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SPD-Debatte über Syrien-Einsatz
"Niemand hebt die Gewissensfreiheit auf"

Wenn die Bundeswehr in Syrien eines Tages direkt an Kampfhandlungen beteiligt werden soll, würde SPD-Chef Sigmar Gabriel die Parteimitglieder befragen. Sein Stellvertreter Ralf Stegner hat nun im DLF klargestellt: An das Ergebnis dieses Entscheids müssen sich die Bundestagsabgeordneten nach seiner Meinung nicht halten.

Ralf Stegner im Gespräch mit Christoph Heinemann | 18.12.2015
    Der SPD-Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein, Ralf Stegner
    SPD-Vize Ralf Stegner hält einen Mitgliederentscheid zu Syrien nicht für bindend. (dpa / picture alliance / Bodo Marks)
    Stegner sagte, die Bundestagsabgeordneten seien in ihrer Entscheidung unabhängig. Die von Parteichef Gabriel angekündigte Befragung der Basis für den Fall einer Ausweitung der Mission sei für die Abgeordneten nicht bindend.
    Gabriel habe mit seinem Versprechen beim Bundesparteitag ein wichtiges Signal gesetzt: "Wir sind eine Friedenspartei". In Syrien gehe es in erster Linie darum, den Konflikt politisch zu lösen. In der SPD werde bei Fragen um Krieg und Frieden heftig und leidenschaftlich gerungen. Das sei gut, denn: "Wer Harmonie will, muss in den Gesangsverein eintreten."
    Gabriel hatte auf dem Bundesparteitag angekündigt, eine Mitgliederbefragung für den Fall abzuhalten, dass ein verändertes Mandat eine direkte Beteiligung Deutschlands an Kampfhandlungen vorsähe.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Ist eine Entscheidung eine Entscheidung oder nur ein Stimmungsbild? Wollte man Horst Seehofer bemühen, könnte man sagen, in der SPD sind nun die Sprachwissenschaftler gefragt. Sigmar Gabriel hat den Stein ins Wasser geworfen und nun versuchen alle, die Kreise, die der zieht, möglichst klein zu halten. Der Parteichef will, wie gehört, die Mitglieder über den Kurs der Partei entscheiden lassen, sollte der Deutsche Bundestag über Kampfeinsätze in Syrien abstimmen.
    Am Telefon ist der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner, Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Guten Morgen!
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Stegner, würde eine Entscheidung der SPD-Mitglieder Partei und Fraktion binden?
    Stegner: Nein, das würde es nicht. Wir haben im Artikel 38 des Grundgesetzes die Gewissensfreiheit, die natürlich besteht und die nicht eingeschränkt werden kann. Wenn so eine konkrete Entscheidung anstünde im Bundestag, dann entscheiden die Abgeordneten nach ihrem Gewissen. Das ist im Übrigen eine schwierige Sache, das haben wir gerade gesehen beim Syrien-Einsatz. Die macht sich niemand leicht. Aber darum geht es eigentlich überhaupt gar nicht. Schauen Sie, in der SPD wird bei Fragen von Krieg und Frieden nun wirklich leidenschaftlich gerungen und ich möchte auch nicht in einer Partei sein, wo das anders ist.
    Heinemann: Mag ja sein. Aber Ihr Vorsitzender hat gesagt, die Parteimitglieder können über den Kurs entscheiden.
    Stegner: Ja! Aber er hat auch darüber gesprochen, über das Vorfeld einer solchen Entwicklung. Niemand geht im Übrigen davon aus, dass es im Augenblick in die Richtung geht. Aber gerade weil das so ein schwieriges Thema ist, war das ein Signal an die Parteimitglieder, das heißen sollte, ich gehe doch nicht in einen Koalitionsausschuss mit Angela Merkel, ohne zu wissen, wie meine Partei darüber denkt. Das wird nicht einfach von oben entschieden. Und in einer Großen Koalition kommt so etwas im Bundestag nur zur Abstimmung, wenn die beiden Koalitionspartner sich einig darüber sind. Das heißt, wir reden nicht darüber, dass jetzt die Entscheidung des Deutschen Bundestages oder der Abgeordneten eingeschränkt wird - das ginge auch gar nicht, das wäre auch falsch -, sondern es geht darum, dass gar keine Entwicklung eintritt, wo eine gemeinsam getragene Bundesregierung einen solchen Vorschlag macht, womöglich gegen eine klare Haltung der SPD. Darüber reden wir.
    Stegner: Über Fragen von Krieg und Frieden kämpft die Partei leidenschaftlich
    Heinemann: Das ist ja das eine, Herr Stegner. Das andere ist ja, was Herr Gabriel sagt. Die Botschaft an Ihre Parteifreunde, die Sie jetzt heute Morgen aussenden, lautet: Ihr könnt abstimmen wie ihr wollt, wir machen was wir wollen?
    Stegner: Nein! Genau das passiert nicht, sondern wir reden darüber, dass in solchen Fragen Krieg und Frieden die Partei leidenschaftlich kämpft darum und dass man das diskutiert. Das ist bei uns anders als bei anderen. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich die Partei in solchen Fragen positioniert. Wir hatten zum Beispiel einen Parteitag 1999 in Bonn, da ging es um den Kosovo. Wir hatten einen Parteitag 2001 in Nürnberg, da ging es um die Frage, wie reagiert man auf die Terroranschläge in den USA, was macht man, was macht man nicht. Wir waren damals sehr froh, dass die Regierung von Gerhard Schröder gesagt hat, wir beteiligen uns nicht am Krieg der Bush-Regierung gegen den Irak. Das findet im Vorfeld von Koalitionsdiskussionen statt, im Koalitionsausschuss zum Beispiel, und insofern war das Signal von dem Bundesparteitag eher eines, was in Richtung Angela Merkel ging, und nicht eines, was jetzt die Bundestagsabgeordneten der SPD im Sinn hatte. Klar ist: Wenn über ein Mandat im Deutschen Bundestag abgestimmt wird, sind die Abgeordneten in ihrem Gewissen frei. Daran ändert sich nichts. Und übrigens: Sigmar Gabriel ist selbst Bundestagsabgeordneter. Das weiß der, das muss ihm niemand sagen. Also ich finde es ein bisschen viel Aufregung. So ein Vorsitzender kann es dann auch niemandem recht machen. Wenn man sagt, wir diskutieren darüber nicht, dann heißt es, das ist Basta-Politik; wenn man der Partei sagt, ...
    Heinemann: Diskutieren ist aber was anderes als Entscheiden. Heute Morgen können wir festhalten: Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner widerspricht dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und sagt, eine Entscheidung der SPD-Mitglieder ist nicht bindend. Die SPD-Mitglieder können das nicht entscheiden.
    Stegner: Nein, ich widerspreche dem Parteivorsitzenden nicht, denn in diesem Sinne hat er das nicht gemeint.
    Heinemann: Doch! Sollen wir den O-Ton noch mal hören? Können wir gerne machen.
    Stegner: Ich habe ihn gehört. Er kennt das Grundgesetz auch. Es geht nicht darum, die Mitglieder im Deutschen Bundestag zu binden in einer Entscheidung, wo sie nur ihrem Gewissen unterworfen sind, sondern es geht darum, ob so etwas überhaupt zur Abstimmung in den Deutschen Bundestag kommt. Und eine gemeinsame Bundesregierung aus SPD und CDU legt dem Bundestag nicht etwas vor, was gegen den Willen der SPD passiert, und darüber reden wir. Wir reden über das Vorfeld einer solchen Entscheidung, und da finde ich es richtig, nicht im stillen Kämmerlein solche Dinge zu beraten, sondern die Partei daran zu beteiligen. Das hat bei uns auch eine Tradition. Und ich sage Ihnen, das hat auch Zustimmung. Da gibt es überhaupt gar keine Frage für mich. Das ist in der SPD geteilt.
    "Wir sind eine Friedenspartei. Wir wollen politische Lösungen."
    Heinemann: Es bleibt dabei: Gabriel hat den Mitgliedern den Mund wässrig gemacht. Er hat ja zur Begründung sogar gesagt, das zeigt doch, dass Mitgliedschaft bei uns etwas wert ist und man direkten Einfluss auf die Politik hat. Er hat sich da ganz klar festgelegt. Ich kann verstehen, dass Sie das jetzt anders auslegen müssen, aber das sieht ja nun komplett so aus.
    Stegner: Nein, nein. Entschuldigung! Ich gehöre nicht zu den Leuten, die hier irgendwelche Sprachrabulistik betreiben. Das ist noch nie meine Art gewesen. Wir haben über den Koalitionsvertrag auch abgestimmt, die Mitglieder, und aus diesem Koalitionsvertrag folgen allerlei Entscheidungen, die im Deutschen Bundestag getroffen werden, auch nach Gewissensfreiheit. Darum geht es nicht, sondern es geht um den Grundsatz.
    Heinemann: Hier geht es ja um die Bindung von Abgeordneten, von frei gewählten Abgeordneten.
    Stegner: Die werden nicht gebunden.
    Heinemann: Wir wissen, es gibt kein imperatives Mandat. Ein Blick ins Grundgesetz zeigt das.
    Stegner: Das soll auch nicht eingeführt werden.
    Heinemann: Wer sagt es Herrn Gabriel?
    Stegner: Lassen Sie es mich doch mal ganz praktisch sagen. Wenn die SPD sagt, es gibt keine Bodentruppen in Syrien, dann wird ein solcher Antrag in den Deutschen Bundestag nicht kommen durch eine Bundesregierung, an der wir beteiligt sind. Insofern stellt sich dann die Frage gar nicht. Gibt es eine Einsatzentscheidung im Deutschen Bundestag, dann gilt die Gewissensfreiheit. Das hebt niemand auf. Und noch mal: Der Bundesvorsitzende der SPD, der Vizekanzler, dem muss man das Grundgesetz nicht erklären. Das weiß der schon selbst. Das war auch nicht gemeint. Es geht aber darum, dass nicht einfach so eine Entwicklung an der SPD vorbeiläuft, wo dann plötzlich so was in den Bundestag kommt. Im Übrigen, lassen Sie mich mal eines sagen: In Syrien geht es hauptsächlich um eine politische Lösung. Wir wünschen uns nicht eine militärische Eskalation.
    Heinemann: Genau. Darüber reden wir dann, wenn wir über Syrien reden. Wir reden ja jetzt über die SPD. Sie haben gerade gesagt, vorbeilaufen. Frank-Walter Steinmeier war ja nicht begeistert, als er davon gehört hat, Justizminister Maas nicht einmal informiert über den Vorstoß von Gabriel. War das mal wieder einer seiner berüchtigten Alleingänge?
    Stegner: Ich weiß nicht, woher Sie das immer wissen, wer begeistert oder nicht begeistert ist. Und noch mal: Das Grundgesetz, das gilt für alle. Das kennt der Justizminister, das kennt der Außenminister und das kennt auch der Vizekanzler. Darum geht es nicht. Ich glaube, es ist eine Scheindebatte. Sigmar Gabriel hat mitnichten vor, dem Bundestag seine Rechte zu nehmen, dem er selbst angehört. Ich habe an der Debatte teilgenommen, die wir beim Parteitag hatten. Das war eine sehr intensive leidenschaftliche Debatte über die Frage von Außenpolitik, von Friedens- und Entspannungspolitik, und da hat er seiner Partei sagen wollen, ihr müsst euch nicht sorgen, hier gibt es jetzt nicht einfach eine Eskalation und in drei Wochen gibt es eine Abstimmung im Deutschen Bundestag, ob wir jetzt Bodentruppen da hinschicken. Das fand ich ein wichtiges Signal. Wir sind eine Friedenspartei. Wir wünschen uns politische Lösungen. Und wenn es Abstimmungen gibt, wie jetzt zum Afghanistan-Mandat etwa gestern im Deutschen Bundestag, dann herrscht Gewissensfreiheit und da fuhrwerkt keiner den Abgeordneten hinein, keine Partei und sonst niemand. Daran ändert sich nichts.
    "Wir haben einen streitbaren Vorsitzenden"
    Heinemann: Herr Stegner, Sie müssen heute früh den Kopf hinhalten für Ihren Parteichef. Das ist ehrenvoll. Geht Ihnen Gabriel gelegentlich eigentlich auf die Nerven?
    Stegner: Wir haben einen streitbaren Vorsitzenden, an dem man sich reiben kann. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das ist mir lieber als eine Vorsitzende, die zwar vielleicht möglicherweise höhere Stimmenergebnisse erzielt bei der CDU, aber wo die Unterschiede in der Partei viel, viel größer sind. Die muss sich demütigen lassen von ihrem Koalitionspartner CSU. Bei uns wird gestritten. Wir haben einen Parteivorsitzenden, der führt. Da ist man nicht immer einer Meinung. Ich bin auch nicht immer einer Meinung mit ihm. Aber er führt die Partei gut und das ist im Übrigen die Voraussetzung dafür, dass wir in der Bundesregierung auch was durchsetzen. Schauen Sie sich die Arbeit der Bundesregierung an. Die wird von der SPD geprägt und das, obwohl wir nur 25 Prozent haben. Also schlecht ist die Führung des Sigmar Gabriel wirklich nicht.
    Heinemann: Und geht er Ihnen auf die Nerven?
    Stegner: Der geht mir nicht auf die Nerven. Ich bin auch ein streitbarer Mensch. Ich gehe manchmal selbst Leuten auf die Nerven. So ist das im Leben. Wer Harmonie haben will, der muss in einen Gesangsverein eintreten. So ist das in der Politik nicht.
    Heinemann: Ein Gesangsverein ist die SPD nicht?
    Stegner: Nein.
    Heinemann: Ralf Stegner, der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Partei- und Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Stegner: Sehr gerne! Tschüss, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.