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Sommerspiele 1936
Olympia unterm Hakenkreuz

Am 1. August 1936 wurden die Olympischen Spiele in Berlin eröffnet: Für die Nationalsozialisten bot sich die Chance, ihr internationales Image aufzubessern. Doch weder die internationale Presse noch die Politiker aus aller Welt ließen sich blenden von der nationalsozialistischen Inszenierung der Spiele.

Von Andreas Beckmann | 28.07.2016
    Die mit Hakenkreuz-Fahnen und -Wimpeln geschmückte Königsstraße in Berlin während der Olympischen Spiele im August 1936.
    Die mit Hakenkreuz-Fahnen und -Wimpeln geschmückte Königsstraße in Berlin während der Olympischen Spiele im August 1936. (picture alliance / dpa / Katharina Heyne)
    "Wir haben allen Grund, der Vorsehung dankbar zu sein."
    Vor der Propagandaabteilung der NSDAP zog Rudolf Heß, der sich Stellvertreter des Führers nannte, im September 1936 ein rundum positives Fazit der Olympischen Spiele in Berlin, die vier Wochen vorher zu Ende gegangen waren.
    "Für uns ist es kaum abzusehen, was die Olympischen Spiele bedeuten. Dass die Olympischen Spiele überhaupt nach Deutschland kamen und dass sie zu diesem Zeitpunkt kamen, sind so glückliche Fügungen, dass wir selbst es nicht besser hätten einrichten können, wenn wir selbst das Schicksal zu beeinflussen gehabt hätten."
    Die Nationalsozialisten waren sichtlich zufrieden mit dem Bild eines weltoffenen und friedliebenden Deutschlands, das sie der Öffentlichkeit vorgespielt hatten. In den Schaukästen ihres Hetzblattes "Stürmer" waren plötzlich statt antisemitischer Parolen Sportnachrichten zu lesen gewesen. Und die vielen Emailleschilder, die sonst in der Reichshauptstadt Juden den Zutritt zu Schwimmbädern, Restaurants und selbst Parkbänken verboten, hatten sie abmontieren lassen.
    "Die Stadt war geschmückt, man sah überall Fahnen, natürlich die Hakenkreuz-Fahne, aber die olympische Fahne natürlich auch und die Fahnen der Nationen, die nach Berlin gekommen sind. Berlin war herausgeputzt, schmuck und adrett und sauber und Berlin war in einer freudigen und lustigen Feierstimmung."
    Diese Stimmung hat der Berliner Kulturhistoriker Oliver Hilmes im Frühjahr in seinem Buch "Berlin 1936 – Sechzehn Tage im August" rekonstruiert. Hilmes hat sich weniger für das sportliche Ereignis interessiert, als für dessen Inszenierung. Also etwa für Hitlers tägliche Besuche im Olympia-Stadion, wo ihm Zehntausende mit Heilrufen zujubelten.
    Hilmes beschreibt aber auch, wie gleichzeitig die Verbrechen des Regimes unvermindert weitergingen, direkt vor den Toren der Hauptstadt. Im Norden, in Sachsenhausen, baute die SS ein Konzentrationslager. Im Osten, in Marzahn, hatte die Berliner Polizei schon kurz vor der Eröffnung der Spiele das erste Internierungslager für Sinti und Roma errichtet.
    "Aber viele haben das nicht gemerkt und viele andere waren von dem, was sie in Berlin sahen, völlig überwältigt. Also die vielen britischen und amerikanischen Touristen, die Franzosen, die in Berlin waren, die waren wirklich ehrlich begeistert."
    "Die Bedeutung der Spiele ist in der Literatur umstritten."
    Jutta Braun vom Zentrum für deutsche Sportgeschichte schätzt den propagandistischen Erfolg der Nationalsozialisten deutlich ambivalenter ein.
    "Zweifellos war es innenpolitisch ein großer Erfolg für Hitler, denn das Völkerfest unter dem Hakenkreuz löste eine große Begeisterung in der Bevölkerung aus."
    Joseph Goebbels jubelte denn auch schon am dritten Tag in seinem Tagebuch:
    "Diese Olympiade ist ein ganz großer Durchbruch."
    Politischer Prestigegewinn blieb aus
    Aber sein eigenes Reichspropagandaministerium musste nach der Abschlussfeier in einem internen Papier eingestehen, dass der erhoffte politische Prestigegewinn für das Regime im Ausland ausgeblieben sei, obwohl die internationale Presse durchaus die perfekte Organisation der Deutschen gelobt hatte.
    Jutta Braun: "Wenn man die öffentliche Meinung analysiert, vor und nach den Olympischen Spielen, dann kommt man ganz klar zu dem Schluss, dass diejenigen, die vorher kritisch waren gegenüber dem Regime, dass diese Stimmen sich nicht haben irreführen lassen."
    Die großen Zeitungen von "New York Times" bis "Le Monde" hatten anders als bei früheren Spielen nicht nur Sportreporter geschickt, sondern auch politische Korrespondenten. Die berichteten ihren Lesern schon vor der Eröffnungsfeier, dass die in Nazi-Deutschland ansonsten alltägliche Hetze gegen Juden nur für die Dauer der Wettkämpfe auf Anordnung der Reichspressekonferenz unterbrochen worden war.
    Und sie konnten sich gut daran erinnern, dass die Nazis noch 1931, also zu Zeiten der Weimarer Republik, als Berlin vom IOC als Austragungsort ausgewählt worden war, zu den schärfsten Olympia-Gegnern gehört hatten, erzählt der Sporthistoriker Lorenz Peiffer.
    "Die Nazis waren immer gegen internationale Spiele. Und es hat 1932 einen Hetzartikel im "Völkischen Beobachter" gegeben gegen die Spiele in Berlin und vor allem gegen die Teilnahme von ausländischen Mannschaften, die möglicherweise dann mit Negern und mit Juden kommen würden."
    Die Vorstellung, dass solche angeblich rassisch minderwertigen Konkurrenten gegen deutsche Sportler antreten und eventuell sogar gewinnen könnten, war den Nazis ein Gräuel. Und völlig undenkbar erschien ihnen, dass jüdische Athleten für Deutschland auflaufen würden. Dennoch erkannten sie aber kurz nach ihrem Machtantritt 1933, dass eine erfolgreiche Durchführung der Spiele ihnen helfen könnte, im In- und Ausland ein freundliches Image aufzubauen.
    "Hitler hat dann ja auch sehr schnell entschieden, wir wollen die Olympischen Spiele, aber nicht in diesem kleinen Format, so wie es mal geplant war, sondern dann sehr großformatig mit einem neu zu konzipierenden und neu zu bauenden Olympiastadion."
    Hitler erhöhte Etat deutlich
    Hatten die Weimarer Politiker sechs Millionen Reichsmark für die Spiele bewilligt, erhöhte Hitler den Etat sofort auf 40, am Ende auf 90 Millionen. Diese Großzügigkeit, so Lorenz Peiffer, rührte auch daher, dass sich die deutschen Sportfunktionäre vom ersten Tag an äußerst willfährig gegenüber dem neuen Regime zeigten.
    "Die Juden sind ja nach der Machtübernahme der Nazis aus den deutschen Sportvereinen ausgeschlossen worden. Und zwar im vorauseilenden Gehorsam seitens der Sportverbände, nicht auf Druck der neuen nationalsozialistischen Reichssportführung, die zu dem Zeitpunkt noch gar nicht etabliert war."
    Deutsche Juden durften seit dem Frühjahr 1933 nur noch in eigenen Klubs Sport treiben, die aber kaum über geeignete Wettkampfstätten verfügten. Sie hatten damit praktisch keine Chance mehr, sich für Olympia zu qualifizieren. Anders als im Deutschen Reich löste diese Diskriminierung im Ausland eine Welle der Empörung aus, besonders in den USA. Jüdische Gemeinden, Gewerkschaften und Bürgerrechtsorganisationen forderten einen Boykott der Spiele.
    Der spätere IOC-Präsident Avery Brundage, der damals das Amerikanische Olympische Komitee leitete, reiste deshalb 1934 zu einer Erkundungsmission nach Berlin. Doch er konnte in Nazi-Deutschland keine Verstöße gegen den Olympischen Geist feststellen. Schließlich seien Juden und Afro-Amerikaner doch in seinem Sportverein in Chicago auch unerwünscht, erklärte Brundage
    "Die Teilnahme an den Spielen darf man nicht als Unterstützung der Nationalsozialisten werten. Wir haben die Zusage erwirkt, dass die Olympischen Regeln eingehalten und alle Sportler gleich behandelt werden."
    Trotz aller Beschwichtigungen verstummten die Boykottforderungen 1935 immer noch nicht. Deshalb ließen sich die nationalsozialistischen Sportführer von amerikanischen Funktionären überreden, wenigstens einen jüdischen Athleten offiziell für die deutsche Mannschaft zu nominieren.
    Zwei Frauen kamen für diese Rolle in Frage. Die eine, Helene Mayer, hatte bereits 1928 Gold im Florett-Fechten gewonnen. Weil sie einen jüdischen Vater hatte, war sie 1933 aus ihrem Offenbacher Verein hinaus gedrängt worden. Seitdem lebte sie in den USA. Doch nach langem Zögern, berichtet Jutta Braun, erklärte sich Helene Mayer bereit, für die deutsche Auswahl anzutreten.
    "Sie war sehr, sehr vorsichtig. Auf der anderen Seite bestand natürlich für sie der Reiz, teilzunehmen als Sportlerin. Aber ihr Start war von einigen Misstönen begleitet. Sie ist ja die Gewinnerin der Silbermedaille schließlich geworden und war darauf sicher sehr stolz, aber das hat sie natürlich gemerkt, dass viele Zeitgenossen aus der jüdischen Bevölkerung das sehr kritisch gesehen haben."
    Teilnahme war auch unter den Sportlern umstritten
    Besonders verübelt wurde Helene Mayer, dass sie bei der Siegerehrung die rechte Hand zum Hitler-Gruß reckte. Das wäre für die Hochspringerin Gretel Bergmann undenkbar gewesen, die zweite Jüdin, die die deutschen Funktionäre zwischenzeitlich zur Teilnahme aufgefordert hatten. Auch sie war 1933 aus ihrem Verein ausgeschlossen worden. Gretel Bergmann emigrierte nach Großbritannien, wo sie ihre Karriere fortsetzte.
    "In dem Moment, wo sie die britische Meisterschaft gewinnt, erkennen die Nazis, welches sportliche Potenzial sich in dieser Frau verbirgt. Dieses Potenzial wollten die Nazis aber nicht für sich nutzen, sondern sie wollten verhindern, dass Gretel Bergmann möglicherweise dann mit einer britischen Staatsbürgerschaft oder Starterlaubnis nach Deutschland zurückkommen kann. Und dann möglicherweise als Jüdin einen sportlichen Erfolg erreichen kann."
    Deshalb, so Lorenz Peiffer, zwangen deutsche Funktionäre sie mit einer Drohung zur Rückkehr: Andernfalls werde ihrer in Deutschland verbliebenen Familie Gewalt angetan.
    "Sie wird in keiner Weise gefördert. Sie wird dann allerdings eingeladen zu den Olympia-Kursen der deutschen Mannschaft, wird auch offiziell Mitglied des Olympia-Kaders. Trotz dieser unzureichenden Rahmenbedingungen stellt sie drei Wochen vor Beginn der Olympischen Spiele den deutschen Rekord ein und wird dann von den Olympischen Spielen ausgeschlossen. Sie bekommt diese für sie niederschmetternde Mitteilung: Nur drei Aktive konnten in jedem Wettbewerb berücksichtigt werden. Sie werden aufgrund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selbst nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben."
    Gretel Bergmann lebt heute 102-jährig in New York. Weil ihre Bestmarke von 1,60 Meter 1936 für eine Medaille gereicht hätte, ist sie überzeugt, damals um einen Olympiasieg betrogen worden zu sein. Im Stadion aber fiel ihr Fehlen niemandem auf. Die Zuschauer jubelten dem Afro-Amerikaner Jesse Owens zu, der als Läufer und Weitspringer insgesamt vier Goldmedaillen gewann und zum Star der Spiele avancierte.
    Hitler und Goebbels waren stocksauer, ließen das Publikum aber gewähren. Die Sportreporter stellten keine Fragen, sondern freuten sich, dank mobiler Mikrofone so nah wie noch nie am Geschehen dran sein und viele Wettkämpfe sogar live übertragen zu können.
    "Mit den Olympischen Spielen in Berlin ging ein enormer technischer Innovationsschub einher. Die gesamte Sportberichterstattung wurde im Grunde revolutioniert. Leni Riefenstahl hat ja im Stadion Fesselballons verwendet, um die Vogelperspektive zu ermöglichen, sie hat ihre Kameras in den Boden eingraben. Es gab die ersten Fernsehstuben in Berlin und Leipzig. Es wurde im Grunde das Public Viewing 1936 in Berlin erfunden.
    Aktionen der Opposition blieben weitgehend unbemerkt
    So schaffte es das Regime, erzählt Oliver Hilmes, dass sich sowohl die Berliner als auch Tausende ausländischer Gäste weitgehend auf das sportliche Geschehen konzentrierten und von den wenigen subversiven Aktionen der illegalen Oppositionsgruppen in Deutschland gar nichts mitbekamen.
    "Die Polizeireviere haben das bemerkt. Die Geheime Staatspolizei hat in ihren Berichten, die ich auch auswerten konnte, bemerkt, dass es kleinere Attentate gab. Auf der Hockeytribüne ist eine Flasche mit stinkender Flüssigkeit ausgeschüttet worden, am Kaiserdamm sind Toilettentüren beschmiert worden. Es gab also viele kleine Versuche, auf die Lage in Deutschland aufmerksam zu machen. Die SPD-Exil-Organisation aus Prag hat in hoher Auflage eine Broschüre ins Reich geschmuggelt, auf der eine Landkarte abgedruckt war, in der alle SA- und SS-Foltergefängnisse und KZs, die damals schon bekannt waren, verzeichnet waren."
    Nur ein einziger Akt von Zivilcourage hatte es in die Schlagzeilen geschafft. Der ging von Sportlerinnen aus. Aber das war schon vor Beginn der Spiele.
    Jutta Braun: "Es gab persönliche Boykotte durch drei österreichische Schwimmerinnen. Judith Deutsch, Ruth Langer und Lucie Goldner, sie waren nominiert von ihrem österreichischen Schwimmverband und als Jüdinnen wollten sie nicht teilnehmen, also ein ganz anderer Fall als Gretel Bergmann, die ja gerne teilnehmen wollte, die ihren sportlichen Erfolg wollte und dabei das politische ausblenden konnte oder wollte. Diese drei jungen Frauen haben gesagt, unser Gewissen verbietet es uns, nach Berlin zu fahren. Und sie sind für diese Entscheidung rabiat abgestraft worden vom österreichischen Schwimmverband, der sie erst mal lebenslang gesperrt hat."
    Nach einem kurzen Aufschrei der Weltpresse wurde die Sperre auf zwei Jahre reduziert und die Affäre war vergessen. Während der Spiele wollte dann kein Sportverband die Nationalsozialisten provozieren. So entschied der Trainer der amerikanischen Leichtathleten in letzter Sekunde, seine beiden einzigen jüdischen Läufer, die für die 4-mal-100-Meter-Staffel vorgesehen waren, doch nicht antreten zu lassen. Einen der beiden ersetzte Jesse Owens, obwohl der erklärt hatte, nach seinen vorangegangenen Wettkämpfen müde zu sein. Die USA gewannen das Rennen auch so.
    "Jesse Owens selber hat ja lange Zeit geschwankt, ob er fahren soll und er ist ja dann auch angetreten. Also der Riss, Teilnahme oder doch Boykott, der verlief durch die Reihen der Sportler: Jesse Owens, Judith Deutsch, Gretel Bergmann, Helene Meyer. Es war eine politische Diskussion, es war eine internationale Diskussion und die Welt war gespalten.
    Trotz des Scheiterns, sagt Jutta Braun, ist der Boykottgedanke seither untrennbar mit Olympia verbunden. 1976 in Montreal blieben 16 afrikanische Nationen den Spielen fern, weil das IOC den von ihm selbst verhängten Bann gegen das Apartheidsregime in Südafrika nicht konsequent durchsetzte. 1980 schickten nach einem Aufruf der USA 36 islamische Länder und auch die Bundesrepublik keine Mannschaft nach Moskau, aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan. 1984 revanchierten sich die sozialistischen Staaten und fuhren nicht nach Los Angeles. Auch anlässlich von Peking 2008 und Sotschi 2014 forderten Menschenrechtsorganisationen wieder einen Boykott. All diese Spiele haben stattgefunden, genauso wie die von 1936 in Berlin. Aber die Jubelbilder waren jedes Mal von einer kritischen Weltpresse begleitet.