Kommentar zu Sozialstaatreformen
Parteien müssen den Kampf mit sich selbst beenden

Die schwarz-rote Koalition kämpft mit sich selbst, statt einen Kampf um den Sozialstaat zu führen. Sie muss sich auf notwendige Reformen einigen. Das Schicksal der Koalition und das des Landes hängt davon ab.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff |
Pressekonferenz nach den Beratungen des Koalitionsausschusses: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundesministerin für Arbeit und Soziales Bärbel Bas (SPD) und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD. v.li.).
Pressekonferenz nach den Beratungen des Koalitionsausschusses: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), Bundesministerin für Arbeit und Soziales Bärbel Bas (SPD) und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD. v.li.). (IMAGO / Christian Spicker )
Es geht ums Soziale, in den Parteien wie im Staat. Und da gilt: Die Wirtschaft und den Sozialstaat zu stärken, darin liegt kein zwingender Widerspruch. Beiden bekommt deshalb auch nicht, mutwillig gegeneinander gestellt zu werden. Schon gar nicht in einer Koalition, Schwarz und Rot, die sich vorgenommen hat, beides miteinander zu verbinden. Und ihr Schicksal ist daran gebunden.
Kanzler Friedrich Merz ging mit der Ansage in den Koalitionsausschuss, der Sozialstaat sei nicht mehr finanzierbar. Das klang martialisch.
Nach dem Koalitionsausschuss sagte Merz dann, der Sozialstaat müsse gar nicht zusammengekürzt, sondern nur reformiert werden. "Nur"? Die Arbeitsministerin, Bärbel Bas, nebenbei SPD-Chefin, beteuert, dass man sie bei Reformen wirklich nicht zum Jagen tragen müsse. Wirklich nicht?

Wer das Bewährte bewahren will, muss es verändern

Die Union ist unter Druck nach dem, was sie ihren Wählerinnen und Wählern inzwischen alles an veränderten Positionen zugemutet hat, von der Schuldenbremse angefangen. Die SPD gerät unter Zwang, sich dieser Erkenntnis nicht zu entziehen: Wer das Bewährte bewahren will, muss es verändern, da hilft nichts. Wahlumfragen zeigen es.
Beide versuchen sich gerade durch "Kommissionitis" zu retten. Lange reden bedeutet, lange zu verschieben. Das stellen sie sich so schön vor. Es zeigt nur, wie sehr beide mit sich selbst kämpfen müssen.
Aber: Sie müssen vor allem diesen Kampf beenden und den um den Sozialstaat führen. Sonst wird der am Ende doch nicht reformiert. Und das würde auch der SPD als Wächterin des Sozialen nicht bekommen, ihr vielmehr vielleicht sogar ganz den Garaus machen.

Zu den Haushaltsproblemen gesellt sich die prekäre Wirtschaft

Der Ampel, wir erinnern uns, fehlten am Ende drei Milliarden Euro. Jetzt fehlen – bei gelöster Schuldenbremse – zehnmal so viel Euro, zum Unglück von Schwarz-Rot. Da muss auch das Denken reformiert werden. Es sind doch schon einige Wahlversprechen einkassiert worden. Warum nicht auch, zum Beispiel, die Mütterrente? Die Realität lässt sich nicht weg- noch überreden.
Zum Problem mit dem Haushalt kommt die prekäre wirtschaftliche Lage. Der Aufschwung muss kommen – auch dadurch, dass Pflegeversicherung, Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung – kurz: Sozialversicherungen ausbalanciert werden.
Es braucht Strukturreformen! Warum? Steigende Sozialversicherungsbeiträge sind ein echtes Wachstumsproblem. Arbeitnehmer haben weniger Geld, Unternehmen höhere Lohnkosten. Deshalb sollen die Beiträge ja möglichst stabil sein.
Lars Klingbeil als Hüter der Staatskasse erwartet nun von allen in der gemeinsamen Koalition mehr als die Ideen von Leistungskürzungen für Arbeitnehmer oder höheren Zuschüssen des Bundes, um Beitragssprünge zu vermeiden. Das kann deswegen keine Dauerlösung sein, weil das Geld des Staates endlich ist. Die Sondervermögen sind ja auch nur Sonderschulden.

Bei den Reformen geht es mitunter um sozialen Sprengstoff

Rufe nach mehr Eigenverantwortung, so allenthalben aus der Union, sind da verständlich. Aber mit geringen Einkommen und kleinen Renten ist das nahezu unmöglich.   
Es braucht Fantasie! Wie geht das mit dem umfassenden Netz echter Solidarität durch gute Sozialversicherungen? Wenn das keine Zukunftsfrage ist, eine für alle, eine für diese Koalition, gerade sie. Da geht es mitunter um sozialen Sprengstoff – und ja, um Stoff, mit dem man das Zutrauen von Menschen gewinnen oder verlieren kann.
Das Soziale – seit Jahrzehnten bemisst sich nicht zuletzt daran das Wahlergebnis. Zumal jede und jeder irgendwann Unterstützung benötigen kann. Der Staat heißt darum ja auch Gemeinwesen. Nicht gemeint ist, gemein zueinander zu sein.
Ob die Koalitionäre das verstehen? Weil sie sich nach den jüngsten Beratungen jetzt alle duzen? Das reicht nicht. Sie sollten verstanden haben, dass sie, wir alle aufeinander angewiesen sind! Denn die Reformen können gelingen – und sie müssen: Das Schicksal der Koalition hängt daran. Unseres im Land auch.