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Solidaritätszuschlag
"Heute einsteigen und 2019 aussteigen"

Die Pläne der Union sind ihm viel zu langfristig angelegt: Der Bund der Steuerzahler will, dass schon von jetzt an der Solidaritätszuschlag langsam verringert wird. 2019 solle dann endlich Schluss sein, sagte Steuerbundspräsident Reiner Holznagel im DLF. Denn die Finanzminister würden auch so über genügend Geld verfügen.

Reiner Holznagel im Gespräch mit Dirk Müller | 04.03.2015
    Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel
    Der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel (picture-alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Wenn heute der Einstieg in den Ausstieg erfolgte, hätten Bund, Länder und Kommunen Planungssicherheit, meinte Holznagel. Außerdem würde die Politik dann endlich ihr einstiges Versprechen einlösen, wonach der Zuschlag zeitlich begrenzt sei. Es sei falsch, dass die Union den Zuschlag erst von 2020 an abschmelzen wolle. Holznagel sagte, nach der Wiedervereinigung hätten die Menschen den Soli gern gezahlt, weil sie den Aufbau Ost damit verbunden hätten. Inzwischen sei die Abgabe bei den Steuerzahlern verhasst. Deshalb müsse die Politik nun reagieren.
    "Geld ist genug da"
    Der Verbandpräsident verwies auf die steigenden Steuereinnahmen: "Geld ist genug da, man muss nur bei den Ausgaben irgendwann mal die Reißleine ziehen." Der Staat brauche Einnahmen, aber nicht in dieser Höhe. Holznagel fügte hinzu, der Soli bleibe gleich hoch, obwohl immer weniger Geld in die neuen Länder fließe. Dadurch erhalte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ein dickes Plus, das die Steuerzahler zu trägen hätten.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Zum x-ten Mal in der Diskussion, zum x-ten Mal wird darüber gestritten, über den Soli, über den Solidaritätszuschlag, der ursprünglich dafür gedacht war, die anfallenden Kosten der Einheit mit zu finanzieren, tatsächlich aber bereits seit vielen Jahren für alle möglichen Ausgaben eingesetzt wird, nicht nur für die ostdeutschen Bundesländer. Wie auch immer: Wolfgang Schäuble will jetzt den Soli offenbar langsam auslaufen lassen. Ab dem Jahr 2020, heißt es jetzt. Das ist ja auch das Mindeste, sagen jedenfalls die Kritiker, denn der Zuschlag läuft ohnehin 2019 offiziell aus. Aber es gibt reichlich Widerstand in der Politik dagegen, denn Milliarden Euro würden dann fehlen, im Bundeshaushalt, vielleicht auch bei den Ländern.
    Der Solidarzuschlag, der Soli, die Diskussion darüber, seit vielen Jahren in der politischen Diskussion, jetzt wieder ganz aktuell, auch unser Thema mit Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Guten Tag.
    Reiner Holznagel: Guten Tag! Ich grüße Sie.
    Müller: Herr Holznagel, Solidaritätszuschlag, muss er endlich weg?
    Holznagel: Ja, er muss weg, aus meiner Sicht zwingend notwendig. Er muss nicht sofort weg, das halte ich für verfrüht. Aber 2019 muss Schluss damit sein. Deswegen fordern wir heute den Einstieg in den Ausstieg. Wolfgang Schäuble hat die Spielräume im Haushalt, jetzt schon den Betrag von 5,5 Prozent - das ist der Zuschlag -, schrittweise abzusenken. Das würde Planungssicherheit für den Bundeshaushalt, aber auch Planungssicherheit für die Steuerzahler bedeuten, und die Politik würde endlich ihr moralisches Versprechen einlösen, dass der Solidaritätszuschlag mit dem Ende des Aufbau Ost auch abgeschafft wird.
    "Wir sagen, heute einsteigen und 2019 aussteigen"
    Müller: Aber das wäre für Sie in Ordnung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, 2020 einsteigen und 2030 erst aufhören damit?
    Holznagel: Nein, überhaupt nicht. Wir sagen, heute einsteigen und 2019 aussteigen. Herr Geers hat die Zahlen ja genannt: Wir haben in der ganzen Zeit während der Erhebung des Solidaritätszuschlages und parallel zum Aufbau Ost insgesamt 210 Milliarden Euro Soli eingenommen, 210 Milliarden Euro. Parallel dazu wurden für den Aufbau Ost 156 Milliarden oder 160 Milliarden ausgegeben. Das macht deutlich, dass Herr Schäuble schon mit dem Soli deutlich Plus macht. Und schon jetzt fließen ja weniger Solidarpakt-Mittel in den Osten. Das heißt, es gibt diese Spielräume im Haushalt. Aber ich sehe, die Politik möchte schlicht und ergreifend nicht auf diese Einnahmen verzichten. Das kann ich auch ein Stück weit nachvollziehen. Aber ich sehe einfach auch die Steuerzahler. Wir alle müssen die 15 Milliarden Euro jedes Jahr bezahlen, und ich finde, es wäre ein gutes Konjunkturprogramm und es wäre auch fair, wenn wir jetzt endlich einen Ausstieg finden.
    Müller: Zahlen und Daten sind heute gar nicht so einfach einzuordnen und zu sortieren, Herr Holznagel. Warum sagen Sie, jetzt Einstieg - gut, das ist nachvollziehbar aus Ihrer Situation und Position heraus. Warum auch 2019? Hat das was mit dem Solidarpakt zu tun?
    Holznagel: Rein technisch haben diese beiden Dinge nichts miteinander zu tun. Es wurde ja auch schon dargelegt, dass der Soli auch mal für den Golfkrieg eingeführt worden ist. Ich drehe das mal um: Der Soli ist quasi der Dispokredit für den Bundesfinanzminister. Wenn er wirklich unvorgesehene Ausgaben hat, dann kann er den Soli oder eine Ergänzungsabgabe erheben, damit das beglichen wird. Aber schauen Sie, wir haben im Jahre 2005 Gesamtsteuereinnahmen von 452 Milliarden Euro gehabt. In diesem Jahr werden es 640 Milliarden Euro sein und im Jahre 2018 werden es circa 740 Milliarden Euro sein, also noch mal 100 Milliarden Euro mehr. Wenn Sie zur Bank gehen und weiterhin einen Dispokredit haben wollen, aber Ihr Einkommen hat sich in dieser Zeit verdoppelt, dann kommen Sie schlicht und ergreifend mit Ihrem Geld nicht zurecht, und das müssen wir auch beim Bundeshaushalt feststellen. Geld ist genügend da, aber man muss auch irgendwann mal bei den Ausgaben eine Reißleine ziehen und sagen, wir müssen auch sauber sein, wir müssen ein ordentliches Steuerrecht haben, und diese Ergänzungsabgabe ist ein Fremdkörper und sie muss abgeschafft werden. Im Übrigen sieht das auch Wolfgang Schäuble so.
    "Die Politik muss zu ihren alten Versprechungen stehen"
    Müller: Aber Sie haben das durchkalkuliert und kommen dann irgendwie auf 2019. Sie sagen, jetzt noch vier, fünf Jahre und dann ist Schluss.
    Holznagel: Ja, weil man moralisch immer den Solidarpakt II und den Soli miteinander verbunden hat. Damals war das auch wohlfeil, weil man der Bevölkerung ...
    Müller: Politisch ja auch.
    Holznagel: Politisch/moralisch. - Das war wohlfeil. Man hat der Bevölkerung damals gesagt, wir brauchen dieses besondere Opfer, um den Aufbau Ost zu finanzieren. Und ich bin mir auch sicher, dass eine Mehrzahl der Bürger das auch gern gemacht hat, weil gesehen wurde, dass da viel aufgebaut werden muss, dass dazu viel Geld notwendig ist. Aber mittlerweile haben wir das nicht mehr. Der Soli gehört zu der Steuer, die am meisten verhasst ist, und deswegen muss jetzt auch die Politik liefern. Sie muss zu ihren alten Versprechungen stehen und sagen, wenn der Solidarpakt 2019 ausläuft, dann muss auch der Soli auslaufen. Und wir sagen parallel dazu, bereitet euch darauf vor, indem ihr jetzt schon anfangt, ihn stückweise abzubauen, indem ihr einfach schlicht und ergreifend die Tarife runtersetzt, damit die Steuerzahler wissen, wo die Reise hingeht, und der Finanzminister auch, weil die Einnahmen natürlich dann auch geringer werden.
    Müller: Jetzt wissen Sie, Herr Holznagel, ja besser als viele von uns, dass es immer teurer wird, dass alle Ausgaben immer höher werden. Darauf verweist der Finanzminister auch. Wolfgang Schäuble hat ja auch in der vergangenen Woche schon angekündigt, dass mehr Geld für die Bundeswehr, für den Wehretat ab 2017 notwendig ist und ohnehin die Steuereinnahmen auf der anderen Seite gesprudelt sind. Jetzt sagen Sie, 1991, Solidarzuschlag, Solizuschlag, nicht nur für die Einheit benutzt worden, auch für den Golfkrieg, und im Grunde nach ein paar Jahren weder für das eine, noch für das andere. Der Golfkrieg wurde damals ein bisschen mitfinanziert, Scheckbuch-Diplomatie war das Stichwort. Jetzt brauchen wir Geld für Griechenland. Wenn Wolfgang Schäuble das jetzt abschafft, dann wird es knapp in der Kasse?
    Holznagel: Erzählen Sie das einer normalen Familie, dass immer alles teurer wird. Dann wird sie auch sagen, ja, aber dennoch müssen sie mit ihren Einkommen zurechtkommen. Wolfgang Schäuble muss auch mit seinen Einkommen und auch die Landesfinanzminister müssen mit ihren Einkommen zurechtkommen. Und es ist ja nicht so, dass nicht weniger in die Kasse gesprudelt wird. Im Gegenteil! Die Steuerschätzung sagt bis 2018 voraus, dass es noch mal 100 Milliarden Euro gesamtstaatlich mehr werden, und wenn der Soli in diesem Zeitraum abgeschafft wird, dann wären es nicht 100 Milliarden, dann wären es wahrscheinlich nur 82 Milliarden Euro. Also es bleibt dabei, dass es weiterhin ein dickes Plus ist.
    Es geht aber auch um eine andere Frage, nämlich um eine Transparenzfrage. Immer wenn wir über Steuersätze diskutieren, dann wird der Soli schlicht und ergreifend vergessen. Aber es sind 5,5 Prozent, die auf die Einkommenssteuerschuld noch obendrauf kommen. Insofern ist es auch, wenn Sie so wollen, eine Transparenzfrage und auch hier muss der Bundesfinanzminister nachjustieren und deswegen ist die Diskussion richtig. Aber sie ist insofern falsch, als dass die Spitzen von CDU/CSU gestern mehr oder weniger ein Testament entworfen haben und keine aktive Politik, denn in fünf Jahren ist davon auszugehen, dass wahrscheinlich die Beteiligten diese aktive Politik nicht mehr gestalten werden, und das wirkt für mich so ein bisschen „aufgeschoben ist gleich aufgehoben".
    "Wir müssen einfach intelligenter mit dem Geld umgehen"
    Müller: Aber zur aktiven Politik, zur gestalterischen Gestaltungspolitik, da gehört ja auch dazu, dass der Staat Geld in die Hand nimmt, Infrastruktur, Brücken und so weiter. Wir haben vor wenigen Wochen auch über dieses Thema gesprochen. Das werden Milliarden und Abermilliarden sein. Braucht der Staat nicht das Geld, um handlungsfähig auch mal wieder zu werden?
    Holznagel: Der Staat braucht das Geld, selbstverständlich, aber nicht in dieser Höhe. Wir zahlen verkehrsbedingt 50 Milliarden Euro Steuern jedes Jahr, investieren nicht mal einen Bruchteil davon. Jetzt wird über eine Maut diskutiert, das ist ein schönes Beispiel. Wenn die Maut kommt, so wie damals bei der LKW-Maut, dann werden die Einnahmen einfach verrechnet, aber der Gesamtetat für die Verkehrsausgaben steigt nicht. Und natürlich sagen wir als Steuerzahler, wir müssen mehr in die Infrastruktur investieren, wir müssen mehr in Bildung investieren, aber wir müssen gleichzeitig auch Prioritäten setzen. Wenn Sie sich den Haushalt anschauen, da verändert sich nichts, außer in eine Richtung, nämlich mehr Ausgaben. Wir fördern weiterhin den Kohleabbau. Wir machen manche energetischen Sachen, die vollkommen Nonsens sind. Im Bildungsbereich gucken wir nicht genau hin, was wirklich wirksam ist. Insofern brauchen wir im Bundeshaushalt eine Prioritätensetzung und wie im normalen Leben müssen wir uns auch mal von dem trennen, was letzten Endes nur teuer ist und was keine Wirkung entwickelt. Auch im Verteidigungsetat sehe ich sehr viele Spielräume, wie man wesentlich besser mit dem vielen Geld - das sind fast 30 Milliarden Euro, die in dieses Haus fließen -, wie man damit wesentlich besser umgehen kann, als Drohnen zu bestellen, die 500 Millionen kosten und dann nicht fliegen. Also da müssen wir einfach intelligenter mit dem Geld umgehen!
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Reiner Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Holznagel: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.