen am Herd verspottet worden, und das jetzt bei dieser Biografie, was sie alles erlitten hat und was Sie uns schildern.

    Schwan: Danke, Herr Meurer.

    Schwan: Also sie war kein Heimchen am Herd. Sie hat natürlich als Lebensaufgabe die Erziehung der Kinder gesehen. Sie hat Großartiges geleistet für das ZNS, für die Verletzten des Zentralen Nervensystems, für die Hannelore-Kohl-Stiftung Millionen gesammelt, das war ihr Lebenswerk, das ist ihre Lebensleistung. Nein, Hannelore Kohl war nicht das Heimchen am Herd, sie war selbstständig, sie konnte die Sprachen. Sie konnte die Sprachen wie keine andere Kanzlergattin der Bonner Republik. Sie war glänzend in Englisch und Französisch. Nein, sie war eine Sympathieträgerin für die CDU, eine Sympathieträgerin für Helmut Kohl. Und dann kam halt die Krankheit 1993 und das hat sie natürlich sehr zurückgeworfen.

    Meurer: Sie hat eine Lichtallergie gehabt, sie musste also immer im Dunklen bleiben, eine furchtbare Krankheit, und damals hat man dann gesagt, vor zehn Jahren, das war das Motiv ihres Selbstmords. Zweifeln Sie dieses Motiv an?

    Schwan: Sie war nicht krank an Lichtallergie, sie war krank an Depression. Ich zweifle dieses Motiv an. Sie war im Grunde genommen kaputtgemacht worden durch die Spendenaffäre, sie war kaputtgemacht worden durch die Einsamkeit, auch die Söhne, die nicht mehr so häufig zu ihr kamen, die natürlich ihren Weg gingen, und sie ist kaputtgemacht worden durch Gerüchte und schließlich die Depression. Da hatte sie keine Kraft mehr.

    Meurer: Gerüchte welcher Art?

    Schwan: Gerüchte über Beziehungen, die ihr Mann hatte. Dabei muss man wirklich sagen, damals war ja die schreckliche Spendenaffäre für die Familie Kohl und er musste sich verteidigen, er musste in Berlin bleiben, aber sie saß traurig in der Dunkelheit in Oggersheim.

    Meurer: Die Version, Helmut Kohl hat seine Frau irgendwie alleine gelassen, die teilen Sie nicht?

    Schwan: Nein, in der Form umfänglich nicht. Allerdings hätte er sich noch mehr um sie kümmern können, aber niemand hat natürlich zu diesem Zeitpunkt damit gerechnet, dass das das Ende sein würde im Juli 2001. Man hoffte ja immer noch, dass es Hilfe geben könnte, um die Krankheit zu heilen.

    Meurer: "Die Frau an seiner Seite: Leben und Leiden der Hannelore Kohl", dieses Buch ist diese Woche in die Buchhandlungen gekommen, und ich sprach darüber mit dem Autor Heribert Schwan. Ich danke Ihnen für den Besuch im Studio. Auf Wiedersehen!
    Einstige Gastgeber im Kanzlerbungalow: Hannelore Kohl und ihr Mann Helmut auf dem Wolfgangsee, 1986
    Einstige Gastgeber im Kanzlerbungalow: Hannelore Kohl und ihr Mann Helmut auf dem Wolfgangsee, 1986 (AP Archiv)