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Smart Rail
Forschen an der Bahn der Zukunft

Was bei Autos schon länger ein Thema ist, wird nun auch für Züge erforscht: automatisiertes Fahren. Im Erzgebirge soll nun ein ganzer Campus für die Erforschung von automatisierter Bahntechnik entstehen. Denn die Forscher stehen dabei vor einem Hauptproblem: der Sicherheitsphilosophie im Bahnsektor.

Von Alexandra Gerlach | 13.07.2019
Die Schwarze Forschungs-Lokomotive "Lucy" steht im Depot in Chemnitz-Hilbersdorf, 2019.
Eisenbahngeschichte schreiben wollen die TU Chemnitz, die Stadt Annaberg-Buchholz und über 100 Firmen (Deutschlandradio / Alexandra Gerlach)
"Wir sind hier in Annaberg-Buchholz auf dem unteren Bahnhof. Ja, eine Riesen-Immobilie, die wir vor einer Weile von der Deutschen Bahn zurückerworben haben, auch unter Denkmalschutz stehend und daraus wollen wir jetzt etwas Besonderes machen", sagt Rolf Schmidt, Oberbürgermeister der Erzgebirgsstadt Annaberg-Buchholz.
Er steht mit leuchtenden Augen auf dem Bahnsteig und schaut auf das stattliche, leer stehende mehrstöckige Hauptgebäude des ehemals belebten Bahnhofes seiner Stadt:
"Ja, das war noch in der Zeit, als ich noch Kind war und auch in der Wende war alles in Betrieb, es gab eine gute Gaststätte da drin, da ging man auch Samstags mal essen. Also es war voller Leben. Schalter, also Ticketschalter, es waren Verkaufseinrichtungen drinnen, also so, wie es üblich war in solch riesigen Bahnhofsgebäuden."
Große gelbe Banner mit dunkler Schrift schmücken die Fassade des von mehreren großen Spitz-Giebeln gegliederten hellen Gebäudes. "Der Campus kommt!" steht darauf zu lesen. Hier soll also der neue Smart Rail Connectivity Campus – kurz SRCC – entstehen, eine der modernsten Eisenbahnbahnforschungsstätten Europas.
Über 100 Firmen und Forschungseinrichtungen beteiligt
Denn hier, in Annaberg-Buchholz, steht zum einen seit über einem Jahr Europas modernstes Stellwerk, zum anderen verfügt man hier über eine rund 25 Kilometer lange Eisenbahnstrecke, die derzeit nicht für den Linienbetrieb genutzt wird und somit zu Testzwecken für das automatisierte Bahnfahren verwendet werden kann.
Gemeinsam mit der TU Chemnitz hat die Stadt Annaberg-Buchholz das Projekt angeschoben und über 100 Firmen und Forschungseinrichtungen haben bislang ihr Interesse bekundet, am Projekt teilzuhaben. Siemens ist bereits dabei, die Deutsche Bahn, die TU Dresden, das Fraunhofer-Institut, ABB und ganz intensiv der französische Konzern Thales, wie Firmensprecher Kay Taylor erläutert:
"Dass wir die gesamte DNA der Thales miteinbringen, also aus der Luft- und Raumfahrt, Satelliten-Technologie, Cyber-Technologie, der Bahntechnologie, und das ist denke ich sehr wichtig auch gerade hier im Sinne vom deutschen Standort, dass man diese Technologien hier zusammenbringt für die Zukunft."
Darum geht es: Mit Hilfe des automatisierten Fahrens sollen mehr Züge auf den bestehenden Gleisen fahren können. Zugleich soll das Lokführerpersonal entlastet werden. Dazu dienen die so genannte digitale Schiene sowie Signale, Weichen und Achszähler, die via Mobilfunk kommunizieren. Eine Zukunftsprojektion im künftigen 5G-Hochleistungs-Mobilfunk-Netz.
Die Sicherheitsphilosophie als Problem
Sicheres automatisiertes Fahren setzt jedoch voraus, dass sich die genauen Positionen sowie die exakten Abstände zwischen den einzelnen Zügen gesichert berechnen lassen, und genau das ist eines der Hauptprobleme für die Informatiker an Bord des Versuchszuges LUCY, der in Chemnitz stationiert ist:
"Das Hauptproblem ist das Bereitstellen oder das Nachweisen der Funktion und der Sicherheit dieser Systeme, weil das fordert der Eisenbahnsektor, die Sicherheitsphilosophie, die hier 180 Jahre lang gewachsen ist, die fordert das eben auch von jedem Computer, der hier im Einsatz ist und da tun wir uns eben als Mathematiker schwer, das bewerkstelligen zu können", sagt der Informatiker Mirko Caspar vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Sein Einsatzort ist die LUCY, ein 1994 gebauter Triebwagenzug, der an diesem Tag von Lokomotivführer Silvio Köstler behutsam aus dem halbrunden historischen Lokschuppen in Chemnitz-Hilbersdorf gefahren wird.
Von außen lässt sich kaum erkennen, dass unzählige Antennen und Sensoren auf dem Dach und an der Unterseite des Zuges verbaut sind. Nur eine kleine Erhöhung über dem Führerhaus deutet darauf hin. Köstler kann sich sehr gut vorstellen, dass das automatisierte Fahren ihn als Triebwagenführer sichtlich entlasten könnte:
"Zweifelsohne, weil man muss auf so viele Dinge achten, ich meine, es gibt die punktförmige Zugbeeinflussung, der Funk, alles muss gleichzeitig bedient werden manchmal, und wenn man da hier oder da eine Technik hat, die das für mich übernimmt, natürlich bin ich da in dem Moment von dieser Aufgabe oder dieser Überwachung entbunden, und kann mich dann mehr aufs Fahren konzentrieren.
Ich tue das immer salopp vergleichen beispielsweise mit dem Pkw. Wenn ich ein Automatik-Auto fahre, kann ich mich in der Stadt auf die Ampeln oder auf den Verkehr viel besser konzentrieren."
Thales, Siemens und DLF
LUCY wird seit Monaten vom Thales-Konzern in Zusammenarbeit mit Siemens, dem DLR und anderen umgebaut und für die neuen Testzwecke ausgerüstet. Bis zur ersten richtigen Testfahrt in wenigen Monaten ist noch viel zu tun, sagt Mirko Caspar mit Blick auf den auf den Passagierraum, voller Kabel, Kartonagen und Werkzeuge:
"Momentan eine Menge Werkzeuge, eine Menge Material, weil noch viele Arbeiten notwendig sind, bis der Zug dann tatsächlich auch technisch kontrollierbar wird, von Computern über standardisierte Schnittstellen, die gerade europaweit festgeschrieben werden, so dass wir momentan diese Schnittstellen in den Zug hinein einbauen müssen und dann die Möglichkeit haben, verschiedene Verfahren zur Fernsteuerung verschiedener Verfahren zum automatischen Fahren in diesem Zug umzusetzen."
Mit LUCY, dem Labor-Zug auf Schienen, habe man bereits im vergangenen September einen wichtigen Test erfolgreich durchgeführt, sagt Sören Claus , der technische Leiter des Eisenbahn-Campus zufrieden:
"Und man kann mit Fug und Recht glaube ich schon behaupten, dass wir damit Eisenbahngeschichte geschrieben haben, die Thales AG, die DB, die viele Partner dazu."
Das soll nur der Anfang sein. Jetzt arbeiten alle auf die erste voll automatisierte Testfahrt hin. Claus hat seit Monaten um Fördermittel des Bundes gekämpft und gewonnen. Die ersten Millionen fließen jetzt in den Forschungscampus. Weltweit einzigartige Forschungsmöglichkeiten werden damit erschlossen - mitten im Erzgebirge.