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Spanien und die Siesta
Die Kult-Mittagspause passt nicht mehr

Optimierung und Produktivitätssteigerung machen auch vor Spanien nicht halt: Nur noch rund 40 Prozent der spanischen Betriebe pflegen die Siesta -Tendenz sinkend. Im 24/7-Zeitalter kommt die traditionelle Siesta aus der Mode. Nicht ohne Widerspruch, aber wohl ohne Rettung.

Von Oliver Neuroth | 21.11.2016
    Eine Tafel an einem geschäft in Chamberí, einem Stadtteil von Madrid (Spanien), zeigt am 15.06.2016 die Öffnungszeiten an. Die Siesta dauert in Spanien meistens von 14.00 bis 17.00 Uhr.
    Siesta in Spanien (dpa / picture alliance / Emilio Rappold)
    Im Blumenladen von Rosa in Madrid geht um 14 Uhr die Rollade runter. Dann beginnt ihre ausgedehnte Mittagspause.
    "Ich fahre nach Hause, esse mit meiner Familie, schlafe etwas und komme zurück."
    Um etwa 17 Uhr. Hier gibt es sie also noch, die klassische spanische Siesta. Rosa gehört damit zu einer Minderheit. Nur noch rund 40 Prozent der spanischen Betriebe pflegen die Siesta. Tendenz sinkend.
    "In Großstädten ist die Siesta eigentlich nicht mehr möglich. Wenn Dein Arbeitsplatz nicht nah an Deiner Wohnung ist, kannst Du mittags nur schlecht nach Hause gehen. Aber ich habe noch das Privileg, eine Siesta machen zu können."
    In der Mittagspause wird gegessen oder zusätzliche Arbeit erledigt
    Wer es zu weit nach Hause hat, vertreibt sich die Siesta oft mit einem ausgedehnten Mittagessen mit den Kollegen – in einem der vielen Restaurants, die ein "Menu del dia" anbieten, ein Mittagsmenü. Meistens drei Gänge, für 10 bis 15 Euro. Monica hat dafür meistens keine Zeit. Die Besitzerin eines Modegeschäfts macht zwar auch eine Siesta von rund zwei Stunden – die geht aber oft für Arbeit drauf.
    "Ich sitze in der Siesta am Computer, muss mich um Bestellungen kümmern, Rechnungen bezahlen – das passiert meistens zu Hause. Außerdem habe ich einen Online-Shop, der schließt nie. Es kommen immer neue Anfragen rein, die ich beantworten muss und so weiter."
    Die moderne Arbeitswelt verdrängt die Siesta immer mehr. Was einige Arbeitnehmer ärgerlich finden, hält José Luis Cacero für eine gute Entwicklung. Er ist der Vorsitzende des Vereins für Rationalisierung, der sich dafür einsetzt, dass die Siesta komplett abgeschafft wird. Nach José Luis Worten ist es nicht mehr zeitgemäß, dass spanische Betriebe nachmittags stillstehen, die Mitarbeiter in eine Art Zwangspause geschickt werden und abends noch mal ran müssen.
    Mehr Work-Life-Balance ohne Pause?
    "Das ist eine Katastrophe für die Familien. Der Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit ist ein Grundrecht, gerade auch für die Kinder. Die sehen derzeit ihre Eltern nur sehr wenig. Und umgekehrt können sich die Eltern kaum Zeit für die Erziehung nehmen. Wir fordern deshalb: menschliche und gesunde Arbeitszeiten."
    Zwei Werbefachleute aus Barcelona halten die Siesta dagegen keineswegs für überholt. Sie findet aber, dass die klassische spanische Mittagspause etwas aufpoliert werden sollte.
    Siesta 2.0.
    "Take the siesta to the next level"
    Victor Gutierrez de la Terna und sein Kollege wollen die Siesta ins Internetzeitalter holen – und zwar mit ihrem Projekt Napflix. Sie sammeln auf einem Online-Portal YouTube-Videos, die besonders langweilig sind. So soll der Betrachter gut in einen "Nap", einen kurzen Mittagsschlaf, fallen. Napflix zeigt zum Beispiel Dokumentationen über Pandabären und Eulen, Mitschnitte von Schachturnieren und Radrennen oder stundenlange Vorträge über Quantenphysik.
    "Die Videos sollen quasi Deinen Kopf ausschalten. Wir leben schließlich in einer Zeit, in der es so viele Informationen gibt, so viele Inhalte, so ein Tempo. Mit Napflix soll man sich davon auch mal lösen und anfangen zu träumen. Ganz einfach durch Videos, die gemeinsam haben, dass sie monoton sind und sich Dinge wiederholen."
    Victor ist sich bewusst, dass immer weniger Spanier Zeit für eine Siesta und einen kleinen Mittagsschlaf haben. Seine Vision: "Napflix" könnte international Menschen für die Siesta begeistern – das Online-Portal mit den einschläfernden Videos ist schließlich in jedem Land aufrufbar. Auch wenn die Siesta in Spanien langsam aussterben sollte, könnte sie so auf einem anderen Teil der Welt weiterleben.