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SPD-Innenpolitiker Veit
"Auch Straftäter sind Träger von Menschenrechten"

Der Jurist und SPD-Innenpolitiker Rüdiger Veit hält es angesichts der Sicherheitslage für unvertretbar, abgelehnte Asylbewerber nach Afghanistan abzuschieben. Das gelte auch für Straftäter, die "in Deutschland ihre Strafe verbüßen" sollten, sagte Veit im Dlf.

Rüdiger Veit im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Rüdiger Veit (SPD) spricht am 06.03.2015 in Berlin während der Sitzung des Bundestages zum Bleiberecht und Aufenthaltsbeendigung.
    Der SPD-Politiker Rüdiger Veit (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Ann-Kathrin Büüsker: Am Telefon ist Rüdiger Veit, Jurist und Innenpolitiker der SPD. Guten Morgen!
    Rüdiger Veit: Guten Morgen.
    Büüsker: Herr Veit, warum ist es in Ordnung, Straftäter nach Afghanistan abzuschieben?
    Veit: Ich halte es im Augenblick generell, egal für wen, nicht für vertretbar, Abschiebungen nach Afghanistan vorzunehmen. In Ihrem Bericht eben ist zu Recht erwähnt worden, dass wir zurzeit keine verlässlichen Erkenntnisse von eigenen Mitarbeitern in der deutschen Botschaft haben, wie die Sicherheitslage sich dort entwickelt hat. Die Nachrichten, die wir aus Afghanistan bekommen, geben aber Anlass zu großer Besorgnis. Das betrifft dann, was die Frage, wer abgeschoben werden kann oder soll oder nicht, alle Menschen.
    Büüsker: Aber es wird ja nun mal genauso praktiziert. Deutschland hat diese Woche acht Straftäter abgeschoben.
    Veit: Ich halte das generell für problematisch und wenn wir uns den einzelnen Gruppen, um die es da geht, mal zuwenden, würde ich gerne Folgendes zu bedenken geben. Zunächst einmal habe ich immer Probleme damit gehabt zu sagen, wer seine Identität hartnäckig verweigert hat, der kann abgeschoben werden. Denn wer das wirklich erfolgreich und hartnäckig gemacht hat, von dem können wir streng genommen gar nicht wissen, dass er Afghane ist, beziehungsweise der hat dann im Zweifelsfall auch keine Papiere.
    Bei Gefährdern ist die Frage zu stellen, inwieweit tatsächlich der Verdacht einer Gefährdung konkret geworden ist oder konkret geworden wäre. Und bei Straftätern, da bin ich nun allerdings dezidiert der Auffassung, die sollten in Deutschland regulär verurteilt werden, in Deutschland dann aber auch ihre Strafe verbüßen. Was in keinem Fall geht, dass man wegen einer zwangsweisen Rückführung, also Abschiebung, auf die Durchsetzung des deutschen Strafanspruches verzichtet.
    "Es geht um die Frage, ob man sie in Lebensgefahr bringen kann"
    Büüsker: Wenn wir jetzt auf die acht Personen schauen, die da abgeschoben wurden, da sagt Innenminister Thomas de Maizière, das waren Straftäter. Wir reden über Vergewaltigung, wir reden über sexuellen Missbrauch. Nun argumentieren Sie, die sollen erst mal ihre Strafe hier absitzen. Okay. Und dann?
    Veit: Dann ist die Frage, wie sich die Lage in Afghanistan in der Zwischenzeit beziehungsweise in der Zukunft entwickelt haben wird. Das kann man heute nicht abschließend sagen. Der Bericht des Auswärtigen Amtes ist in der Hinsicht nicht aussagekräftig genug.
    Büüsker: Aber geht denn nicht der Schutz der eigenen Bevölkerung vor dem Schutz dieser Schutzsuchenden, die ja auch abgelehnt sind? Die sind eigentlich ausreisepflichtig.
    Veit: Es geht hier nicht darum, dass die Betreffenden bei uns Schutz finden müssten. Es geht um die Frage, ob man sie in Lebensgefahr bringen kann, dadurch, dass man sie in ihren Heimatstaat abschiebt, und auch Straftäter können Träger, beziehungsweise sind Träger von Menschenrechten. Sie haben ihre Menschenrechte, ihre Menschenwürde nicht generell verwirkt. Deswegen müssen wir auch solche Gesichtspunkte beachten, bevor wir zu einer Abschiebung kommen, die dann die betreffenden Menschen in Lebensgefahr bringen kann.
    Büüsker: Haben Sie nicht das Gefühl, dass das vielen Wählerinnen und Wählern gar nicht unbedingt so vermittelbar ist, dass jemand, der hier wirklich schwere Straftaten begeht, dann auch weiterhin unter unserem Schutz steht?
    Veit: Das ist ja das, was ich versuchte, eben zum Ausdruck zu bringen. Es geht hier nicht um die Frage des Schutzes, den der Betreffende natürlich dann eben nicht dauerhaft bekommen kann.
    Büüsker: Aber kurzfristig!
    Veit: Es geht um die Frage, ob wir ihn einer konkreten Gefährdung für Leib und Leben aussetzen können. Und auch bei Straffälligen - da würde ich gerne noch mal ausdrücklich Wert darauf legen wollen - kann es nicht sein, dass sie, nur weil sie abgeschoben werden, dann früher aus der Strafhaft oder aber sogar vor ihrer Verurteilung aus der Untersuchungshaft entlassen werden.
    Büüsker: Schauen wir mal bitte gemeinsam auf Bayern, Herr Veit. Da hat Innenminister Herrmann jetzt Zahlen bekannt gegeben, nämlich mit Blick auf die Vergewaltigungen im Bundesland Bayern. Aus diesen Zahlen geht hervor, dass die Zahl der Vergewaltigungen, die durch Zuwanderer begangen worden sind, deutlich gestiegen ist, und zwar mit Blick auf das erste Halbjahr 2007 [sic!]. Insgesamt gab es 685 Fälle und 126 davon waren Vergewaltigungen von Zuwanderern. Im Vergleich zum Vorjahr war das eine Steigerung von 50 Prozent. Im Vorjahr gab es nämlich nur 60 Vergewaltigungen durch Zuwanderer. Das scheint ja tatsächlich dann eine Problemlage zu sein. Wie gehen wir mit so was um?
    Veit: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, erst recht, wenn sie dann auch noch gegen Kinder gerichtet sind, sind nun mit Sicherheit das Abscheulichste, was wir kennen in unserer Gesellschaft. Deswegen sind die Maßnahmen gegen alle, die in der Weise gefährlich sind, nachhaltig zu unterstützen. Da gibt es auch keinen Widerspruch, glaube ich, zwischen allen politischen Parteien.
    Bevor ich aber zu der Statistik etwas sage, die Sie aus Bayern zitiert haben, von der Sie wahrscheinlich versehentlich 2007 gesagt haben statt 2017 ...
    Büüsker: In der Tat ein Versehen.
    "Das unterscheidet unseren Staat vom Unrechtsstaat des Dritten Reiches"
    Veit: Gut. - Bevor ich mich dazu äußere, müsste ich mir das im Einzelnen näher angucken, bevor man da Schlussfolgerungen zieht, die verfrüht wären.
    Büüsker: Aber wenn ich Ihre Argumentation zusammenfassen darf, sagen Sie, auch durch eine schwere Straftat kann eine Person, die ausreisepflichtig ist, nicht ihr Menschenrecht auf die körperliche Unversehrtheit verlieren. Wir dürfen solche Personen nicht abschieben.
    Veit: Oder auf ihr Leben. Ja, das ist unser Grundgesetz und das unterscheidet unseren Staat von dem Unrechtsstaat des Dritten Reiches, den wir auch erlebt haben, und auch da müssen wir sensibel bleiben.
    Büüsker: Nun ist eine solche Abschiebung aber in dieser Woche durchgeführt worden. Ist das einzuordnen in den gerade laufenden Wahlkampf?
    Veit: Das fragen Sie am besten Herrn Innenminister de Maizière. Ich möchte mich dazu nicht abschließend äußern. Dass es zu so etwas kommen würde, war zu befürchten, weil der Bericht des Auswärtigen Amtes, über den wir schon gesprochen haben, aus dem Juli ja kein endgültiger Bericht ist mit grundlegend neuen Erkenntnissen. Das war eigentlich zu erwarten.
    Büüsker: Wie passt das denn zusammen, dass Ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz sagt, er möchte, dass Abschiebungen nach Afghanistan weiterhin ausgesetzt werden, aber das SPD-geführte Auswärtige Amt dann nicht die Informationen bereitstellt, die tatsächlich Ausreisen komplett verhindern würden?
    Veit: Das Auswärtige Amt schreibt ja gerade in diesem Bericht, dass sie keine eigenen Erkenntnisse durch eigene Mitarbeiter vor Ort in Kabul oder sonst in Afghanistan haben, weil die dortige Botschaft zerstört worden ist durch den Anschlag und weil sich überhaupt nur noch ganz wenige Mitarbeiter, wenn überhaupt in Afghanistan aufhalten.
    Büüsker: Aber man könnte ja zum Beispiel mit den USA in Kontakt treten und die nach einer Einschätzung fragen.
    Veit: Es gibt ja den Versuch des Auswärtigen Amtes, in dem Bericht andere Erkenntnisse zusammenzufassen. Was in dem Bericht nicht drinsteht, das wäre eine Fehlinterpretation, dass bedenkenlos und jeder abgeschoben werden könnte. Genau das steht nicht drin und deswegen kann man auch die Schlussfolgerung nicht ziehen, das Auswärtige Amt befürworte nun generell Abschiebungen nach Afghanistan. Das sehe ich anders.
    Büüsker: ... sagt Rüdiger Veit, Jurist und Innenpolitiker der SPD. Wir haben über Abschiebungen nach Afghanistan gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch heute hier im Deutschlandfunk.
    Veit: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.