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Sparprogramm für Griechenland
"Es gibt keine Alternative dazu"

Das umstrittene Sparpaket für Griechenland wird Ende der Woche auch im Deutschen Bundestag auf der Tagesordnung stehen. Die Vorsitzende des SPD-Finanzausschusses Ingrid Arndt-Brauer sprach im Interview mit dem DLF von sinnvollen Gesetzen, zu denen es momentan keine Alternative gebe.

Ingrid Arndt-Brauer im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.07.2015
    Plakate der Nein-Kampagnen vor dem Referendum in Griechenland.
    Nicht nur in Griechenland herrscht große Skepsis in Bezug auf die neuen Sparauflagen - auch unter deutschen Bundestagsabgeordneten soll es Nein-Stimmen zum Sparprogramm geben. (Deutschlandradio / Panajotis Gavrilis)
    Martin Zagatta: Beginnen wir also in Athen, wo Alexis Tsipras heute Gesetze und Reformen durch das Parlament bringen muss, die ihm so gar nicht schmecken, ein Reformprogramm, an das er selbst nicht glaubt, so hat er verkündet. Maßnahmen aber, Gesetze, die die Gläubiger zur Voraussetzung gemacht haben für ein drittes Hilfspaket.
    Und dass die griechische Politik nicht überzeugt ist von diesen Sparauflagen, dass sie weiterhin von Erpressung spricht, das nährt natürlich auch die Skepsis unter den Bundestagsabgeordneten, die am Freitag diesem umstrittenen Sparpaket zustimmen sollen. In der Unionsfraktion soll es angeblich bis zu 50 Nein-Stimmen geben.
    Ob der andere Koalitionspartner, ob die SPD solche Schwierigkeiten nicht hat, das kann ich jetzt Ingrid Arndt-Brauer fragen, die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, und sie ist auch Vorsitzende des Finanzausschusses. Guten Tag, Frau Arndt-Brauer!
    "Das ist eine Fehlkommunikation"
    Ingrid Arndt-Brauer: Guten Tag. Ich bin leider nicht stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion, aber ich bin Finanzausschussvorsitzende, nur damit wir das am Anfang klären.
    Zagatta: Zumindest das war richtig. Sie können dann ja als Fachfrau, wenn Sie da für die Finanzen zuständig sind, zumindest die Frage beantworten: Wenn da jetzt nicht nur Syriza-Politiker von einem Spardiktat sprechen, sondern von regelrechter Erpressung, warum – und danach sieht es ja aus – warum machen dann die SPD-Abgeordneten mit bei einer solchen Erpressung?
    Arndt-Brauer: Ja, ich finde an diesem Beispiel, auch an Ihren Zitaten sieht man, wie falsche Kommunikation wirken kann. Die europäischen Länder hatten die gute Absicht, und ich denke, das ist auch richtig so, Griechenland zu helfen. Dafür stellt man Bürgschaften im Rahmen von 82 Milliarden Euro zur Verfügung. Das muss man auch in seinen eigenen Ländern immer wieder erklären, warum man das tut, aber ich denke, das kann jeder nachvollziehen, wir sind eine Gemeinschaft, und wir helfen uns gegenseitig, wenn man Hilfe braucht.
    Zagatta: Aber das machen die Griechen ja gerade nicht.
    Arndt-Brauer: Ja, aber bei den Griechen kommt es jetzt so an, als ob wir das tun, um sie zu drangsalieren. Das ist eine Fehlkommunikation, die da entstanden ist, das finde ich sehr bedenklich, und ich würde da gern meinen Beitrag leisten, um das ein bisschen aufzubrechen. Wir stimmen am Freitag nicht über Spargesetze der Griechen ab, sondern wir stimmen ab über ein Mandat zum Verhandeln. Wir geben der Bundesregierung damit das Mandat, überhaupt in Verhandlungen einzutreten und Details mit den Griechen aufzuschreiben. Das ist ganz wichtig.
    Zagatta: Aber das eine ist dann ja an das andere gebunden. Voraussetzung ist, dass das griechische Parlament heute einem Sparpaket zustimmt, an das die eigene Regierung, so hat es Herr Tsipras ja gestern Abend wieder gesagt, selbst nicht glaubt, dass das wirken kann.
    "Europäische Partner wollen einen Vertrauensvorschuss haben"
    Arndt-Brauer: Ja, das ist richtig. Das ist auch die Politik dieser Partei gewesen, oder dieses Zusammenschlusses Syriza gewesen, dass man andere Ziele hatte. Das ist natürlich jetzt schwierig zu vermitteln, das kann ich nachvollziehen, wenn man mit anderen Versprechen rangegangen ist und gesagt hat, gebt mir im Referendum nur eine starke Mehrheit, dann verhandele ich alles ganz toll für euch, und jetzt kommt man mit diesem Ergebnis nach Hause.
    Aber er hat ja selber eingeräumt, dass einige dieser Reformen dringend notwendig gewesen wären schon in den vergangenen Jahren. Die hat man nicht gemacht. Dass man jetzt eine Mehrwertsteuer- und eine Rentenreform in zweieinhalb Tagen durchboxt, das finde ich sehr ambitioniert, das würden wir in Deutschland auch nur schwer schaffen. Aber ich denke, es gibt keine Alternative dazu, weil einfach die griechische Regierung in den zurückliegenden fünfeinhalb Monaten so viel Vertrauen verspielt hat bei ihren europäischen Partnern, dass man jetzt einfach einen Vertrauensvorschuss haben möchte, um in Verhandlungen einzutreten.
    Zagatta: Ist es denn Vertrauen, wenn da jetzt Gesetze verabschiedet werden in Athen, von denen der eigene Regierungschef sagt, also wirken werden die nicht, daran glaube ich nicht.
    Arndt-Brauer: Ja, das finde ich, ist schwierig. Ich hätte es auch besser gefunden, wenn er sich hätte überzeugen lassen, dass diese Gesetze sinnvoll sind, weil ich denke, im restlichen Europa wird das so gesehen, vor allem in Nord- und Osteuropa wird es so gesehen, dass die Gesetze sinnvoll sind.
    Zagatta: Aber die Griechen müssen es ja umsetzen.
    Arndt-Brauer: Wenn er sich hätte überzeugen lassen und hätte dann überzeugt gesagt, so Freunde, ich habe mich jetzt überzeugen lassen. Das ist zwar nicht das, was wir ursprünglich wollten, aber wir sollten das jetzt so tun.
    "Griechen müssen Bedingungen der Helfer akzeptieren"
    Zagatta: Sind Sie trotzdem der Meinung, dass man das gegen den Willen der Griechen im Prinzip ja durchgesetzt hat. Also, was Wolfgang Schäuble auch vorgeworfen wird, diese harte Politik, dass er das alles richtig gemacht hat, der Finanzminister, der deutsche.
    Arndt-Brauer: Ich weiß nicht, ob wir immer der Sache gerecht werden, wenn wir sagen, gegen den Willen der Griechen. Die Mehrheit der Griechen wollte im Euro bleiben. Der Verbleib im Euro ist verbunden damit, dass man Kredite zurückzahlen kann. Das kann man, wenn man nicht selber kann, nur mithilfe von Freunden tun. Das alles ist je eine Kette von Situationen, die sich da aufgestaut hat.
    Nur, wenn die Mehrheit der Griechen im Euro bleiben möchte, und das ist wohl so, muss sie auch Bedingungen ihrer Helfer akzeptieren. Und ich denke, das ist den meisten Leuten in Griechenland klar. Das ist vielleicht nicht allen in der Regierung klar, und es wollen auch nicht alle in der Regierung, das kann ich nachvollziehen, wenn man mit anderen Thesen an die Macht gewählt worden ist. Aber trotzdem ist es den Griechen an sich schon klar, dass man Geld nicht einfach ohne Gegenleistung bekommen kann in diesem Fall.
    Zagatta: Jetzt heißt es aber aus Athen, wir brauchen das Geld, diese 80 Milliarden, auf die sind wir angewiesen, dass das Programm, das damit verbunden ist, funktioniert, das glauben wir nicht. Und ganz ähnliche Bedenken haben offensichtlich viele jetzt, die am Freitag abstimmen müssen, zumindest in den Reihen der Union. Gibt es die bei der SPD nicht, gibt es da keine Nein-Stimmen?
    Arndt-Brauer: Also, ich kann nicht prognostizieren, wie die gesamte SPD-Fraktion abstimmt, das weiß ich nicht –
    Zagatta: Die stimmt ja in der Regel zu.
    Arndt-Brauer: Ja, ich wollte ja sagen, in der Regel haben wir die europäische Idee immer über alles gestellt, und bei uns gab es keinen, der gesagt hat, Griechenland sollte aus der Eurozone ausscheiden oder ausgeschlossen werden. Also, dieser Grexit ist bei uns in der Fraktion nie diskutiert worden, und ich kenne auch keinen, der das gewollt hat.
    Von daher glaube ich, dass unser Tenor immer noch ist, wir müssen Griechenland helfen, dass es in der Eurozone so verbleibt, als Partner wie alle anderen auch. Dann muss man natürlich gucken, es reicht natürlich nicht, dass wir Griechenland neues Geld geben, damit alte Schulden bezahlt werden, und das Ganze führt nicht dazu, dass sich in Griechenland was ändert. Das heißt, in Griechenland muss Wachstum generiert werden. Griechenland muss wieder interessant für Investoren werden.
    "Wir wollten Griechenland immer im Euro halten"
    Griechenland muss selber was in der Bürokratie abrüsten, damit eigene Investoren auch vernünftig investieren können. Es kann nicht sein, dass da kein Kataster existiert und keiner mal irgendwie eine Halle irgendwo hin baut, weil er nicht weiß, wem gehört eigentlich das Grundstück. Und ich denke, an dem Punkt müssen wir in den nächsten Jahren, solange das Programm läuft, einiges tun.
    Und dann wird Griechenland in der Lage sein, sich selber im aktuellen Haushalt dann jeweils zu finanzieren, und dann wird man ihm beim Schuldenzurückzahlen entgegenkommen und dann wird dieses Land auch auf einen Wachstumskurs kommen.
    Zagatta: Wenn Sie jetzt sagen, keiner in der SPD hat erwogen, da diesen Grexit ...
    Arndt-Brauer: Ich habe keinen erlebt.
    Zagatta: Also, da wird ja von Wolfgang Schäuble gesagt – vielleicht hören wir uns das auch mal ganz kurz an, dass Ihr Parteivorsitzender, dass Sigmar Gabriel da sehr wohl informiert war.
    Wolfgang Schäuble: Ich will Ihnen nur ganz liebenswürdig sagen, ich habe keinen Vorschlag gemacht, der nicht innerhalb der Bundesregierung, und zwar in der Sache und in der Formulierung, abgesprochen war.
    Zagatta: Gehen Sie davon aus, dass der deutsche Finanzminister da lügt, wenn er so was sagt?
    Arndt-Brauer: Ich war bei diesen ganzen Gesprächen nicht dabei. Ich habe Ihnen nur eben gesagt, wir haben niemals einen Grexit innerhalb der SPD-Fraktion diskutiert. Das war nie Thema bei uns.
    Zagatta: Stört Sie das dann, wenn das in Ihrer Parteispitze ...
    Arndt-Brauer: Wenn jemand von irgendjemand anderem informiert worden ist, das kann ich nicht sagen, weil ich nicht dabei war. Ob irgendjemand über Grexit geredet hat? Mit mir reden täglich Leute über irgendwas, auch über Grexit redet mit mir täglich irgendjemand. Und ich sage dann aber immer nur, SPD-Position ist es nie gewesen, diesen Grexit anzustreben. Wir wollten immer Griechenland im Euro halten.
    "Die EU ist wie eine große Familie"
    Zagatta: Aber man geht doch davon aus, dass die Bundesregierung in so wichtige Verhandlungen mit einer gemeinsamen Politik geht und dass zumindest dann ihr Parteichef – der ist ja nicht irgendjemand – informiert war und eingebunden war.
    Arndt-Brauer: Noch mal. Das müssten Sie ihn wirklich selber fragen. Ich war nicht dabei, ich habe keine Ahnung, ob ihm das als Option angedeutet worden ist, ob man ihm das schriftlich vorgelegt hat, ich weiß es nicht. Ich war nicht dabei. Ich kann Ihnen nur sagen, in der Fraktion der SPD, wo ich immer dabei war, hat es in den Diskussionen nie eine Rolle gespielt. Wir haben nie diesen Grexit angestrebt.
    Zagatta: Frau Arndt-Brauer, weil Sie da auch im Finanzausschuss ja mit befasst sind. Bei diesem Hilfspaket jetzt, das man jetzt auf den Weg bringen will, da war ja die Feststellung, das kann man nur machen, wenn die Eurozone in Gefahr ist. Bis letzte Woche hieß es, das sei nicht so. Mittlerweile wird von allen Beteiligten das Gegenteil erklärt. Da wird doch schon wieder – Völkerrechtler sagen das ja auch – das Recht gebrochen oder Recht zurechtgebogen. Verstehen Sie da langsam die Skepsis in der Bevölkerung, wie die Politik, wie sich deutsche Politiker da verhalten?
    Arndt-Brauer: Also, ich finde es sehr schwierig, vorauszusagen, was passiert, wenn ein Land richtig in die Schieflage kommt, was mit anderen Ländern passiert. Wenn Sie mir vor zehn Jahren gesagt hätten, da gibt es in den USA eine Investment-Bank, die heißt Lehman-Brothers, die gerät in Schieflage, dann hätte ich gesagt, ja und, was interessiert mich das? Dass damit auch unsere West-LB am Ende in Nordrhein-Westfalen ruiniert wird, das hat doch niemand voraussagen können.
    Genauso wenig können wir voraussagen, was passiert, wenn Griechenland wirklich aus dem Euro ausscheiden müsste, wollte, würde. Was dann mit anderen Ländern passiert, die auch mal in schwierigen Situationen sind, das kann keiner voraussagen. Es kann auch keiner voraussagen, wie viel uns dieser Grexit, wenn er denn käme, kosten würde. Da gibt es ja auch wüste Annahmen, bis hin zu der Annahme, das ist dann völlig wurscht, das kostet uns gar nichts, das müssen die Griechen dann selber erledigen.
    Das ist alles Blödsinn. Die Europäische Union ist so was wie eine große Familie. Da sind einige Familienmitglieder näher an uns dran in der EU, andere sind weiter weg von uns wie zum Beispiel die Briten, aber wir sind eine große Gemeinschaft.
    Zagatta: Die auch nicht mitmachen wollen.
    Arndt-Brauer: Ja, okay, man kann nicht jeden gleich behandeln, man wird nicht jedem gleich gerecht. Aber jeder, der in Schwierigkeiten ist, erwartet doch von den anderen Hilfe. Und das zu Recht. Und das muss man natürlich mit Bedingungen verknüpfen, würde man in der Familie auch machen. Aber jemanden komplett fallen zu lassen, also ich weiß nicht, das macht man in sehr wenigen Familien. Und das würde ich für die Europäische Union auch nicht anstreben.
    Zagatta: Dazu wird es wohl auch nicht kommen. Danke schön für das Gespräch! Das war Ingrid Arndt-Brauer von der SPD, von der SPD-Bundestagsfraktion. Sie ist die Vorsitzende des Finanzausschusses. Danke für das Gespräch!
    Arndt-Brauer: Vielen Dank. Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.