Bundestag
Spahn verteidigt Losverfahren bei Wehrpflicht - erste Lesung zum Gesetz am Nachmittag

Im Bundestag hat Unionsfraktionschef Spahn den Vorschlag eines Losverfahrens im Wehrpflichtgesetz verteidigt. Gleichzeitig zeigte er sich aber offen auch für andere Wege zur Auswahl benötigter Soldaten.

    Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr stehen für eine Zeremonie mit Gewehren in einer Reihe.
    Beim neuen Wehrdienst ist noch keine Einigung innerhalb der Koalition erzielt. (picture alliance / dpa / Niklas Graeber)
    Spahn sagte vor dem Plenum, Union und SPD würden diese Frage in absehbarer Zeit lösen. Wenn die Antwort auf das Losverfahren Nein sei, dann brauche es für die Auswahl andere Kriterien oder Möglichkeiten. Wenn jemand einen besseren Weg sehe, solle er ihn nennen.
    Das Wehrpflichtgesetz wird am Nachmittag in erster Lesung im Parlament debattiert. Zuletzt hatten die Fraktionen über Änderungen verhandelt; eine Einigung gab es aber nicht. Vor allem ein mögliches Losverfahren sorgt für Diskussionen.
    Umstritten ist, unter welchen Kriterien eine Wehrpflicht greifen soll, falls auf freiwilliger Basis nicht genügend Rekruten für die Bundeswehr gewonnen werden können - und wie solch eine Pflicht gestaltet werden könnte.
    In Pistorius' Gesetzentwurf ist die Option vorgesehen, dass die Bundesregierung anordnen darf, Ungediente einzuziehen, "wenn die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte zwingend erfordert, der auf freiwilliger Grundlage nicht erreichbar ist".

    Soll Bundestag über Einberufung entscheiden?

    Die Verteidigungsexperten der Koalition wollen solche Entscheidungen aber lieber direkt in die Hand des Bundestages legen und dies außerdem konkreter regeln. Falls nicht genügend Freiwillige zusammenkommen, soll nach ihrem Vorschlag der Bundestag beschließen, eine Einberufung zu ermöglichen, die sich aber nach dem zahlenmäßigen Bedarf richtet, den die Bundeswehr hat. Eingezogen würden dann durch ein Zufallsverfahren (Losverfahren) nur so viele junge Männer wie gebraucht würden. Wer verweigert, müsste einen Ersatzdienst leisten. Wegen Vorbehalten des Ministers und Teilen der SPD-Fraktion war kürzlich kurzfristig eine Pressekonferenz abgesagt worden, in der eigentlich ein Kompromiss auf Basis eines Losverfahrens vorgestellt werden sollte.

    Grünen-Expertin Nanni: Zeitsoldaten halten

    Die Grünen-Verteidigungsexpertin Nanni hält die Debatte über die Wehrpflicht angesichts der gegenwärtigen Bedrohungslage für verfehlt. Man müsse sich die Frage stellen, wie es um die Gesamtverteidigung bestellt sei, sagte Nanni im Deutschlandfunk (Audio-Link). Im Angriffsfall wäre nicht nur das Militär besonders gefordert, sondern auch die zivile Verteidigung. Der Bundesregierung hielt sie vor, diese gehe bei dem Thema nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit vor. Nanni betonte, angesichts des Zeitdrucks sei eine Wehrpflicht und ein Aufwuchs der Reserve durch freiwillige oder verpflichtete Wehrdienstleistende kein realistisches Szenario. Besser wäre es zu überlegen, wie man die Reserve der Bundeswehr schnell aufstocken und Zeit-Soldaten davon überzeugen könne, weiterzumachen.

    Bundespräsident Steinmeier kritisiert Koalitionsstreit

    Bundespräsident Steinmeier äußerte sich skeptisch zu einem möglichen Losverfahren bei der Auswahl von Wehrpflichtigen. Er habe Zweifel, dass das ein taugliches Verfahren sei, sagte Steinmeier dem SWR-Fernsehen. Den Streit zwischen Union und SPD über das Wehrdienstgesetz kritisierte Steinmeier als kommunikative Fehlleistung. Er hoffe, dass das von den Beteiligten schnell bereinigt werde.

    Politologin Römmele: Streit schwächt Vertrauen in Regierung

    Die Politikwissenschaftlerin Römmele bewertet den Streit über die Wehrpflicht nicht als Koalitionskrise. Allerdings trage er nicht gerade zur Vertrauensbildung in der Bevölkerung bei, sagte Römmele im Deutschlandfunk. Es gehe im Grundsatz darum, wie handlungsfähig die Regierung in der zentralen Frage der Verwendungsfähigkeit des Landes sei, betonte die Expertin der Hertie School Berlin. Abseits der politischen Debatte brauche es möglicherweise auch eine gesellschaftliche Debatte, um zu einem Konsens zu kommen.

    Röwekamp (CDU): "Losverfahren nicht vom Tisch"

    Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Röwekamp, rechnet mit einer Einigung der Koalition im Streit um den Wehrdienst. Er sei sicher, dass der zwischen Union und SPD gefundene Kompromiss noch Wirklichkeit werden könne, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Das vorgesehene Losverfahren bei der Auswahl von Rekruten sei nicht vom Tisch. Man müsse entscheiden, wie man die nötigen jungen Menschen für den Dienst auswähle. Der gerechteste Weg hierfür sei das Zufallsprinzip. Er habe zu dieser Frage noch keinen besseren Vorschlag gehört, meinte Röwekamp. Verteidigungsminister Pistorius verschweige, wie er stattdessen eine Auswahl treffen wolle.
    Der SPD-Nachwuchspolitiker Ellerbrock wandte sich gegen verpflichtende Elemente bei der Rekrutierung für die Bundeswehr. Damit bekomme man keine motivierten Soldaten, sagte der 17-Jährige ebenfalls im Deutschlandfunk. Bei jungen Leuten sorge es zudem für Frust, dass sie bei der Debatte nicht eingebunden worden seien.

    Verfassungsrechtler: Losverfahren schwer mit Grundgesetz vereinbar

    Der Oldenburger Verfassungsrechtler Boehme-Neßler hält eine Rekrutierung von Wehrdienstleistenden über ein Losverfahren für schwer vereinbar mit dem Grundgesetz. Ein den gesamten Jahrgang erfassendes Musterungssystem sei dem Losverfahren, wie es derzeit in den Bundestagsfraktionen von SPD und Union diskutiert wird, verfassungsrechtlich vorzuziehen, sagte der Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd). Der Jurist ist nach eigenen Angaben seit mehr als vierzig Jahren Mitglied der SPD.

    Mehr Informationen:

    Wehrpflicht per Losverfahren – der Streit geht weiter
    Diese Nachricht wurde am 16.10.2025 im Programm Deutschlandfunk gesendet.