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Spaniens umstrittenes Mediengesetz
Wenn Politiker den Journalismus bestimmen wollen

Seit der spanischen Medienreform im Jahr 2012 benennt die Regierungspartei bei der staatlichen Radiotelevisión Española den Intendanten und hat damit auch Einfluss auf die Auswahl von Chefredakteuren und Abteilungsleitern. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk des Landes scheint immer mehr zum zahnlosen Tiger zu verkommen. Sorgen bereitet das in der EU aber offenbar fast niemandem.

Von Hans-Günter Kellner | 06.01.2016
    Ein Studiomikrofon
    Nicht immer war es für die Politiker bei Spaniens öffentlichem Radio und Fernsehen so gemütlich wie derzeit. (Foto: Jan-Martin Altgeld)
    Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy im Radiointerview mitten im Wahlkampf. Die Journalistin unterbricht den Regierungschef, wenn er ausweicht, hakt bei Unklarheiten nach, einmal sagt sie: "Die Fragen stellen bei uns die Journalisten, nicht die Politiker." Rajoy macht dabei keine schlechte Figur, verteidigt seine Meinungen kämpferisch. Trotzdem sind solch engagiert geführte Interviews in Spanien fast nur noch im Privatradio zu hören. Bei Radio Nacional, dem öffentlichen Rundfunk, wird dagegen nett geplaudert: Wie geht's? Rauchen Sie immer noch nicht, auch keine Zigarren mehr? Wie war's im Urlaub?
    Nicht immer war es für die Politiker bei Spaniens öffentlichem Fernsehen und Radio so gemütlich. Zwar hatte Radiotelevisión Española schon seit Francos Zeiten im Dienst der Regierung gestanden. Daran änderte sich auch nach dem Tod des alten Diktators 1975 und der Demokratisierung des Landes lange Zeit nichts. Erst 2006 entzog das Parlament den Sender dem Einfluss der Regierung: Statt mit einer einfachen Regierungsmehrheit war von nun an eine Zweidrittel-Mehrheit im Parlament für die Ernennung des Intendanten notwendig, seine Laufzeit wurde von der Legislaturperiode entkoppelt und belief sich auf sechs statt bislang vier Jahre. In den Redaktionen wurde diskutiert, die Zuschauer honorierten das kritische Programm mit hohen Einschaltquoten. Doch sofort nach ihrem Wahlsieg vom November 2011 machten die Konservativen diese Errungenschaft wieder rückgängig. Seither bestimmt nach alter Tradition wieder die Regierungspartei den Intendanten. Alejandro Caballero, Redakteur bei den Fernsehnachrichten, über den Wandel:
    "Als erstes haben sie den Chefredakteur, die Abteilungsleiter und Ressortleiter ausgetauscht. In der Nachrichtensendung diskutieren nur noch die Chefs über den Aufbau der Sendung. Wir Redakteure haben kaum noch etwas zu sagen. Wenn die Redaktion sich beschweren will, dann geht das nur über uns, den Redaktionsrat. Wir können aber auch nur darauf hinweisen, dass wir kein Sprachrohr der Regierung sein wollen."
    "Wie kommen die zu solchen Posten?"
    Denn als Vorsitzender des Redaktionsrats hat Alejandro Caballero zwar keinen Einfluss auf die journalistische Gestaltung der Sendungen, aber er darf sich wenigstens öffentlich beschweren, darüber, wie die Politiker über die Senderhierarchie die journalistische Arbeit bestimmen. So zum Beispiel im Juni bei der Berichterstattung über den mutmaßlichen Finanzskandal um schwarze Konten, der die spanische Volkspartei schon seit ein paar Jahren erschüttert.
    "Als die mündliche Verhandlung im Fall Bárcenas eröffnet wurde, wollte die Redaktion das als Aufmacher senden. Am Ende wurden daraus 20 Sekunden nach einer viertel Stunde Programm. Solche Entscheidungen fällen die Chefs, von denen viele nicht mal Fernseherfahrung haben. Wie kommen die zu solchen Posten? Eine solche Frage beantwortet sich doch von alleine."
    Ähnliche Fälle gibt es fast täglich, sagt der Journalist. Caballero hat in seinen Unterlagen auch ein Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts von 2014. Das Gericht beschränkt dort die Präsenz von Parteipolitikern im Fernsehrat des ZDF. Caballero seufzt. Im Rundfunkrat von Radiotelevisión Española sitzen nur Politiker, sechs ernannt von der regierenden Volkspartei und drei von der Opposition. Zudem wird das Gremium dem Gesetz zufolge vom Staatssekretariat für Kommunikation - so wörtlich - "beaufsichtigt". Trotzdem hat sich bislang kaum jemand in der Europäischen Union besorgt über die Situation des spanischen öffentlichen Rundfunks geäußert. Dass die EU-Kommission nun über die Situation in Polen beraten will, ist für Caballero ein Anlass zur Hoffnung:
    "Wenn die Kommission jetzt kritisch nach Polen blickt und die Unabhängigkeit der öffentlichen Medien garantieren will, dann kann sie ähnliche Situationen in anderen Ländern nicht mehr ignorieren. Die Kommission kennt unsere Situation in Spanien, wir haben ihr unsere Dokumentation geschickt, die belegt, dass wir hier keinen Journalismus machen, sondern im Dienst der Regierung arbeiten."
    Caballero schlägt vor, die Europäische Union solle ihre Richtlinien zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk überarbeiten. Der Zugriff der Politiker auf öffentliche Medien sollte künftig in ganz Europa verhindert werden.