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Smartphones
Willkürraum Internet und unser Umgang damit

In seinem Buch "Autonomie - Eine Verteidigung" fragt der Sozialpsychologe Harald Welzer nicht nur, wie nützlich die zunehmende Digitalisierung ist, sondern auch, welche Folgen die Nutzung von Smartphones haben können. Untergräbt das Netz unsere persönliche Freiheit und somit die Grundfesten der Demokratie?

Von Brigitte Neumann | 20.07.2015
    Immer mehr Menschen schauen sich Videos über Smartphones oder auch Tablets an.
    Welzer Sie "unterwerfen den Hauptteil ihres Körpers den Vorgaben dieses Gerätes, weshalb alle gebeugt durch die Gegend gehen, wie so Mönche, die in Versunkenheit vor sich hin wandeln." (imago/Thomas Eisenhuth)
    "Ich glaube, moderne Gesellschaften lassen sich überhaupt nicht denken, ohne dass ihre Mitglieder ein gewisses Maß an Autonomie haben", sagt der Buchautor Harald Welzer.
    Autonomie ist also relativ - Welzer sprach eben ja von einem "gewissen Maß an Autonomie" - und sie ist immer in Verbindung zu sehen mit ihrem Gegenpol, der Abhängigkeit, die ein Menschenleben eben auch ausmacht. Und dann ist der Begriff Autonomie auch noch ein janusköpfiger – hat also sowohl eine gute als auch eine schlechte Seite. Die totale Autonomie ist asozial und mündet in die totale Isolation - ein typisches Diktatorensetting. Gut und überlebensnotwendig aber ist Autonomie im Sinne eines Gefühls für ein eigenes und unverwechselbares Ich. 'So bin ich!' Die seelische Gesundheit eines Menschen hängt davon ab, das sagen zu können.
    Dies ist – hier in der gebotenen Kürze – eine Begriffserklärung, die die Autoren, der Philosoph Michael Pauen und der Sozialpsychologe Harald Welzer, in ihrem Buch "Autonomie – Eine Verteidigung" über die ersten 113 Seiten strecken. Das strapaziert die Geduld des Lesers erheblich, auch weil die Ansprache ein wenig gönnerhaft und belehrend wirkt. Während man sich darüber ärgert, wird wieder deutlich, dass Stil keine Formsache ist, sondern dass sich an ihm erweist, welche Beziehung der Autor zur Welt hat und wie er über diese Welt nachdenkt. Jedoch: Wenn man zum zweiten Drittel des Buches vorstößt, dreht der Wind. Ab da ist die Ansprache erwachsener. Da wird's inhaltlich spannend, relevant und aktuell.
    Zum Beispiel beim Thema Meinungsfreiheit, um die es laut Welzer nicht mehr zum Besten steht. Um dies zu illustrieren, schildert er einen Schlagabtausch auf einer Hochschulveranstaltung neulich. Er sagte da:
    "Es sei meine profunde Lebenserfahrung, dass es doofe und kluge Studenten gäbe, genauso wie kluge und doofe Professoren und das Ganze gelte auch noch unter Gender-Gesichtspunkten. Woraufhin eine Professorin empört aufstand und sagte: Ja, es gäbe doch keine doofen Studierenden. Es gäbe vielleicht welche, die studieren das falsche Fach oder die sind am falschen Ort. Aber man könne doch nicht so diskriminierend sein, dass man solche Unterscheidungen vornimmt. Das, würde ich sagen, auch wenn ich das jetzt ironisiere, ist wahrscheinlich etwas, was in die nächste Kommunikation schon eingeht, als eine Normierung, das heißt, diese Verallgemeinerung von politischen Sagbarkeitsregeln und political correctness ist etwas, wo man sich in Zeiten der allgemeinen Verfügbarkeit dessen, was man einmal gesagt hat, überhaupt nicht entziehen kann."
    Gigantischer Datenspeicher beeinflusst, was wir sagen
    Die allgemeine Verfügbarkeit dessen, was je einer gesagt hat, stellt das Netz sicher. Es fungiert als gigantischer Speicher, der frühere Äußerungen aus ihren zeitlichen und inhaltlichen Bezügen gelöst immer wieder präsentiert und so für eine Beurteilung nach den Maßstäben der jeweiligen Gegenwart freigibt. Das Ergebnis: Jeder strengt sich an, heute zu sagen, was auch morgen, übermorgen und mindestens bis zum Ende seiner Tage richtig und untadelig sein wird.
    Wenn der Raum des Sagbaren derart beschnitten wird, dann verändert sich entsprechend dazu auch der Raum des Denkbaren, so Welzer. Das münde in Selbstzensur, die noch dadurch befeuert werde, dass nicht nur der Geheimdienst, sondern auch der gemeine User nach Abweichungen von der Norm fahnde. Und seien sie auch nur vermeintlich.
    "Also ich tauche auch irgendwo im Netz als Holocaust-Leugner auf, obwohl ich Jahrzehnte meines Lebens damit verbracht habe, den Holocaust zu erforschen, dazu Bücher zu schreiben und dazu öffentliche Veranstaltungen zu machen. Das ist als Leugnungsstrategie denkbar ungeeignet. Aber im Netz ist halt nichts unmöglich."
    Und darum geht es im Buch des Autorenduos Pauen/Welzer eigentlich: Um den Willkürraum Internet, dessen Nutzer sich brav enteignen lassen, wie es die kroatische Essayistin, Dubravka Ugresic einmal gesagt hat, und die deshalb befürchtet, dass der Kommunismus durch die Hintertür der Netz-Technik am Ende doch noch siegen wird.
    "Das ist fast noch zu positiv formuliert. Weil so ein kommunistisches System vom Ideal her geht ja nicht von der systematischen Verblödung der Volksmassen aus. Sondern gut marxistisch ist die Vorstellung: Es geht um die Befreiung des Subjektes zu sich selbst. Während das, was wir im Moment durch diese Internetkonzerne sehen, eine systematische Unintelligentmachung der Leute vorsieht. Wir haben im Grunde genommen eine völlige Reduktion im Endstadium, dafür dass Menschen eigentlich nur noch dafür da sind, zu arbeiten und zu konsumieren. Und ansonsten von jeder Form von Denkoperation tendenziell abgehalten werden, weil sie ja nur noch mit Informationen versorgt werden, die sie ohnehin haben wollen."
    So wenig Respekt vor dem User hatten vor Welzer nur wenige Netzkritiker. Fast alle gingen immerhin von der objektiven Wichtigkeit des Internets aus, einige würdigten auch die Erfindungen, die im Kielwasser seines Aufstiegs gemacht wurden: Sei es das selbstfahrende Auto, der vernetzte Kühlschrank oder die intelligente Zahnbürste. Das sind doch alles banale Objekte, urteilt hingegen Welzer und spricht von grassierender "Bequemitis".
    Digitale Geräte bestimmen unser Verhalten
    "Warum zum Teufel soll denn alles so bequem sein? Also wenn man mal an diese Phantasie des selbstfahrenden Autos denkt. Ist das nicht wie ein Kinderwagen? Ist das nicht wie ein Rückfall in eine nicht-autonome Existenzform? Wozu soll das gut sein? Und wer kann das wollen? Das ist eine Frage, die ich mir ernsthaft stelle. Wer kann das wollen, in so einen merkwürdig – Psychoanalytiker würden sagen – regressiven Zustand versetzt zu werden?"
    Das wäre nun ein interessanter Punkt. Regression ist immerhin das Zurückweichen in einen vor-autonomen Zustand. Warum sollte die Generation der 'digital natives' einen Rückfall ins Eldorado der Kindlichkeit wünschen? Warum in diesen leeren, spannungslosen, gestrigen Zustand? Was bedeutet das für die westlichen Gesellschaften, für die Demokratie? An diesem doch so zentralen Punkt, der vielleicht die Hinwendung zum Thema Angst vor der Autonomie nötig gemacht hätte, oder, wie Erich Fromm 1941 sein Buch zum Thema genannt hat "Die Furcht vor der Freiheit", da schweigen sich Pauen und Welzer weitgehend aus. Belege für regressives Verhalten sammelt Harald Welzer hingegen mit lustvollem Grusel. Hier ein Beispiel:
    "Man muss das ja durch Streicheln bedienen, dieses Zeugs. Deshalb unterwerfen sie ja auch den Hauptteil ihres Körpers den Vorgaben dieses Gerätes, weshalb alle gebeugt durch die Gegend gehen, wie so Mönche, die in Versunkenheit vor sich hin wandeln. Und dieses Anschmiegen dieser Waren und dieser Geräte, das ist natürlich ein Faktor dafür, dass das so wunderbar funktioniert. Die funktionieren wie die Expansion des eigenen Selbst. Und das ist ja auch letztlich das Argument, was dann ja auch immer kommt, mit diesen ganzen Apps und so: Ich kann ja sehen, wie das Wetter gerade in Toronto ist. Oder ich kann sehen, welchen Zyklus meine Freundin gerade hat. Das sind ja alles Extensionen oder Expansionen des Selbst, also eine scheinbare Erhöhung der Verfügung, die ein Selbst hat, über so ein wunderbares Gerät, was das alles tut, wenn ich es nur streichle, wie Aladin seine Wunderlampe. Ich glaube, da ist so eine Spur, weshalb das Ganze so funktioniert."
    Eine Spur zur Antwort auf die Frage, wieso dieses ganze digitale Zeugs solchen Erfolg hat und wie gefährlich dieser Erfolg für uns alle werden kann: Harald Welzers und Michael Pauens Buch "Autonomie – Eine Verteidigung" ist genau das. Es ist nicht perfekt, besonders weil das Buch so deutlich in zwei Teile, zwei Stile und zwei Qualitäten auseinanderfällt. Aber es liefert wertvolle Impulse und wird die Diskussion voranbringen.
    Michael Pauen / Harald Welzer: Autonomie – Eine Verteidigung
    S.Fischer Verlag