Freitag, 26. April 2024

Archiv

Soziale Innovationen
Jenseits technischer Neuerungen

Wenn von Fortschritt gesprochen wird, ist meist der technische gemeint. Aber auch soziale Innovationen tragen zu Neuerungen bei. Die Sozialforschungsstelle Dortmund versucht sich sowohl theoretisch als auch sehr praktisch diesem Feld anzunähern.

Von Peter Leusch | 22.05.2014
    Lehrling und Meister in der Werkstatt.
    Undokumentiertes Betriebswissen geht oft mit dem Weggang von Mitarbeitern auch verloren (picture alliance / dpa/ Sebastian Kahnert)
    Michael Schwarz von der Sozialforschungsstelle Dortmund schildert die Erfolgsgeschichte von Carsharing als gelungenes Beispiel für soziale Innovation. Während vorher uneinge-schränkt galt, dass jeder erwachsene Bundesbürger, mindestens jeder Haushalt einen eigenen Pkw besitzen solle, hat sich allmählich eine neue alternative Mobilitätspraxis eta-bliert: man kann sich auch ein Auto teilen; man kann es nutzen, ohne es zu besitzen.
    Bislang erwarten wir Neuerungen und bedeutsame Veränderungen zuallererst von der Technik – gemäß der Denkfigur: Die Technik hat uns neben Errungenschaften wie dem Auto auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Staus und Umweltverschmutzung be-schwert, die Technik selber wird uns davon auch wieder erlösen - durch abgasarme Fahr-zeuge, durch bessere Verkehrssteuerung und moderne Navigationsgeräte. Aber wer Inno-vation nur technisch denkt, springt zu kurz angesichts der enormen Herausforderungen und Probleme, erklärt der Soziologe Ralf Kopp und richtet das Forschungsinteresse stattdessen auf soziale Innovation.
    "Eine zentrale Differenzlinie ist natürlich eine Abgrenzung zur technologischen Innovation. Das ist für uns eine ganz markante Trennlinie. Vor dem Hintergrund manifestieren sich eben soziale Innovationen in den Handlungspraktiken, in den Alltagsroutinen, in den Lebensstilen der Menschen. Bei vielen drängenden sozialen Fragen, bei der Entwicklung inklusiver Lebensformen beispielsweise oder bei der Bewältigung demografischen Wandels oder auch beim Klimawandel erkennen wir eben, dass Technik allein nicht weiterhilft. Wir müssen das Besondere des Phänomens soziale Innovation besser verstehen können."
    "Vor ca. 20 Jahren gab es die ersten kleinen privaten Initiativen des Carsharings, die wirklich im privaten Raum zunächst entstanden sind unter der Prämisse: ‚Wir teilen uns ein Auto'. Daraus wurden dann kleinere lokale Initiativen, der nächste Schritt waren durchaus Ansätze von prekärer Vereinsbildung, immer noch auf lokaler Ebene, dann aber auch über lokale Vernetzungsprozesse dieser Initiativen, und inzwischen beobachten wir ein ausgesprochen erfolgreiches Geschäftskonzept unter Beteiligung von großen Wirtschaftsunternehmen, insbesondere aus dem Verkehrssektor. Nicht nur die Deutsche Bahn, sondern auch viele Automobilproduzenten sind inzwischen an Carsharing-Konzepten beteiligt."
    Michael Schwarz von der Sozialforschungsstelle Dortmund schildert die Erfolgsgeschichte von Carsharing als gelungenes Beispiel für soziale Innovation. Während vorher uneingeschränkt galt, dass jeder erwachsene Bundesbürger, mindestens jeder Haushalt einen eigenen Pkw besitzen solle, hat sich allmählich eine neue alternative Mobilitätspraxis etabliert: Man kann sich auch ein Auto teilen; man kann es nutzen, ohne es zu besitzen.
    Bislang erwarten wir Neuerungen und bedeutsame Veränderungen zuallererst von der Technik - gemäß der Denkfigur: Die Technik hat uns neben Errungenschaften wie dem Auto auch unerwünschte Nebenwirkungen wie Staus und Umweltverschmutzung beschwert, die Technik selber wird uns davon auch wieder erlösen - durch abgasarme Fahrzeuge, durch bessere Verkehrssteuerung und moderne Navigationsgeräte. Aber wer Innovation nur technisch denkt, springt zu kurz angesichts der enormen Herausforderungen und Probleme, erklärt der Soziologe Ralf Kopp und richtet das Forschungsinteresse stattdessen auf soziale Innovation:
    "Eine zentrale Differenzlinie ist natürlich eine Abgrenzung zur technologischen Innovation. Das ist für uns eine ganz markante Trennlinie. Vor dem Hintergrund manifestieren sich eben soziale Innovationen in den Handlungspraktiken, in den Alltagsroutinen, in den Lebensstilen der Menschen. Bei vielen drängenden sozialen Fragen, bei der Entwicklung inklusiver Lebensformen beispielsweise oder bei der Bewältigung demografischen Wandels oder auch beim Klimawandel erkennen wir eben, dass Technik allein nicht weiterhilft. Wir müssen das Besondere des Phänomens soziale Innovation besser verstehen können."
    Wissensmanagement in Unternehmen
    Was genau ist soziale Innovation? - Nun, zunächst jede Erneuerung oder grundlegende Veränderung, die von Menschen mit Absicht herbeigeführt wird, und die nicht-technischer Natur ist. Das aber ist eine sehr weite und vage Definition. Die Wissenschaftler befinden sich einer paradoxen Situation. Einerseits gibt es eine Fülle nicht-technischer Innovationen in allen möglichen Bereichen - in Gesellschaft und Politik, in Wirtschaft und Handel, in Arbeitsorganisation und Freizeit - andererseits ist das Phänomen wissenschaftlich kaum erforscht. Das Soziologenteam um Jürgen Howaldt von der Dortmunder Sozialforschungsstelle hat Anfang des Jahres eine grundlegende Studie mit dem Titel "Zur Theorie sozialer Innovationen" veröffentlicht. Gleichzeitig untersuchen die Forscher einzelne Felder, zum Beispiel wie moderne Unternehmen im digitalen Zeitalter ihr betriebliches Wissen revolutionieren wollen. Ralf Kopp:
    "Wir haben uns grundsätzlich mit dem Anspruch von Wissensmanagement auseinandergesetzt: Da gab es ja mal den Spruch: "Wenn Siemens wüsste, was Siemens alles weiß." Und es gab die Vorstellung sozusagen, dieses ganze Wissen, auch das ganze implizite Wissen, was die Belegschaften haben, also das Wissen, was nicht irgendwo schon niedergelegt, niedergeschrieben ist, dieses ganze Wissen irgendwie doch erfassen zu können, kodifizieren zu können und auf Knopfdruck abrufbar zu machen. Und diese übersteigerte und ein Stück weit auch verfehlte Strategie hat dazu geführt, dass man enorm viel damit beschäftigt war, jetzt alles niederzuschreiben, Dokumente abzufassen, abzulegen und dann im Zweifelsfalle zu suchen und doch nicht zu finden. "
    Die Unternehmen hatten immer schon Sorge, dass wertvolles Erfahrungswissen versickert und verloren geht, wenn ältere Mitarbeiter in Rente gehen - oder schlimmer noch, dass betriebliches Know-how zur Konkurrenz gelangt, wenn Beschäftigte abwandern. Da kamen in den Jahren nach 2000 die Softwarefirmen gerade recht, die fertige Lösungen anboten und mächtige Datenbanken installierten, welche nur noch gefüttert zu werden brauchten - es war ein technologisches Versprechen, das Unternehmen allwissend zu machen.
    "Diese erste Welle ist eigentlich insgesamt gescheitert, weil man nicht genügend auf die Sozialstrukturen in den Betrieben, auf die konkreten Kompetenzen der Beschäftigten und auch auf die realen Bedarfe, die dort vorgeherrscht haben, geschaut hat. Als man dann angefangen hat, das Pferd andersherum aufzuzäumen, dass heißt, von den sozialen Situationen vor Ort auszugehen und erst einmal zu ermitteln: Was brauchen wir? Wie muss technische Unterstützung aussehen und welches Wissen benötigen wir? Und dann die Technik entsprechend ausgestaltet hat, ist Wissensmanagement erfolgreich geworden.
    Es geht also um ein ganzheitliches Konzept von Innovation, um ein integriertes Verständnis von Erneuerungs- und Veränderungsprozessen. Dazu soll das bislang wissenschaftlich unterbelichtete Spektrum von sozialen Innovationen genauer studiert werden, und zwar weltweit in unterschiedlichen Kulturen. Ein mächtiges Unterfangen, aber die Dortmunder Soziologen seien dabei auch nicht allein, erläutert Michael Schwarz:
    "Das heißt, dass wir Anfang diesen Jahres mit drei unterschiedlichen EU-geförderten Projekten zum Thema soziale Innovation an den Start gegangen sind, davon ein sehr großes, an dem 25 internationale Partner beteiligt sind, und nicht nur wir haben den Auftrag, sondern das ganze Projektkonsortium - global aufgestellt - hat den kombinierten Auftrag von Theorieentwicklung, einer internationalen Bestandsaufnahme oder Mapping der unterschiedlichen Aktivitäten auf der ganzen Welt im Bereich soziale Innovation, und damit kombiniert drittens auf dieser Grundlage praktische Politikempfehlungen zu formulieren."
    Innovationen sind Vernetzungsprozesse
    Der dreifache Auftrag - Theoriebildung, empirische Forschung und Politikberatung - ist ungewöhnlich, zumal für Soziologen. Denn zum methodischen Selbstverständnis der Soziologie gehört es, Entwicklungen und Prozesse in der Gesellschaft zu beschreiben und zu analysieren, und sich dabei jeder Wertung zu enthalten, also nicht mit normativen Vorgaben an ihren Gegenstand heranzutreten.
    In diesem Fall streben die Soziologen jedoch eine aktivere Rolle an, ganz im Sinne ihrer These zum Forschungsgegenstand: So wie die soziale Innovation gegenüber der technologischen aufgewertet werden müsse, genauso erheben auch die Soziologen den Anspruch, bei Veränderungsprozessen von vornherein mitzusprechen, und nicht allein den anwendungsbezogenen Wissenschaftlern, den Technologen, das Feld der Praxis zu überlassen.
    Aktuelles Beispiel für dieses innovative Selbstverständnis der Dortmunder Soziologen ist ihr Engagement in der Emscher-Lippe-Region, damit sich die Menschen im Ruhrgebiet aktiv auf die Folgen des Klimawandels vorbereiten.
    Michael Schwarz:
    Wir haben einen sogenannten Roadmap-Prozess initiiert, entwickelt und koordiniert. Roadmap heißt, wir haben alle relevanten Akteure dieser Region von der Landespolitik über die Regional- und Kommunalpolitik, die Wirtschaft, die Wirtschaftsförderungen, Vertreter der Zivilgesellschaft, die Versorgungsunternehmen und ihre Verbünde versucht, in ein Boot zu holen und mit ihnen zusammen einen Fahrplan zu entwickeln über unterschiedliche Zeiträume mit ganz klaren Dringlichkeiten, Prioritätensetzungen, inklusive Wirkungsabschätzungen, Kostenabschätzungen und vor allen Dingen, wer ist dafür verantwortlich.
    Der Einsicht, dass wir die Vorbereitung auf den Klimawandel nicht allein Politikern und Experten überlassen dürfen, die uns sagen, welche Verhaltensänderungen und Innovationen nötig seien, sondern dass es sich hier um eine öffentliche Angelegenheit handelt, dem liegt schon eine erste wissenschaftliche Erkenntnis in Bezug auf soziale Innovation zugrunde: Innovation geht heute weniger auf das Einzelnen, den genialen Erfinder oder großen Vordenker zurück, sie verdankt sich weit häufiger einem Prozess der Vernetzung, wo viele mitwirken und wo aus kleinen Neuerungen große Veränderungen erwachsen.