
- Warum wird gerade erneut über die Wehrpflicht debattiert?
- Was spricht für die Wehrpflicht?
- Was spricht gegen die Wehrpflicht?
- Warum wurde die Wehrpflicht ehemals überhaupt ausgesetzt?
- Ist das Konzept der Einsatzarmee gescheitert?
- Sind die Deutschen bereit, auch selbst eine Waffe in die Hand zu nehmen?
Derzeit ist die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Gespräch. Prominentester Fürsprecher ist der neue Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Es geht in der Diskussion vor allem um die Verteidigungsfähigkeit und Schlagkraft der Bundeswehr und um die Frage, für welche Aufgaben Deutschland seine Armee braucht.
Warum wird gerade erneut über die Wehrpflicht debattiert?
Anlass ist vor allem der russische Angriff auf die Ukraine. Die Sorge, dass Deutschland in einen Krieg hineingezogen werden könnte, ist in der Bevölkerung groß. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Zustand der Bundeswehr. Mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro soll die Truppe fitgemacht werden für die Zukunft.
Bundesverteidigungsminister Pistorius meint, dass selbst diese Summe nicht reicht – und hat die aktuelle Debatte befördert, als er Ende Januar gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte: "Wenn Sie mich als Zivilisten fragen, als Staatsbürger, als Politiker, würde ich sagen: Es war ein Fehler, die Wehrpflicht auszusetzen."
Im Kabinett steht Pistorius mit dieser Haltung bislang allein da. Die Bundesregierung schließt eine Wiedereinführung der Wehrpflicht offiziell vorerst aus - ein Regierungssprecher nannte die Debatte "unsinnig“.
Was spricht für die Wehrpflicht?
Der Reservistenverband der Bundeswehr hält eine Wiedereinführung der Wehrpflicht für unumgänglich. Deutschland sei ohne Wehrpflicht nicht verteidigungsfähig, sagt der Präsident des Reservistenverbands, Patrick Sensburg. Neben einer gut ausgebildeten und ausgestatteten Truppe brauche es eine ebenso gut ausgebildete und ausgestattete Reserve. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, sieht das ähnlich.
Durch eine Wehrpflicht wäre die Bundeswehr stärker in der Gesellschaft verankert, argumentiert Marineinspekteur Jan Christian Kaack: "Ich glaube, dass eine Nation, die in diesen Zeiten auch resilienter werden muss, ein besseres Verständnis hat, wenn wir eine Durchmischung mit den Soldaten haben." Auch Verteidigungsminister Pistorius sieht darin eine Stärke der Wehrpflicht: "Früher saßen an jedem zweiten Küchentisch Wehrpflichtige. Auch dadurch gab es immer eine Verbindung zur Zivilgesellschaft."
Was spricht gegen die Wehrpflicht?
Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht würde massiv in die Selbstbestimmung der Betroffenen eingreifen. Das passt nicht ins liberale Weltbild. Wenig überraschend erteilt daher die FDP im Bundestag einem Comeback der Wehrpflicht auch in neuer Form eine klare Absage. Diese sei ein Hindernis "auf dem Weg zur Profi-Bundeswehr", so der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Johannes Vogel.
Er greift damit auch ein zweites Argument gegen die Wehrpflicht auf: Zur effektiven Landesverteidigung sind Wehrpflichtige heute womöglich gar nicht mehr in der Lage. So argumentiert auch Florian Kling, Hauptmann der Reserve: Er hält Wehrpflichtige angesichts der Komplexität bei Ausrüstung, Material und Waffensystemen nicht mehr für geeignet, diese Mittel zu bedienen. Kling spricht sich daher für eine Reform des Reservistensystems aus, das sich beispielsweise am System der Schweiz orientieren könnte.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann gibt außerdem zu bedenken, dass sich vor einer Wiedereinführung einiges in der Bundeswehr ändern müsse: Kasernen müssten neu gebaut oder erweitert werden, es brauche mehr Ausbilder und militärische Ausrüstung. Das Comeback der Wehrpflicht wäre auch sehr teuer: Zweistellige Milliardenbeträge würden benötigt, um das System wieder in Gang zu setzen, so Strack-Zimmermann.
Warum wurde die Wehrpflicht ehemals überhaupt ausgesetzt?
Die Wehrpflicht erschien 2011 als ein Relikt vergangener Tage. Deutschland war von befreundeten Staaten umgeben, ein Verteidigungsfall nur noch schwer vorstellbar. Die damalige schwarz-gelbe Koalition unter Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte sparen und zugleich die Bundeswehr professionalisieren. Eine große Zahl Soldaten schien nicht mehr gebraucht zu werden - stattdessen sollte es eine kleinere und auf Auslandseinsätze spezialisierte Armee geben. Zudem wurde ehemals nicht jeder wehrfähige junge Mann auch eingezogen, was zur Frage der Wehrgerechtigkeit führte.
Ist das Konzept der Einsatzarmee gescheitert?
Momentan ist die Bundeswehr im Kosovo, Jordanien und Irak, Mali und Niger, Libanon, Bosnien und Herzegowina, Südsudan und der Westsahara im Einsatz und in einigen anderen Ländern und im Mittelmeer auch noch auf Missionen unterwegs. Sie hat sich in vielen Auslandseinsätzen bewiesen.

Doch ob sie auch die Bundesrepublik Deutschland im Ernstfall verteidigen kann, ist umstritten. Der frühere Nato-General Egon Ramms sagte auf eine entsprechende Frage im ZDF: „Kurze, klare Antwort: Nein.“
Im Bundestag wurde Ende November 2022 die "Munitionskrise" bei der Bundeswehr debattiert - laut Bundeswehrverband fehlen Patronen und Granaten im Wert von 20 bis 30 Milliarden Euro. Berichten zufolge würde die Munition im Kriegsfall nur wenige Tage reichen.
Sind die Deutschen bereit, auch selbst eine Waffe in die Hand zu nehmen?
Im Falle eines militärischen Angriffs auf Deutschland würden sich laut einer Umfrage nur rund fünf Prozent der Bundesbürger zum Kriegsdienst melden. Jeder Zehnte wäre zumindest darauf eingestellt, das Land mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Laut der YouGov-Erhebung im Auftrag der dpa will fast jeder vierte Deutsche im Kriegsfall so schnell wie möglich das Land verlassen.
Signifikante Unterschiede zwischen Deutschen in Ost und West stellten die Meinungsforscher nicht fest. Den Umgang mit einer Schusswaffe beherrscht demnach jeder fünfte deutsche Staatsbürger.
Auch andere Zahlen belegen eine große Zurückhaltung bei der Bereitschaft zur Teilnahme an militärischen Einsätzen. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in der Bundeswehr ist seit dem Angriff auf die Ukraine sprunghaft angestiegen. 2021 gingen 201 dementsprechende Anträge ein, 2022 waren es insgesamt 951. Knapp 600 der Anträge kamen von sogenannten "Ungedienten", also Personen, die gar keinen Wehrdienst geleistet haben.
(ahe/fr/dpa)