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Soziales Engagement
Ehrenamtler wollen Russland verändern

Altenpflege, Betreuung von behinderten Kindern, Arbeit im Tierheim: Das soziale Engagement in Russland wächst. Für viele ist die soziale Arbeit eine der wenigen Möglichkeiten, überhaupt noch etwas im Land zu verändern und tiefe gesellschaftliche und politische Gräben zu überwinden. Doch auch auf die Ehrenamtler wächst der Druck aus dem Kreml.

Von Gesine Dornblüth |
    Erwachsene beschäftigen sich mit einem Kind und einem Hund.
    Freiwilligenbesuch mit Hund in einem Moskauer Kinderheim. (Deutschlandradio / Gesine Dornblüth)
    Gerta trägt ein Halstuch. Es ist blau. "Sobaka-Terapevt" steht darauf, "Therapiehund". Die Mischlingshündin liegt im Garten eines Moskauer Kinderheims. Zwei Jungs streicheln unbeholfen über ihr Fell.
    Gertas Besitzerin, Jekaterina Patrina, leitet die Kinder an. Fast alle leben mit Behinderungen und benötigen intensive Betreuung. Nikita traut sich, Gerta einen Hundekeks zu geben. Der Kleine strahlt.
    "In letzter Zeit komme ich oft hier her, mehrmals im Monat. Es gefällt meinem Hund. Gerta mag Kinder. Und wenn wir damit auch noch anderen etwas Gutes tun, ist das umso besser."
    Jekaterina Patrina ist Mitglied bei der Moskauer Organisation "Petfund". Die gibt Straßenhunden Obdach und bildet sie zu Therapiehunden aus. Ein Stück weiter sitzt Iwan Rjadow mit seinem Mischlingsrüden Prochor Iwanowitsch im Gras, gleichfalls umringt von Kindern. Die beiden besuchen auch Altenheime.
    "Die alten Leute sagen oft erst mal: Bleiben Sie bloß weg mit Ihrem Hund. Aber nach einer Weile kommen sie dann von selbst und erzählen, dass sie in ihrer Kindheit auch einen Hund hatten, wie er hieß und dass sie gemeinsam auf der Jagd waren. Die Leute erinnern sich dann an ihre besten Jahre."
    Hohes Engagement
    Iwan Rjadow ist Beamter. In seinem Umfeld in Moskau engagierten sich viele Menschen ehrenamtlich, erzählt er.
    "Seit den 2000er Jahren verdienen die Leute mehr. In den 90ern ging es in Russland ums Überleben, da hat jeder nur an sich gedacht. Jetzt hat man die Möglichkeit, sich auch um andere zu kümmern. Und die sozialen Netzwerke helfen, solche Projekte in der Bevölkerung bekannt zu machen."
    Vom Journalisten zum Wohltäter
    Dass die Freiwilligenarbeit in Moskau boomt, liegt auch an Mitja Aleschkowskij und seiner Stiftung "Nuschna Pomosch", auf Deutsch "Hilfe gebraucht". Aleschkowskij, 31 Jahre alt, Jeans, ausgewaschenes T-Shirt, Fünf-Tage-Bart, war mal Journalist in einer staatlichen Nachrichtenagentur. Vor vier Jahren war er in der Protestbewegung aktiv, demonstrierte für Veränderungen.
    Als das scheiterte und Wladimir Putin zum dritten Mal zum Präsidenten gewählt wurde, schmiss Aleschkowskij seinen Job und beschloss, wohltätige Organisationen zu stärken. Nun sitzt er mit rund zwei Dutzend Mitarbeitern in einer heruntergekommenen Moskauer Altbauetage. "Nuschna Pomosch" fungiert als Dachorganisation, hilft sozialen Projekten wie dem Petfund, Spenden und Mitglieder zu werben. Aleschkowskij:
    "Ich weiß nicht, warum die Leute sich sozial engagieren. Aber ich weiß: Es ist die letzte Schraube, die noch nicht angezogen ist, die letzte Möglichkeit, etwas zu verändern. Geschäfte zu machen, ist in Russland jetzt, sagen wir es mal vorsichtig, mit Scherereien verbunden. Und Politik zu machen, ist lebensgefährlich. "
    Die Stiftung "Nuschna Pomosch" betreut zurzeit siebzig Projekte in ganz Russland, von Frauenhäusern über Umweltgruppen bis hin zu Tierheimen. Alles auf Spendenbasis. Gerade war Aleschkowskij in Omsk in Sibirien. Dort hilft er, das erste Kinderhospiz östlich des Ural zu errichten. Gerade im medizinischen Bereich füllen Ehrenamtliche und private Spender eine Lücke, die der russische Staat offen lässt.
    "Was die Gesundheitsversorgung angeht, sind wir auf einem Niveau mit Afrika. Ich war in Somalia. Ich habe die Krankenhäuser dort gesehen. Und ich habe Krankenhäuser in Russland gesehen. Sie ähneln sich in vielem."
    Bedürftige Moskowiter bekommen bei großer Kälte im Februar heiße Getränke und Essen von der russischen Organisation "Gerechte Hilfe".
    Soziales Engagement für die Mitmenschen boomt in Russland: Bedürftige Moskowiter bekommen bei großer Kälte im Februar heiße Getränke und Essen von der russischen Organisation "Gerechte Hilfe". (dpa / picture alliance / Wolfgang Jung)
    Der Druck wächst
    Die Zusammenarbeit mit den Behörden laufe problemlos, sagt Aleschkowskij. Trotzdem macht er sich Sorgen. Denn der Staat beginne, auch auf soziale Organisationen Druck auszuüben. Zum Beispiel über das sogenannte Agentengesetz. Das kam bisher vor allem gegen politisch unbequeme Menschenrechtler zum Einsatz. Doch in diesem Sommer erklärte das Justizministerium gleich zwei Organisationen, die sich mit AIDS-Prävention befassen, zu ausländischen Agenten. Aleschkowskij:
    "Die Staatsmaschinerie haut den nicht kommerziellen Organisationen mit ihrer Gesetzgebung die Beine weg. Es ist, als würde der Staat dich an die Wand stellen und hinter dir den Abzug spannen.
    Manchmal versagt die Waffe. Manchmal sind Platzpatronen drin. Aber du weißt es nicht. Oder der Mann, der dich an die Wand geführt hat, zieht dir einfach eins mit dem Kolben über. Jede Organisation kann im Nu vernichtet werden."
    Trotz dieser Kritik am Kreml möchte Aleschkowskij nicht politisch vereinnahmt werden. Im Gegenteil, er glaubt, dass soziales Engagement die Gesellschaft in Russland einen kann, über politische Gräben hinweg. 2012 hat das bereits funktioniert. Damals wurde der Süden Russlands von einem Hochwasser heimgesucht, mindestens 150 Menschen starben, Tausende Häuser wurden überflutet. Moskau sammelte Spenden, Leute, die zuvor gegen Putin demonstriert hatten, arbeiteten auf einmal mit kreml-treuen Aktivisten zusammen. Gemeinsam beluden sie damals LKW mit Hilfslieferungen. Aleschkowskij war einer der Organisatoren.
    "Wir haben jede Menge soziale Probleme in der Gesellschaft, die nicht geklärt sind. Es heißt zwar, die Gesellschaft sei geeint, 80 Prozent und mehr unterstützen den Anschluss der Krim – aber das ist nur eine Art Hochglanzumschlag um nichts. Die Menschen verachten einander: Arme und Reiche, Putin-Anhänger und Putin-Gegner.
    Um ruhig zu leben und das Land zu verbessern, muss man die Leute vereinen, und zwar um eine gute Sache."