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"Das wird ein sehr munterer Streit bei CDU und FDP werden"

Jürgen Trittin sagt Schwarz-Gelb einen Koalitionsstreit um die Kernenergie voraus. Für Kanzlerin Merkel werde das Regieren "sehr, sehr viel schwieriger". Die Grünen seien dagegen für ihre Beständigkeit in der Atomfrage belohnt worden.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 28.03.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon ist jetzt wie erwähnt Jürgen Trittin, Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Wir wollen über den Wahlausgang von gestern sprechen. Schönen guten Morgen, Herr Trittin.

    Jürgen Trittin: Guten Morgen!

    Heckmann: Zunächst aber aus aktuellem Anlass eine Frage zu Japan. Die dortige Regierung geht davon aus, dass es eine vorübergehende teilweise Kernschmelze gegeben hat. Wie ist das aus Ihrer Sicht zu bewerten?

    Trittin: Die japanische Regierung redet immer noch um die Wahrheit herum. Selbst die deutsche Bundesregierung geht mittlerweile seit fast gesagt Wochen davon aus, dass die Kernschmelze eingesetzt hat. Ob diese Kernschmelze eine vorübergehende bleiben wird, das hängt davon ab, ob es gelingt, die Anlagen so runterzukühlen, dass der Prozess der Kritikalität aufgehalten wird. Das ist überhaupt nicht ausgemacht. Anders gesagt: Bis heute beschönigt auch die japanische Regierung die Situation, während die Art und Weise, wie der Betreiber Tepco agiert, einfach nur noch als skandalös zu bezeichnen ist in seiner Informationspolitik.

    Heckmann: Das heißt, Sie unterstellen der japanischen Regierung in der Tat, dass sie die wahren Ausmaße der Katastrophe vertuscht?

    Trittin: Das ist jetzt eine Interpretation meiner Äußerungen, die ich so nicht gesagt habe. Ich habe gesagt, man kann nur dann von einer vorübergehenden Kernschmelze reden, wenn es tatsächlich gelingt, den Prozess der Kernschmelze dort aufzuhalten. Ob das gelingt, das ist alles andere als sicher. Man muss sich klar machen, dass zum Beispiel diese Frage in Harrisburg bei dem dortigen Kernschmelz-Unfall erst nach eineinhalb Jahren mit Sicherheit zu beantworten war.

    Heckmann: Herr Trittin, das Thema Atomkraft hat ja in seiner Bedeutung für die Landtagswahlen, die gestern stattgefunden haben, unsagbar zugelegt, vor dem Hintergrund eben der Katastrophe in Japan, und die Grünen, die sind die Gewinner dieser Katastrophe. Kann man das so sagen?

    Trittin: Die Grünen vertreten seit ihrer Gründung, dass man aus dieser nicht beherrschbaren Technologie rausgehen muss. Sie haben in Baden-Württemberg gestritten für eine Energiepolitik, die für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie und einen endlichen Einstieg in erneuerbare Energien gestanden hat. Das ist in Baden-Württemberg bekanntermaßen brutal blockiert worden. Man wollte Laufzeiten von 60 Jahren und hat den Ausbau der erneuerbaren Energie, wo immer es geht, bürokratisch abgewürgt. Insofern haben wir vor der schrecklichen Katastrophe in Fukushima, die auch wir in diesem Ausmaß nicht vorhergesehen haben, vor dieser Katastrophe das vertreten, was wir auch nach der Katastrophe vertreten haben, und offensichtlich belohnen die Wählerinnen und Wähler Beständigkeit und Solidität.

    Heckmann: Aber dennoch haben die Wahlen in einem sehr besonderen, einzigartigen Umfeld stattgefunden. Insofern ist fraglich, ob dieser Höhenflug nachhaltig ist, denn Sie gehen doch nicht davon aus, dass noch einmal kurz vor Wahlen ein Atomkraftwerk in die Luft zu gehen droht, oder?

    Trittin: Das kann sich und will sich niemand wünschen, und niemand wünscht sich das, auch kein Grüner. Ich muss nur darauf hinweisen, dass ungefähr seit 2005, die vorletzten Bundestagswahlen, die Grünen bei jeder Landtagswahl kontinuierlich hinzugewonnen haben, teilweise mit Entwicklungen wie in Nordrhein-Westfalen, wo wir uns prozentual verdoppelt haben. Nun haben wir uns in Rheinland-Pfalz verdreifacht, bei den hessischen Kommunalwahlen verdoppelt und in Baden-Württemberg ebenfalls. Ich wäre nicht geneigt, diese langfristige Entwicklung ausschließlich auf den Effekt der Auseinandersetzung jetzt sehr zugespitzt über die Atomenergie zurückzuführen, wobei ich auch da sagen muss, hier gilt ein Weiteres: Es war vor drei Monaten die Koalition von Schwarz und Gelb, die die Laufzeiten in Deutschland von Altreaktoren verlängern wollte, und das in Kenntnis des Risikos einer Kernschmelze. Wenn sie es nicht gewusst haben, ich hätte ihnen empfohlen, ins Atomgesetz zu gucken, da steht das im ersten Absatz der Begründung drin.

    Heckmann: Aber da sind mittlerweile CDU und FDP ja schon weiter, zumindest rhetorisch.

    Trittin: Rhetorisch sind sie weiter. Es bleibt aber die Tatsache, dass ungehindert von politischen und juristisch nicht begründeten oder schlecht begründeten Moratorien die Koalition sich bis heute weigert, eine Konsequenz zu ziehen, und die Konsequenz wäre, den Betreibern von Atomkraftwerken den Rechtsanspruch zu entziehen, ihre Anlagen bis über das Jahr 2040 oder bei Laufzeitübertragung auch über das Jahr 2050 hinaus zu betreiben. Das würde nämlich voraussetzen, die Laufzeitverlängerung, die man im Herbst verkündet hat, gesetzlich rückgängig zu machen. Solange das nicht geschieht, hat die Atomindustrie in Deutschland einen Rechtsanspruch darauf, ihre Anlagen bis weit über das Datum hinaus zu betreiben.

    Heckmann: Der Spiegel berichtet jetzt, dass die Atombranche millionenschwere Klagen vorbereitet wegen des Atom-Moratoriums. Aus Ihrer Sicht mit Chancen auf Erfolg?

    Trittin: Die zeitweilige Abschaltung dieser Anlagen, es ist eine vorübergehende – Sie erinnern sich an das Wort "vorübergehend" eben am Anfang der Diskussion -, es ist eine vorübergehende Abschaltung, ist wahrscheinlich juristisch sehr schlecht begründet. Insofern tun die nichts anderes, als dass sie ihre Rechtsansprüche ihrer Aktionäre versuchen, zu sichern. Aber noch mal: Es ist in der Hand des Deutschen Bundestages, es ist auch in der Hand der Mehrheit des Deutschen Bundestages, diesen Klagen den Boden zu entziehen, indem mindestens eines gemacht wird, nämlich die Laufzeitverlängerung zurückgenommen wird. Dann wird man sich über all die anderen Fragen, glaube ich, auch gesetzlich sehr schnell einig werden, und dazu gehört, dass die sieben ältesten Atomkraftwerke plus Krümmel sofort entschädigungsfrei und endgültig und eben nicht vorübergehend vom Netz müssen.

    Heckmann: In der Zeit war kürzlich zu lesen, eine Niederlage von Stefan Mappus in Baden-Württemberg würde es Angela Merkel erleichtern, die Atomwende wirklich in die Tat umzusetzen. Könnte es der CDU aus Ihrer Sicht gelingen, das Thema Atomausstieg für sich zu reklamieren?

    Trittin: Es gibt jetzt in der CDU zwei Schulen. Die einen sagen, wir haben die Wahl verloren, weil wir aus Fukushima simuliert haben, Konsequenzen gezogen zu haben, und die anderen sagen, damit haben wir unser originäres Profil als Pro-Atom-Partei verloren und die Stammwähler sind zu Hause geblieben. Das wird ein sehr munterer Streit bei CDU und FDP werden. Wir werden gleichzeitig innerhalb der Situation innerhalb des Bundesrates mit nun wahrscheinlich Rheinland-Pfalz, einer weiteren rot-grünen Regierung und mit Baden-Württemberg, der ersten grün-roten Regierung, stabilere Mehrheitsverhältnisse haben, als wir sie vorher hatten, und damit wird das Regieren für Frau Merkel sehr, sehr viel schwieriger. Kommt hinzu, dass diese Situation insgesamt entstanden ist, obwohl die SPD in beiden Bundesländern verloren hat, in Rheinland-Pfalz ja sogar überdeutlich. Da ist klar, dass Kurt Beck nur noch eine Mehrheit hat, weil die Grünen sich verdreifacht haben.

    Heckmann: Der Chef der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Jürgen Tritten. Besten Dank.

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