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"Sieger dieser Landtagswahlen sind ganz sicherlich die Grünen"

Der Wahlsieg der Grünen sei eine Volksabstimmung über die Zukunft der Kernkraft, sagt Frank-Walter Steinmeier. Schwarz-Gelb habe die von Kanzlerin Merkel ausgerufene "Schicksalswahl" verloren - doch habe "im Zweifel der Machterhalt Priorität", fürchtet der SPD-Politiker.

Frank-Walter Steinmeier im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.03.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Debakel für CDU und FDP, Triumph für die Grünen, starke Verluste für die SPD in Rheinland-Pfalz, aber dort die Regierungsführung und wohl auch die Regierungsbeteiligung in Baden-Württemberg. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Frank-Walter Steinmeier, dem Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Morgen, Herr Steinmeier.

    Frank-Walter Steinmeier: Guten Morgen, Herr Heckmann! Ich grüße Sie.

    Heckmann: Herr Steinmeier, die SPD wird Juniorpartner, so wie es aussieht, der Grünen in Baden-Württemberg. Erleben wir also das Ende der SPD als Volkspartei?

    Steinmeier: Nein, ganz sicher nicht, und ich weiß noch nicht, ob das wirklich, wie es heute häufig kommentiert wird, langfristige tektonische Verschiebungen geben wird. Das war eine Wahl, bei der das Wahlergebnis auch ein wenig eine Volksabstimmung über die Zukunft der Kernkraft war. Das hat ganz ohne Zweifel den Grünen mehr genutzt als uns. Nur die Rollen von Siegern und Verlierern sind klar verteilt. Sieger dieser Landtagswahlen sind ganz sicherlich die Grünen und Verlierer sind diejenigen, die im Bund regiert haben, Union und FDP.

    Heckmann: Und zu den Siegern zählen Sie auch Ihre Partei, die SPD. Aber Minus zehn Prozent in Rheinland-Pfalz, 23 Prozent in Baden-Württemberg, das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Landes, das möchten Sie uns nicht als Erfolg verkaufen, oder?

    Steinmeier: Ich habe eben unter den eindeutigen Siegern die Grünen aufgezählt und ich bekenne offen, ich hätte mir mehr Stimmen für die SPD gewünscht. Ganz ohne Zweifel war es aber so, dass die Menschen häufiger zur Wahl gegangen sind, Wahlenthaltung zurückgegangen ist, und dies hat zu tun, dass die Menschen ganz offenbar ein deutliches Zeichen geben wollten über die Zukunft der Energiepolitik in diesem Lande, und das hat bei den Grünen mehr eingezahlt als bei der SPD. Nun will ich das nicht durchweg schön reden, aber wenn Sie es jetzt mal auf die Landtagswahlen in diesem Jahr beziehen, es sind vier Landtagswahlen, die wir jetzt gehabt haben, von Hamburg kommend über Sachsen-Anhalt jetzt nach Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, nach vier Landtagswahlen werden wir in vier Landesregierungen regieren. Das ist kein schlechter Auftakt für ein Landtagswahljahr.

    Heckmann: Aber, Herr Steinmeier, was ist der Grund dafür, dass die SPD diesmal zumindest nicht profitieren konnte? Ist das wirklich nur das Thema Energiepolitik?

    Steinmeier: Das ist sicherlich nicht nur das Thema Energiepolitik, aber es hat ja ganz ohne Zweifel, das werden Sie ja auch nicht anders bewerten, bei diesen Landtagswahlen eine herausragende Rolle gespielt.

    Heckmann: Welche Gründe kamen hinzu?

    Steinmeier: Das dürfen Politiker auch nicht kritisieren, wenn das so ist. Die Katastrophe in Japan hat die Menschen ganz ohne Zweifel berührt. Sie wissen, dass das, was in Japan stattfindet, zunächst mal unser Mitgefühl und unsere Anteilnahme verlangt, aber sie fragen auch danach, was ist richtig und was ist falsch an den energiepolitischen Entscheidungen, und sie haben gesagt, falsch ist eindeutig der Weg zurück in die Kernkraft, die Verlängerung der Laufzeiten. Darüber haben sie deutlich abgestimmt in diesen Landtagswahlen, keine Frage.

    Heckmann: Also gibt es keinen Grund für die SPD, Herr Steinmeier, selbstkritisch auch auf das Ergebnis zu schauen?

    Steinmeier: Aber ich wäre, Herr Heckmann, vorsichtig. Sie wollen das ja nahelegen, das verstehe ich auch.

    Heckmann: Nein, ich will nur fragen.

    Steinmeier: Aber ich wäre noch vorsichtig, das wirklich als langfristige Strukturveränderungen im Parteisystem anzuerkennen. Ganz ohne Zweifel sind die Grünen stärker geworden, aber die Grünen regieren jetzt in zwei Ländern mit, in denen sie bisher nicht regiert haben. Das wird mittelfristig, auch lang-, einiges wieder korrigieren.

    Heckmann: Ich wiederhole meine Frage noch mal, Herr Steinmeier. Es gibt keinen Grund für die SPD, selbstkritisch auf das Ergebnis von gestern zu schauen?

    Steinmeier: Ach, Herr Heckmann, Sie wissen, ich gehöre nicht zu denjenigen, die zu jeder Zeit alles schön reden, und meine Kommentierung des Wahlergebnisses war ja, natürlich hätte ich mir gewünscht, dass die Wähler häufiger ihr Kreuzchen bei der SPD gemacht hätten, sowohl in Rheinland-Pfalz, wie in Baden-Württemberg. Aber ich habe mir das natürlich gestern Abend und die Tage zuvor angeschaut; ich habe gesehen, dass die Themen, die mit der SPD verbunden werden, soziale Gerechtigkeit oder, wie zuletzt im Vermittlungsausschuss, Mindestlöhne, keine erhebliche Rolle mehr gespielt haben bei diesen Landtagswahlen, und das schlägt sich dann auch im Wahlergebnis nieder. Das finde ich schade, aber ich kann den Wähler nicht dafür kritisieren, dass er die Zukunft der Energiepolitik als die entscheidende Frage bei diesen Landtagswahlen beurteilt hat.

    Heckmann: Herr Steinmeier, über eine Mehrheit im Bundesrat verfügte Schwarz-Gelb ja auch schon vorher nicht mehr. Faktisch kann Angela Merkel bis 2013 so weitermachen wie bisher, wenn die Partei sie denn lässt.

    Steinmeier: Na ja, die Preise werden deutlich höher werden jetzt im Bundesrat, und das ist genau das, was Angela Merkel sorgen wird. Insbesondere der Ausgang der Wahlen in Baden-Württemberg wird dafür sorgen, dass noch mal sechs Stimmen im Bundesrat auf die Seite von Rot-Rot-Grün wechseln. Das macht natürlich Mehrheitsbildungen aus der Perspektive der Bundesregierung schwieriger.

    Heckmann: Das heißt, Sie werden größere Forderungen stellen in bestimmten Bereichen? In welchen?

    Steinmeier: Na ja, es wird nicht so ganz einfach sein, Landesregierungen, die nicht unions- und FDP-geführt sind, dazu zu überreden, Projekte der Regierung im Bund mitzumachen. Natürlich!

    Heckmann: Das heißt, Sie werden den Bundesrat auch benutzen, um Projekte zu blockieren?

    Steinmeier: Im Bundesrat finden Mehrheitsbildungen statt. Es geht doch nicht um Blockade um seiner selbst Willen. Wer das versucht, wird dafür keine Anerkennung für den Wähler finden. Aber nehmen Sie das Beispiel Vermittlungsausschuss beim letzten Mal. Das war doch höchst sinnvoll, ein Vermittlungsverfahren dafür zu nutzen, dass wir in drei wichtigen Branchen, wie ich vorhin gesagt habe, Mindestlöhne durchsetzen. Ich glaube, die Menschen haben nach sieben Wochen harten Verhandlungen auch gesehen und gewusst, dass lange Verhandlungen und Mehrheiten im Bundesrat erforderlich sind, um Politik durchzusetzen, bessere jedenfalls als die, wie sie von der Bundesregierung vorgeschlagen war.

    Heckmann: Glauben Sie, dass Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode durchhalten wird?

    Steinmeier: Ach, das will ich nicht entscheiden. Natürlich ist das ein Beben, das von Baden-Württemberg in Richtung Bundesregierung ausgeht, ein Beben, das vermutlich nicht nur die FDP erreicht. Dort wird sicherlich heute heftig diskutiert werden über das Personal der FDP. Ich nehme an, dass Herr Brüderle davon nicht ganz ungeschoren kommen wird, fortkommen wird, ich sehe, dass über Frau Homburger diskutiert wird, und wir haben ja gestern Abend schon in Agenturmeldungen lesen können, noch vor dem Wahlergebnis hat Herr Westerwelle bereits die Notwendigkeit gesehen zu betonen, dass er auf keinen Fall zurücktreten wird. Das alles deutet darauf hin, dass wir insbesondere bei der FDP größere Turbulenzen erfahren werden im Laufe des heutigen Tages, oder der Woche. Bei der CDU muss man mal sehen, aber Fröhlichkeit wird dort nicht herrschen.

    Heckmann: Gerhard Schröder und Franz Müntefering, die haben ihr Heil in Neuwahlen gesucht, 2005 nach den verlorenen Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Würden Sie das, mit der Bitte um eine kurze Antwort, Frau Merkel auch empfehlen?

    Steinmeier: Frau Merkel war diejenige, die Baden-Württemberg zu einer Schicksalswahl hochgeredet hat. Sie hat diese Schicksalswahl verloren, Union und FDP haben diese Schicksalswahl verloren. Insofern hätten sie eigentlich beide die notwendigen Schlüsse zu ziehen. Ich zweifele, weil bei dieser Regierung im Zweifel der Machterhalt Priorität haben wird.

    Heckmann: Frank-Walter Steinmeier live hier im Deutschlandfunk, der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Steinmeier, ich danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    Steinmeier: Gerne. Vielen Dank, Herr Heckmann.

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