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Spanien unter Spardruck

Operationssäle werden geschlossen, Gehälter gekürzt. Und daran ist nach Ansicht vieler autonomer Regionen wie Katalonien oder Navarra die spanische Zentralregierung schuld. Die Krise beschleunigt landesweit die Rufe auch nach steuerlicher Autonomie.

Von Hans-Günter Kellner |
    Wie ein Raumschiff liegt die Stadt der Künste und Wissenschaften im alten Bett des Flusses Turia in Valencia: das Opernhaus, ein enormes Kino und ein Wasserzoo. Die Konstruktionen aus Beton, Stahl und Glas sind ein Touristenmagnet. Aber auch ein Musterbeispiel für Verschwendung. 1,3 Milliarden Euro haben die Prestigebauten gekostet. Fünf Mal so viel wie geplant. Das kurioseste Projekt in der Region liegt aber bei Castellón, etwa 60 Kilometer von Valencia entfernt. Ein neu gebauter Flughafen, auf dem noch nie eine Maschine gelandet ist, weil in unmittelbarer Nähe zur Metropole Valencia einfach kein Bedarf für einen weiteren Airport besteht.

    Luis de Velasco vertritt die Partei Union für Fortschritt und Demokratie im Parlament in Madrid. Valencia ist für ihn ein Paradebeispiel dafür, wie die Regionalpolitiker das Land in die Pleite gefahren haben:

    "Alle haben immer geglaubt, die Ausgaben könnten immer weiter steigen, und die Einnahmen würden hinterher kommen. Die autonomen Regionen haben ineffizient gewirtschaftet, das Geld zum Fenster raus geworfen und waren auch noch korrupt. In Valencia reicht doch ein Gang durch die Stadt, um das zu sehen. Und dann bitten sie den Staat um drei Milliarden Euro Hilfe. Ein paar Wochen später sind es vier Milliarden. Wie viel gibst Du mir? Das ist doch alles nicht mehr seriös."

    Für Luis de Velasco liegt hier eine der wesentlichen Ursachen für den wirtschaftlichen Niedergang Spaniens. Denn der Zentralstaat regiert schon lange nicht mehr allein. Neben ihm verwalten 17 sogenannte autonome Regionen das Land. Von Galicien und Asturien im Nordosten bis hinunter in die Extremadura und nach Andalusien im Süden.

    Diese Dezentralisierung Spaniens gibt es seit 1978, seit Inkrafttreten der demokratischen Verfassung. Seitdem hat der spanische Staat den Regionen immer mehr Kompetenzen übertragen, vom Gesundheitssystem über die Bildung bis hin zur Justiz. Heute sind die Regionalregierungen für mehr als die Hälfte der Ausgaben des Staates verantwortlich, vor allem für die Schulen, Hochschulen und das Gesundheitswesen. Das Ergebnis ist ein chaotisches Verwaltungssystem, meint Luis de Velasco:

    "Das funktioniert aus mehreren Gründen nicht mehr. Wir haben doppelte und sogar dreifache Strukturen. Die autonomen Regionen haben unerhört viele öffentliche Unternehmen geschaffen. Wir haben praktisch 17 Staaten mit aufgeblähten Strukturen und mit zu vielen Behörden und Beamten. Das System funktioniert nicht mehr. So stehen die Autonomen Gemeinschaften jetzt bei der spanischen Regierung Schlange, um an Geld zu kommen. Dieses System ist am Ende."

    Diese Kritik ist populär, prangert sie doch die ganz offensichtliche Misswirtschaft und Korruption an. Doch für Juan Rubio-Ramírez stimmt diese Analyse nicht. Der Wirtschaftsprofessor untersucht, wie sich die Haushaltslage der spanischen Regionen entwickelt. Das Fazit seiner jüngsten Studie:

    Nicht die unsinnigen Ausgaben in den Zeiten des Booms hätten die Regionen in Schwierigkeiten gebracht, sondern die hohen Ausgaben für Bildung und Gesundheit, auf deren Höhe die regionalen Behörden kaum Einfluss haben:

    "Alle spanischen Politiker haben das Geld verschwendet. Ein Flughafen ohne Flugzeuge wie in Valencia ist natürlich ein sehr starkes Bild. Da wird Geld für so etwas ausgegeben und auf der anderen Seite ist nichts mehr für die Medikamente da. Aber das Problem ist leider komplizierter: Die Regionen müssen Bildung und Erziehung finanzieren. Und diese Kosten steigen auf der ganzen Welt. Die Leute werden ja immer älter. Wie kann man das finanzieren? Das ist das große Dilemma, nicht nur in Spanien. Das Grundproblem ist also nicht diese Verschwendungssucht. Dieses Problem wäre schnell gelöst. Man steckt die Verantwortlichen einfach ins Gefängnis. Das muss man auch machen. Was wir brauchen, ist eine nachhaltige Finanzierung für das Gesundheitssystem."

    Denn die Ausgaben für das Gesundheits- und Erziehungswesen schlagen im Haushalt der spanischen Regionen am stärksten zu Buche. Mit 110 Milliarden Euro pro Jahr. Im europäischen Vergleich ist das nicht einmal viel. Spanien liegt damit gemessen am Bruttoinlandsprodukt am Ende der Skala.

    Trotzdem muss Spanien sparen. Auf dem Kapitalmarkt bekommt das Land kein Geld mehr, die Europäischen Partner drängen auf eine schnelle Sanierung der öffentlichen Haushalte. Diesen Spardruck gibt die Zentralregierung in Madrid an die Regionen weiter. Doch das Sparen gehe an der Ursache für die hohe regionale Neuverschuldung vorbei, sagt Wirtschaftswissenschaftler Rubio Ramírez:

    "Das Problem Spaniens sind nicht die Ausgaben. Das Problem sind die Einnahmen. Im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt nehmen wir weniger ein als Griechenland und Portugal. Vor allem dieses Gesundheitssystem müssen wir irgendwie finanzieren. Bisher haben sich alle Regierungen geweigert, die Patienten an der Finanzierung zu beteiligen. Das würde auf der einen Seite die Zahl der Arztbesuche reduzieren. Die Spanier gehen häufiger zum Arzt als andere Europäer. Und man hätte Einnahmen für ein Gesundheitssystem, das sich bisher nur aus den Steuern finanziert. Ich wiederhole: Wir haben ein Problem bei den Einnahmen, nicht bei den Ausgaben."

    Und zwar nicht nur im Gesundheitswesen. Denn die Regionen haben keinen Einfluss auf die Höhe der Steuern und Abgaben. Diese bestimmt zum größten Teil die Zentralregierung in Madrid. Sie allein ist zuständig für die Finanzämter, sie verteilt die Einnahmen auf die Regionen nach einem zuletzt 2009 festgelegten Schlüssel. Demnach sollten die Regionen die Hälfte der Mehrwertsteuer und der Lohn- und Einkommenssteuern bekommen. Allerdings unter einer Maßgabe: Reiche Regionen sollen den ärmeren helfen.

    Ein System, das auf Solidarität baut, das im Zuge der Krise aber zu immer heftigeren Spannungen führt – ganz besonders in Katalonien im Nordosten Spaniens. Bei einer Umfrage im Auftrag der Regionalregierung hat sich im Juni erstmals eine Mehrheit für ein unabhängiges Katalonien ausgesprochen. Und am katalanischen Nationalfeiertag am 11. September wollen wieder Zehntausende Separatisten in Barcelona demonstrieren. Mit der Verteilung der Steuergelder würde der spanische Staat ihre Heimat plündern, sagen sie. Auch die bürgerlichen Nationalisten fordern inzwischen wenigstens eine steuerliche Unabhängigkeit. Andreu Mas-Colell ist der Finanzminister der Region:

    "Wir akzeptieren das Prinzip, dass wir mit dem Rest Spaniens solidarisch sein müssen, zumindest solange unsere Einnahmen über dem Schnitt liegen. Wir wollen unsere Steuern kontrollieren und einnehmen, aber wir wollen auch dem Staat für die Leistungen zahlen, die er bei uns erbringt, und wir sind auch für einen Solidaritäts- und Kohäsionsfonds."

    Oft wird der deutsche Bundesstaat als Modell für Spanien bei der Aufgabenverteilung zwischen der Zentrale und den Autonomen Regionen herangezogen. Und tatsächlich sind in Deutschland ja die Bundesländer mit ihren Finanzämtern für den Einzug von Steuern zuständig.

    Noch viel weiter geht die Steuerautonomie im Baskenland und Navarra. Sie haben eigene Finanzämter und bezahlen der spanischen Regierung nur jene Leistungen, die sie für diese Regionen erbringt: die Außenpolitik, das Militär, das überregionale Schienennetz. Genau dieses System fordern die Katalanen jetzt ein. Denn weil es so viel an den Rest Spaniens abführen muss, sind die Finanzprobleme so groß – so zumindest nach der Argumentation des katalanischen Finanzministers:

    "Katalonien ist schon immer chronisch unterfinanziert. Das erkennt man am Niveau unserer Verschuldung und an den Spannungen mit Madrid, die sich in einer Rezession wie dieser verstärken. Außerdem, wie hat der Staat das Defizit denn aufgeteilt? Das entscheidet die Zentralverwaltung, da gibt es keine Verhandlungen. Wenn am Ende des Jahres die Regionen ihr Defizitziel leicht verfehlen, die Zentralverwaltung es aber erfüllt, bestätigt das nur die Redensart, dass wer die Torte verteilt, sich selbst das beste Stück aufhebt."

    Tatsächlich: Während die Zentralverwaltung ihr Haushaltsdefizit in diesem Jahr um 0,6 Punkte abbauen soll, wird von den Autonomen Gemeinschaften ein drei Mal höherer Rückgang, also um 1,8 Prozent abverlangt. Am Ende des Jahres sollen sie mit einem Defizit von 1,5 Prozent da stehen. Zu schaffen ist das nur unter großen Sparanstrengungen.

    So wie beispielsweise im Gesundheitssystem: Operationssäle werden geschlossen, Gehälter gekürzt. Und daran ist nach Ansicht der meisten Katalanen die spanische Zentralregierung schuld. Die Krise beschleunigt also die so oft beschriebenen Zentrifugalkräfte im spanischen Föderalismus. Alfred Bosch ist Sprecher der separatistischen Partei Esquerra Republicana. Er sieht seine Region kurz vor der Unabhängigkeit:

    "Sprechen wir doch direkt mit unseren Steuerzahlern. Schlagen wir ihnen eine Vereinbarung vor, dass sie ihre Steuern direkt der katalanischen Regierung zahlen. Damit würden wir uns diese ganzen Kredite sparen, die Bitte in Madrid um mehr Geld, das Steuerdefizit würde verschwinden und in zwei Jahren hätten wir unsere Schulden abbezahlt. Statt dessen zahlen wir unglaublich viel Geld an Madrid, das nicht zurückkommt, während wir unsere Krankenhäuser, Polizisten und Lehrer nicht mehr bezahlen können. Gleichzeitig müssen wir die spanische Regierung um einen Kredit bitten, die uns doch betrügt. Das verstehen die Leute hier nicht."

    Denn Katalonien bekommt wie viele andere Autonome Gemeinschaften auf dem Kapitalmarkt keine Kredite mehr, weil Zweifel an ihrer Finanzkraft bestehen. Daher müssen sie die Zentralregierung um Geld bitten. Das empfinden die selbstbewussten Katalanen als schwere Demütigung.

    Noch schwerer zu ertragen ist für sie, dass es ausgerechnet der autonomen Region Madrid besser geht. Der Finanzminister der Region Madrid, Percival Manglano ist sichtbar stolz. Seit 2008 habe die Region ihre Ausgaben um 3,2 Milliarden Euro reduziert, in diesem Jahr soll es noch einmal eine Milliarde werden:

    "Wir haben bei allen Ausgaben extrem gekürzt, die nicht zu unseren sozialen Kernkompetenzen gehören. In diesem Jahr verwenden wir dadurch 90 Prozent unserer Gesamtausgaben für Bildung und Gesundheit, Sozialhilfe und den öffentlichen Nahverkehr. Wir haben auch innerhalb dieser Bereiche für mehr Effizienz gesorgt. Wir haben die Arbeitszeiten verlängert. Die Lehrer müssen nun mehr Unterricht geben. Wir unternehmen große Anstrengungen, effizienter zu werden und die Arbeit mit weniger Mitteln zu erledigen."

    Kürzungen bei den Gesundheitsleistungen oder bei den Nachhilfekursen in den Schulen: Dagegen gibt es heftige Proteste auf der Straße. Die Madrider Regionalregierung gilt als die wirtschaftsliberalste in ganz Spanien. So muss zum Beispiel der Einzelhandel dort an Sonn- und Feiertagen nicht mehr schließen. Den Unternehmen alle Freiheiten lassen, das sei der Grundgedanke hinter der Wirtschaftspolitik in Madrid. So könne sich die Region eine niedrigere Steuerlast leisten als andere, habe eine geringere Arbeitslosenquote und immerhin noch ein bescheidenes Wachstum, was auch ausländische Investoren anziehe, wirbt Finanzminister Percival Manglano für seine Region.

    Ob der Madrider Reichtum tatsächlich an der regionalen Wirtschaftspolitik oder doch nur daran liegt, dass fast alle börsennotierten Konzerne in Madrid ihren Sitz haben, wie etwa die Katalanen behaupten, sei dahingestellt. Aber die Klagen über eine angeblich übertriebene Solidarität mit den ärmeren Regionen sind nicht nur in Katalonien, sondern auch in Madrid zu hören. Mit der Umschichtung von Steuergeldern von Reichen zu Armen verliert Katalonien pro Einwohner fünf Euro, Madrid hingegen mehr als dreihundert Euro.

    "Madrid ist mit Abstand die solidarischste Region von allen in Spanien. Uns stört das nicht, wir tragen gerne zur Finanzierung der ärmeren Regionen bei. Aber wir sehen, dass wir langsam die einzige solidarische Region sind. Im nächsten Jahr werden unsere Beiträge 75 Prozent des Solidaritätsfonds ausmachen. Es gibt aber doch auch noch andere Regionen. Wir sind gerne solidarisch. Aber sicher wäre da ein größeres Gleichgewicht möglich."

    Manglano verspricht, Madrid werde die von der Regierung gemachte Defizitvorgabe von 1,5 Prozent erfüllen. Andere Regionen sind da zurückhaltender. Neben Katalonien haben auch Valencia, Murcia und Andalusien schon angemeldet, einen Kredit bei der spanischen Regierung beantragen zu müssen. Insgesamt 18 Milliarden Euro hat die spanische Regierung für die Autonomen Gemeinschaften zur Verfügung gestellt, die auf den Kapitalmärkten kein Geld mehr bekommen. Aber auch diese Summe dürfte nicht ausreichen, wenn schon vier von 17 Regionen die Hälfte des Fonds beanspruchen.

    Kaum zu kontrollierende Ausgaben, einbrechende Einnahmen, Defizitziele, die schwer einzuhalten sind. Es mehren sich die Stimmen, die das spanische Föderalsystem für überzogen halten, nach mehr als 30 Jahren der Dezentralisierung eine Rezentralisierung fordern. Niemand spricht es so deutlich aus, wie Luis de Velasco von der Partei Union für Fortschritt und Demokratie:

    "Wir können keine 17 unterschiedlichen Bildungssysteme haben. In manchen Regionen wird gar keine spanische Geschichte mehr unterrichtet. Der zweite Bereich wäre das Gesundheitssystem. Jetzt haben wir Regionen, die die Zuzahlung zu den Arzneimitteln nicht umsetzen wollen. Und dann ist da noch die Justizverwaltung. Wir sind dafür, Gesundheit und Bildung zu zentralisieren, Justiz und Teile der Umweltpolitik sollten wieder zu den Kompetenzen des Zentralstaats gehören."

    Dann wäre vom föderalen System der Autonomen Gemeinschaften jedoch nicht mehr viel übrig.

    Auch Wirtschaftsprofessor Juan Rubio-Ramírez meint, dass die Regionen ihr Defizitziel von 1,5 Prozent nicht einhalten können und damit auch der Glaubwürdigkeit Spaniens gegenüber der Europäischen Union und den Kapitalmärkten schaden. Doch das sei nicht ihre Schuld. Trotz der Angst der Zentralregierung vor den Sezessionstendenzen in manchen Regionen empfiehlt er, den Föderalismus auch bei den Steuern mutiger voranzutreiben:

    "Die Autonomen Regionen sind steuerpolitisch einfach nicht unabhängig. Sie brauchen den Staat. Mehr Steuerautonomie würde ihnen sehr helfen, einen großen Teil ihrer Ausgaben mit eigenen Einnahmen zu decken und sie zwingen, auch verantwortungsbewusster mit dem Geld umzugehen. Das ist ja auch das Ziel der Vorschläge aus Katalonien. Und das ist eine gute Idee."