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Sonderwirtschaftszonen in Polen (1/5)
Abbruch und Aufbruch in Swidniza

Colgate, Electrolux, Toshiba – internationale Großkonzerne haben sich in den 14 Sonderwirtschaftszonen Polens angesiedelt, angelockt durch großzügige Steuervorteile und günstige Arbeitskräfte. Doch die Zonen sind umstritten. Ein Vorwurf: Zu wenig Lohn und Rechte für die Arbeiter.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster | 06.08.2018
    Industrieruinen an der Witosia-Straße in Swidnica
    Verwaiste Produktionshallen in Swidnica zeugen vom Verfall der Industrieregion bei Walbrzych in den 90er-Jahren (Deutschlandradio/ Grenzgänger)
    Langsam kommen zwei Arbeiter die Witosia-Straße entlang. Gleich ist Schichtbeginn, in Swidnica, ehemals Schweidnitz, einer Kleinstadt in Niederschlesien ganz im Südwesten Polens. Vorbei geht es an einem verlassenen Bürogebäude mit Waschbeton-Fassade, die Scheiben sind eingeschlagen. Rechts liegt eine riesige Produktionshalle. Verwaist. Bewegungslos hängen Kran-Gondeln unterm Dach.
    Die Arbeiter nicken kurz nach links. Da stehen zwei Männer im Blaumann, unter dem Vordach einer kleinen Zahnradfirma, und rauchen. Klempner im Außendienst, einer 63, einer 40 Jahre alt.
    "Das hier war früher einmal eine Industrieregion", sagt der Jüngere, zieht noch einmal kräftig an der Zigarette. Und zählt Firmennamen auf, die es schon lange nicht mehr gibt. Waggonbau, Zuckerproduktion, Lederherstellung – einige Fabriken beschäftigten bis zu 3.000 Arbeiter. Wer hier keinen Job fand, fuhr ins 20 Kilometer entfernte Walbrzych – zu Deutsch Waldenburg. Da suchten die Kohlegruben immer Arbeitskräfte.
    Umstrittenes Geschäftsmodell
    Noch ein Zug an der Zigarette. Als die Industriebetriebe in den 90er-Jahren Pleite gingen, tauchte hier in der Region ein neues Wort auf, erzählt der Ältere: "Strefa" - Zone. Die Kurzform für: "Specjalna Strefa Economiczna" - Sonderwirtschaftszone. 1994 wurden sie per Gesetz eingeführt, um ausländische Investoren ins Land zu locken, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und die Modernisierung voranzutreiben.
    "Mittlerweile arbeiten dort viele. Als die Kohleminen geschlossen wurden, mussten sie die Leute doch irgendwie beruhigen. Jetzt gibt es hier etliche Zonen. Gleich um die Ecke, da gibt es bestimmt 30 Unternehmen. Ein paar sind in Ordnung. Aber die meisten zahlen einfach schlecht."
    Sein junger Kollege spuckt aus. Als Klempner kommen sie viel herum. Arbeiten immer wieder auch in den neuen Fabriken: Colgate, Electrolux, Toshiba – internationale Großkonzerne haben sich in den Sonderwirtschaftszonen angesiedelt, angelockt durch großzügige Steuervorteile. Und günstige Arbeitskräfte. 14 Sonderwirtschaftszonen gibt es mittlerweile in Polen. Alle haben Ableger eröffnet, die im ganzen Land verteilt sind.
    Die Zonen sind bis heute umstritten. Zuviel staatliche Unterstützung für internationale Großkonzerne, zu wenig Lohn und Rechte für die Arbeiter – das sind die Hauptvorwürfe. "Meine Schwester hat sieben Jahre bei so einem Unternehmen in der Zone gearbeitet", erzählt der Jüngere. Am Ende hat sie gekündigt.
    Steuervorteile garantiert
    "Schrecklich war das", sagt er. Eine Schinderei. Und dann auch noch schlecht bezahlt, knapp über dem Mindestlohn. Selbst nach Feierabend wurden die Mitarbeiter zu Hause angerufen, wenn es im Werk zusätzliche Arbeit gab. "Da kann man ja noch nicht mal ein Bier trinken", schimpft der Ältere. "28 Jahre habe ich im Kommunismus in Schichtarbeit geschuftet", sagt er. "Das reicht für die Ewigkeit. Niemals würde ich in so einer Fabrik anfangen."
    Die beiden anderen Arbeiter auf dem Weg zur Schicht sind mittlerweile 300 Meter weiter. "Hier beginnt die Zone", erklären sie, überqueren erst eine neu geteerte Straße, vorbei an Blumenrabatten geht es auf das Werksgelände von THT, einem Hersteller von Verpackungsmaterialien. "Wir sind hier zufrieden", sagen die beiden. Hier läuft es anders als bei vielen großen Konzernen. THT ist ein polnisches Unternehmen.
    Ihr Chef, Marcin Holdys, eilt derweil durch die Produktionshalle. Dutzende Maschinen bringen Schaumstoffbahnen erst in die richtige Länge, dann in die richtige Form. Daneben surren Nähmaschinen, entstehen Schutz-Hüllen für Stoßstangen. Hunderte unterschiedlicher Verpackungen produziert THT. Mit 150 Mitarbeitern. Das Areal in Swidnica ist ein Ableger der Sonderwirtschaftszone Walbrzych. Vor einigen Jahren zog das Unternehmen aus der Umgebung hierher.
    Für kleinere Unternehmen ist der Umzug riskant
    "Wir haben eine Garantie über eine Steuer-Reduzierung in Höhe von 35 Prozent. Das Ganze läuft bis 2026. Das bedeutet, dass wir mehr als ein Drittel unserer Investitionen zurückbekommen."
    Ein gutes Geschäft. Dank Sonderwirtschaftszone. Und trotzdem ist Marcin Holdys einer der wenigen polnischen Mittelständler, die in der Sonderwirtschaftszone investiert haben. Für die meisten kleinen und mittleren Unternehmen ist der Umzug hierher zu riskant:
    "Das Risiko besteht darin", erklärt der Manager, "dass Du erst einmal investieren musst. Und dann musst Du Gewinn machen. Denn nur dann greift die Steuererleichterung."
    "Für die großen Unternehmen ist es viel einfacher so viel Geld auf einmal in die Hand zu nehmen. Die verschieben doch nur Produktionsstätten von A nach B und riskieren so doch nichts. Sie bewegen einfach Fabriken, mit denen sie in anderen Teilen Europas produziert haben, nach Polen. Sie kennen die Nachfrage bei ihren Produkten, für die gibt es kein Risiko. Sie greifen nur die finanziellen Vorteile ab."
    "Austauschbar wie Ersatzteile"
    Vor dem alten Betrieb an der Witosia-Straße drücken die beiden Klempner ihre Zigaretten aus.
    "Ich habe vier Jahre in England gearbeitet, um meinen Kredit für die Wohnung abzubezahlen", erzählt der Jüngere. "Und ich habe zehn Jahre in Aachen malocht, damit wir unser Haus renovieren konnten", ergänzt der Ältere. Sie sind schon oft der Arbeit hinterhergezogen. In die Sonderwirtschaftszone aber zieht sie nichts.
    "Dort sind die Leute doch austauschbar wie Ersatzteile. ‚Du gefällst uns nicht, dann besorgen wir uns jemand anderen.‘ Die Maschinen sind doch das Wichtigste. Die kosten Millionen, die dürfen nicht kaputt gehen. Aber die Arbeiter sind doch austauschbar."