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Spanien setzt auf Dialog mit den Muslimen

Am 11. März 2004, zweieinhalb Jahre nach 9/11, wurde Spanien selbst Opfer von islamistischen Fanatikern. Bei Anschlägen auf vier S-Bahnen kamen 191 Menschen um. Wie reagierten die spanischen Behörden auf die Attentate von New York und Madrid? Und welche Folgen hatten sie für den Umgang mit den Muslimen im eigenen Land?

Von Hans-Günter Kellner | 07.09.2011
    Antonio Elorza ist ein gefragter Intellektueller, wenn es um Terrorismusthemen geht. Er stammt aus dem Baskenland, kennt die Verhältnisse dort sehr gut und ist Autor zahlreicher Bücher über die ETA. Als Politikwissenschaftler an der Madrider Complutense-Universität beschäftigt er sich seit Jahren aber auch intensiv mit dem islamistischen Terrorismus. Zu den Reaktionen zum 11. September 2001 in Spanien meint er:

    "Ich erinnere mich an diesen Tag sehr gut. Eine Reihe von Freunden besuchte uns. Als ich sagte: 'Was für eine Barbarei!', war die Reaktion der Übrigen im Raum: 'Die Barbaren sind die Amerikaner.' In Spanien gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert einen tief verwurzelten Antiamerikanismus. So haben viele hochrangige Intellektuelle in den Anschlägen dann eine Folge der amerikanischen Außenpolitik gesehen. Die Anschläge wurden nicht gerechtfertigt, aber erklärt."

    Der damalige Ministerpräsident José María Aznar stellte sich dennoch an die Seite der USA: Wohl auch aufgrund der eigenen Erfahrungen mit dem Terror der ETA fühlte er sich solidarisch. Er erhoffte sich aber auch eine größere internationale Anerkennung Spaniens. Als die USA im Irak einmarschiert waren, entsandte die Regierung Aznar folglich Bodentruppen – gegen den massiven Widerstand der eigenen Bevölkerung.

    Eine Bedrohung im eigenen Land wollte die damalige Regierung jedoch nicht erkennen – obwohl es an der spanischen Mittelmeerküste sogar ein Vorbereitungstreffen der Terrorzelle von New York gegeben hatte. Zeitungen enthüllten später, dass es Polizei und Geheimdiensten an allem gefehlt hatte - sogar an Übersetzern für abgehörte Telefonate:

    "Sie waren nicht ausreichend vorbereitet. Wer sich in den Universitäten mit dem Thema beschäftigte, warnte davor, auch ich: Spanien ist ein mögliches Ziel. Spanien war ein Paradies für die Islamisten. Sie konnten machen, was sie wollten. Nach dem 11. September bewegte sich die Polizei, aber viel zu zögerlich. Die Einsätze in Afghanistan und im Irak machten Spanien zu einem leichten Ziel. Es war relativ schutzlos, aber gleichzeitig wollten die Islamisten Spanien auch bestrafen."

    Selbst nach den Anschlägen von Madrid wollte die Regierung Aznar zunächst nicht glauben, dass nicht die ETA, sondern islamistische Attentäter die Bomben gelegt hatten – und wurde für diese einäugige Sicherheitspolitik abgewählt. Die neue Regierung verstärkte die Zahl der Kräfte in Polizei und Geheimdiensten. Auf EU-Ebene dringt Spanien immer wieder darauf, dass Abkommen zur gemeinsamen Terrorismusbekämpfung wie der Europäische Haftbefehl oder die Vorratsdatenspeicherung rasch umgesetzt werden.
    Die Möglichkeit, gegen Terrorverdächtige eine Isolationshaft zu verhängen, gab es in Spanien hingegen schon vor den Anschlägen vom 11. September. Bis zu 13 Tage darf sie andauern, und die Terrorverdächtigen dürfen in dieser Zeit weder einen Anwalt noch einen Arzt ihrer Wahl konsultieren. Eine Praxis, die Spanien immer wieder die Kritik von Menschenrechtsorganisationen einbringt.

    Andererseits bemüht sich die Regierung Zapatero aber auch um einen verstärkten Dialog mit den Muslimen im eigenen Land sowie mit der arabischen Welt. Das Außenministerium finanziert seit 2006 ein "Arabisches Haus" mit Sitz in Madrid und Córdoba. Die Arabistin und Direktorin der Einrichtung, Gema Martín Muñoz, beschreibt die Ziele der Einrichtung: Vorurteile abbauen, demokratische Kräfte stärken, den so oft zitierten "Clash der Zivilisationen" verhindern.

    "Wir haben auf gewisse Weise einen Clash der Ignoranzen zwischen dem Westen und der arabischen Welt erlebt. Wir wollen die Gesellschaften miteinander ins Gespräch bringen, aber auch demokratischen Wandel und Menschenrechte unterstützen. Das ist auch die beste Weise, unsere Sicherheit zu gewährleisten. Dazu gehört ja nicht nur Polizeiarbeit, sondern auch eine Politik, die gesellschaftliche Entwicklungen anstößt und Dialog und gegenseitiges Kennenlernen befördert."

    Für den Politologen Antonio Elorza reicht dieser Ansatz aber nicht aus: Er vermisst in seinem Land eine andere Art der Terrorbekämpfung: eine aktive Religionspolitik, die Radikale isoliert:

    " In Spanien herrscht der große Wunsch vor, dass der Islam überhaupt kein Problem ist. Als einziges Problem wird die Islamophobie gesehen. Sie ist auch eines - einverstanden. Aber niemand will den Vertretern des Islams unangenehme Fragen stellen. Das würde sie irritieren. Folglich sind sie in den Medien auch unterbelichtet. Die Bevölkerung ist nicht nur mangelhaft informiert, sie interessiert sich für solche Dinge auch gar nicht."