Donnerstag, 25. April 2024

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Soziologe zu Altersarmut
Mieten belasten ältere Menschen immer mehr

Ältere Menschen müssten einen immer größeren Teil ihres Einkommens für Mieten ausgeben, so Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung im Dlf. Das liege daran, dass sich ihre Einkommen nicht verbesserten, die Mieten aber stiegen. Häufig seien sie dann gezwungen, umzuziehen.

Markus Grabka im Gespräch mit Mario Dobovisek | 03.07.2019
Eine alte Frau blickt aus dem Fenster ihrer Wohnung in Berlin im Bezirk Kreuzberg im Mai 2012.
Die Mieten steigen - die Renten aber nicht (dpa/ picture alliance/ Wolfram Steinberg)
Mario Dobovisek: Miete und Nebenkosten steigen, vor allem in den Großstädten. Auch die Einkommen werden im Schnitt größer. Aber das Rentenniveau, gemessen an den vergangenen Jahrzehnten, geht zurück. So müssen vor allem ältere Menschen heute einen viel größeren Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben. Ein wichtiger Faktor, wenn wir über Altersarmut sprechen, ein Eindruck, der sich mit Zahlen untermauern lässt in einer Studie, die das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung mit dem Zentrum für Altersfragen heute vorlegt. Vor der Sendung habe ich darüber mit Markus Grabka gesprochen, Soziologe am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Mitautor der Studie. Ich habe ihn gefragt, wie ernst die Situation für Rentner am Wohnungsmarkt ist.
Markus Grabka: Da muss man zunächst zwei Gruppen unterscheiden, und zwar die Eigentümer, die in ihrer selbstgenutzten Immobilie leben, oftmals im hohen Alter natürlich auch schon voll entschuldet, und diejenigen, die als Mieter derzeit in Deutschland wohnen. Für beide Gruppen fallen die Wohnbelastungsquoten ausgesprochen stark auseinander.
Dobovisek: Wer ist stärker betroffen? Was bedeutet das für diejenigen vor allem, die kein Wohneigentum besitzen, sondern selber mieten müssen? Die Mieten steigen ja immer weiter.
Grabka: Wir haben uns bei den Älteren die Wohnkostenbelastung angesehen, das heißt den Anteil der Ausgaben für das Wohnen, gemessen am Haushalts-Nettoeinkommen. Dort stellen wir für die älteren Mieterhaushalte in Deutschland fest, dass im Jahre 1996 etwa 38 Prozent dieser älteren Mieterhaushalte eine sogenannte Wohnbelastungsquote von mehr als 30 Prozent hatten. Unsere letzten Zahlen von 2016 weisen hier einen Anstieg auf fast zwei Drittel aus, die mehr als 30 Prozent ihres gesamten Einkommens für Wohnen ausgeben.
Miet-Überbelastung hat deutlich zugenommen
Dobovisek: Ab welcher Wohnkostenquote, um dieses Wort noch einmal aufzugreifen, müssen wir von einer Überbelastung sprechen?
Grabka: Hier orientieren wir uns an internationalen Standards. Die Europäische Kommission verwendet hier einen Schwellenwert von 40 Prozent, ab der man von einer Überbelastung der Wohnkosten sprechen kann. Auch hier ist das Ergebnis, dass gerade unter den Mieterhaushalten, den älteren Mieterhaushalten in Deutschland diese Überbelastung deutlich zugenommen hat.
Dobovisek: Wie äußert sich diese Überbelastung?
Grabka: Faktisch ist es natürlich so, dass gerade ältere Mieterhaushalte häufig keine Verbesserung ihrer Einkommenssituation für sich beobachten können, und dementsprechend, wenn die Mietkosten dann weiter steigen, es dann zur Folge hat, dass diese im Zweifelsfall Vermögen auflösen müssen. Falls kein Vermögen vorhanden ist, droht schlicht und einfach der Umzug in eine andere Gegend.
Dobovisek: Da sprechen wir dann auch ganz schnell über Altersarmut. Das ist ja in vieler Munde, besonders in der Politik dieser Tage. Wie bedeutend ist dabei der Faktor Wohnen?
Grabka: Ich denke, das ist jetzt in der Tat zentral, weil gerade in diesen städtischen Regionen in Deutschland die Mieten stark gestiegen sind und ältere Menschen hier dann häufig, wenn sie zur Miete wohnen, keinerlei andere Möglichkeiten haben, als diese höheren Mietkosten erst einmal so zu akzeptieren. Und dann, wenn es zu einer Überbelastung kommt, müssen diese Mieterhaushalte oder sind sie tatsächlich gezwungen, sich räumlich zu verändern.
Immer mehr ältere Menschen wohnen in ihren eigenen Immobilien
Dobovisek: Das sozioökonomische Panel am DIW, für das Sie tätig sind, ist eine Langzeitbeobachtung mit jährlichen Befragungen von Tausenden von Haushalten. Deshalb haben Sie einen ziemlich detaillierten Überblick über die Entwicklung von Einkommen und Ausgaben. Wie sehr hat sich die Situation gerade von Rentnern am Wohnungsmarkt verändert?
Grabka: Hier kann man feststellen, dass wir zunächst einmal die positive Entwicklung feststellen können, dass wir mehr Menschen haben, ältere Menschen, die in ihren selbstgenutzten Immobilien wohnen. Andererseits haben wir einen Anteil von Mietern, der vor allen Dingen mit ärmeren Mietern, die mit immer weiter höheren Mietkosten belastet sind, die schlicht und einfach für diese Menschen zu einer finanziellen Herausforderung werden.
Dobovisek: Haben Sie den Eindruck, dass Rentner insgesamt mehr ausgeben als andere?
Grabka: Es ist so, dass sich die Alterseinkommen in Deutschland in den letzten 20 Jahren ausgesprochen schwach entwickelt haben, vor allen Dingen gerade im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung, was schlicht und einfach daran liegt, dass bis etwa zum Jahre 2010 viele Rentensteigerungen schlicht und einfach ausgefallen sind, was zur Folge hatte, dass es zu einer realen Entwertung der sozialen Renten gekommen ist, dementsprechend wir aber andererseits sehen, dass die Wohnkosten leider in Deutschland nahezu kontinuierlich angestiegen sind. Dementsprechend ist hier eine Schere zwischen den Alterseinkommen bei den älteren Menschen und den Wohnkosten über die letzten Jahre auseinandergegangen.
Dobovisek: Was leiten Sie daraus ab, wenn wir vielleicht einen Wunsch formulieren würden in Richtung Politik, damit die nächsten Zahlen bei der nächsten Umfrage besser aussehen?
Grabka: Hier haben wir ganz klar drei Empfehlungen, dass wir einerseits langfristig es ganz klar befürworten, dass der Bund den Wohneigentumsbesitz stärker fördern sollte, weil schlicht und einfach die Mietbelastungsquote für Eigentümerhaushalte im höheren Alter signifikant niedriger ausfällt als bei Mieterhaushalten. Das wird natürlich nicht bei allen älteren Menschen möglich sein, dass diese in eine Immobilie wechseln. Deswegen ist es vor allen Dingen auch in mittelfristiger Art und Weise notwendig, den sozialen Wohnungsbau wieder anzukurbeln und vor allen Dingen diesen sozialen Wohnungsbau auch wesentlich zielgenauer zu gestalten, weil in der Vergangenheit sozialer Wohnungsbau eher an den Bedürfnissen von Familien ausgerichtet war, wir aber zunehmend ältere, vor allen Dingen auch einkommensschwache Menschen in Deutschland haben werden, die über eher kleinere Wohnungen und vor allen Dingen über barrierereduzierte Wohnungen verfügen oder bedürfen.
"Mietpreisbremse eher eine Symptombekämpfung als eine Ursachenbekämpfung"
Dobovisek: Jetzt gibt es ja bereits Maßnahmen der Politik, zum Beispiel die Mietpreisbremse. Es gibt auch mehr Wohngeld für Bedürftige. Jetzt hören wir neue Empfehlungen der Baulandkommission mit mehr Maßnahmen, um auch Bauland neu zu erschließen. Erkennen Sie bei all solchen Maßnahmen eine Wirkung?
Grabka: Das ist meiner Ansicht nach vor allen Dingen gerade wenn es um die Mietpreisbremse geht natürlich eher eine Symptombekämpfung als eine Ursachenbekämpfung, weil natürlich an dem Kernproblem, dass es an bezahlbarem Wohnungsraum mangelt, schlicht und einfach wenig geändert wird oder faktisch nichts geändert wird und vor allen Dingen wir gerade im Hinblick auf den sozialen Wohnungsbau erheblichen Nachholbedarf haben, weil gerade auch jetzt hier in der aktuellen Phase Investoren vor allen Dingen natürlich interessiert sind, eher im hochpreisigen Segment Immobilien anzubieten zur Miete. Es mangelt schlicht und einfach an Investoren, die preiswerten Wohnraum anbieten. Da muss der Staat schlicht und einfach aktiv werden.
Dobovisek: Weil für Investoren die Anreize fehlen?
Grabka: Zumindest fehlt es für Investoren an Anreizen, in das preiswerte Wohnungsmarktsegment zu investieren. Da hapert es und hier kommt es schlicht und einfach zu einem sogenannten Marktversagen. Da ist der Staat gefordert, diese Lücke schlicht und einfach gerade für Niedrigeinkommensbezieher zu schließen.
"Mietbelastungsquote in einkommensschwachen Mieterhaushalten ganz klar gestiegen"
Dobovisek: Jetzt kennen viele das Gefühl, dass Wohnen immer teurer wird, wir immer mehr für Wohnen ausgeben, ob Rentner oder nicht. Doch wenn wir uns dann mal die Zahlen des Statistischen Bundesamtes einmal genauer anschauen – das habe ich vorhin mal gemacht -, dann geben wir insgesamt in Deutschland deutlich weniger von unserem Haushaltseinkommen für Wohnen aus als zum Beispiel noch vor zehn Jahren. Seit 2008 ist die Quote insgesamt nämlich von 31,8 Prozent auf 26,3 Prozent gesunken, ziemlich erheblich. Wie passt das zusammen aus Ihrer Sicht als Statistiker?
Grabka: Das wundert mich überhaupt nicht, weil wir parallel dazu natürlich eine steigende Eigentümerquote haben und Eigentümer natürlich von den starken Mietpreissteigerungen in den deutschen Städten ja faktisch nicht betroffen sind, sondern eher indirekt davon sogar sehr profitieren, weil ihre Immobilie entsprechend an Wert gewinnt. Das Problem ist, dass wir in Deutschland leider einen zunehmenden Anteil von Personen haben, die im Armutsbereich anzusiedeln sind, und dort fehlt es an passenden und bezahlbaren Wohnungen für diese Menschen, weil sie schlicht und einfach keine anderen Alternativen haben, als diese gestiegenen Preise einfach in Kauf zu nehmen.
Dobovisek: Zahlen, Statistiken, Daten, Fakten – daraus kann man immer wunderbare Kurven malen und zeichnen. Wenn Sie diese Kurve sich anschauen, wie sich die Wohnsituation gerade für einkommensschwache Menschen in den vergangenen Jahren entwickelt hat, wo geht der Trend da hin?
Grabka: Ganz klar sehen wir bei diesen älteren Menschen, dass die Mietbelastungsquote in den einkommensschwachen Mieterhaushalten in Deutschland ganz klar gestiegen ist, weil die Löhne und Gehälter nicht in dem gleichen Maße angewachsen sind, wie es die Mietsteigerungen gerade in den städtischen Regionen waren. Hier tut sich leider eine entsprechende Schere auf.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.