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SPD-Parteitag
"Die SPD könnte auch noch unter 20 Prozent sinken"

Es sei im Augenblick relativ unwahrscheinlich, dass die SPD die nächste Wahl gewinne und den nächsten Kanzler stelle, sagte der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann im DLF. Auch wenn die SPD bei etwa 25 Prozent zu stagnieren scheine, müsse sie sich dort erst einmal stabilisieren - denn sie könnte auch weiter absinken.

Ulrich von Alemann im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Porträt von Ulrich von Alemann
    Der emeritierte Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. (dpa / Heinrich-Heine-Universität)
    Martin Zagatta: Mit uns verbunden ist jetzt der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Herr von Alemann, guten Tag!
    Ulrich von Alemann: Guten Tag, Herr Zagatta.
    Zagatta: Wenn Sie eben zugehört haben, man fragt sich ja: Warum muss Sigmar Gabriel eigentlich so kämpfen, so werben um die Zustimmung seiner Parteigenossen? Denn eigentlich, verglichen mit seinen Vorgängern, hat er die Sozialdemokraten doch in relativ ruhiges Fahrwasser gebracht. Woher kommt da schon wieder die Kritik? Wie erklären Sie sich das?
    von Alemann: Ja, die SPD ist immer schon eine Partei gewesen, die mit sich kämpft, manchmal mit sich mehr kämpft als mit dem politischen Gegner. Das hat es schon immer gegeben, im Grunde in der ganzen über 100jährigen Geschichte der SPD. Sigmar Gabriel ist deshalb auch besonders umstritten, immer gewesen, weil man ihn eigentlich für im übertragenen Sinne leichtgewichtig hielt, auch wenn er das real auf der Waage nicht zeigt. Aber er hat schon sechs Jahre im Amt überstanden. Vor ihm haben die meisten seit Willy Brandt nur ein, zwei Jahre im Amt es ausgehalten. Er muss aber trotzdem kämpfen, weil nun auch gerade im Journalismus in etwas übertriebener Weise diese 83 Prozent von seiner letzten Wahl hochgehalten werden als die Latte, die er jetzt unbedingt noch höherlegen muss, um sie dann erfolgreich zu überspringen. Insofern hat er sich kräftig ins Zeug gelegt in seiner Rede heute Morgen. Ob das dann wirklich reicht, das weiß man nicht jetzt im Augenblick. Ich nehme jedenfalls an, ich persönlich, da das nicht ein so besonders gutes Ergebnis war damals mit diesen 83,6 Prozent, dass er da schon ein wenig drauflegen können wird.
    "Eine ganz merkwürdige Parallele jetzt zur Union"
    Zagatta: Trotzdem, Herr von Alemann, kommen ja die Zweifel, ob er der richtige Kanzlerkandidat ist, auch aus seiner eigenen Partei. Da wird ja jetzt schon spekuliert, ob Steinmeier vielleicht der bessere Kandidat sei. Hat die SPD da etwas Selbstzerstörerisches, oder wie ist das zu erklären?
    von Alemann: Die SPD hat immer schon an sich selber gezweifelt und in der evangelischen Kirche sagt man, wenn man am Glauben zweifelt, dann ist man schon ein ganzes Stück weiter, als wenn man selbstgewiss ist. Das scheint, die SPD verinnerlicht zu haben. Es gibt da aber eine ganz merkwürdige Parallele jetzt neuerdings zur Union. Auch Frau Merkel muss kämpfen in ihrer Partei, was sie gar nicht gewohnt ist für mehrere Jahre lang, und dieses ist jetzt nun für beide Parteien akut. Beide Parteien haben an diesem Wochenende Parteitag. Und Sigmar Gabriel hat trotz aller Kritik, die man an ihm üben kann und üben darf und üben wird in der Partei auch - schon vor einem halben Jahr war seine Position eigentlich stärker infrage gestellt -, doch wieder an Statur gewonnen und ist, denke ich, als Spitzenkandidat für die nächste Wahl 2017 im Grunde völlig unersetzlich. Wer soll ihn denn in irgendeiner Weise angreifen? Und das ist wiederum eine Parallele zur CDU. Auch wenn die Kritik an der Frau Merkel überall laut wird in der eigenen Partei und in der Union, auch da gibt es eigentlich überhaupt keine Alternative.
    Zagatta: Jetzt kommt die Kritik in der SPD vor allem ja vom linken Flügel, wenn ich das richtig einschätze, auch an seinem Kurs, dass er daran festhält, Wahlen werden in der Mitte gewonnen. Gilt das für die SPD überhaupt noch, jetzt wo die CDU ja ziemlich sozialdemokratisch geworden ist und die Grünen auch eher realpolitisch?
    von Alemann: Genau das ist das Problem für die SPD. Sie ist weiter eine Mitte-Partei, eine zentristische Partei. Die CDU rückt ihr da näher auf den Pelz durch Merkel. Allerdings wird das in der Union auch zurzeit sehr stark infrage gestellt, man müsse das konservative Profil wieder stärken. Aber die SPD hat im Grunde für diesen Mittelkurs, den sie führt und den auch Gabriel führt - es gibt natürlich auch sozusagen rechte Sozialdemokraten und linke, die ihn beide kritisieren -, er will diesen Mittelkurs durchhalten, weil er auf der linken Seite jedenfalls den linken Teil der Grünen in Konkurrenz sieht und auch noch die Linkspartei und weil er überzeugt ist, dass er da eigentlich keinen Blumentopf gewinnen kann, wenn er die SPD jetzt nach links führen sollte. In der Mitte sind immer noch die meisten Wähler nach allen Umfragen, die wir kennen, versammelt. Insofern macht sein Kurs durchaus Sinn.
    "Die SPD muss ihre Position stabilisieren"
    Zagatta: Auch wenn die SPD bei diesem Kurs so um die 25 Prozent verharrt? Von dieser ganzen Flüchtlingskrise profitiert ja im Moment offenbar fast nur die AfD. Kann die SPD unter diesen Umständen, so wie das im Moment läuft, die nächste Wahl eigentlich fast schon abschreiben?
    von Alemann: Sie kann die nächste Wahl wahrscheinlich nicht wirklich gewinnen und den nächsten Kanzler stellen. Das ist im Augenblick relativ unwahrscheinlich. Sie muss ihre Position stabilisieren. Wir haben in Deutschland so stabile oder auch stagnierende Verhältnisse in der Politik, wie seit vielen, vielen Jahren nicht mehr. Das einzige ist richtig, dass die AfD bis auf zehn Prozent in den Umfragen kommt. Die anderen Parteien, die beiden großen, Union um die 40, SPD um die 25, Grüne und Linke um die zehn. Das bleibt so stabil, wie ich mich wirklich in der Geschichte der Umfragen gar nicht mehr daran erinnern kann, dass es jemals das gegeben hat. Insofern kann die SPD sagen, das ist ganz schlimm, wir als SPD müssten ja eigentlich wieder über die 30 Prozent rüberkommen. Man kann aber auch andererseits sagen, wenn man den Blick nach Frankreich führt und andere Länder: Die SPD ist nicht darauf abonniert, 25 Prozent zu haben; sie könnte auch noch unter die 20 Prozent sinken, wie derzeit in Baden-Württemberg in den Umfragen. Das ist auch immerhin eine Stabilisierung, nicht nur eine Stagnation, wenn die SPD diese 25 Prozent und damit ein Viertel der Wählerschaft erst mal weiterhin hält.
    "Die Union braucht einen Koalitionspartner"
    Zagatta: Sind das dann, böse gesagt, was die Sozialdemokraten da machen, Scheingefechte, die sie führen? Hat dann die dreijährige Tochter, wie wir das eben in der Rede von Sigmar Gabriel gehört haben, ganz gute Aussichten, ihren Vater bald öfter zu sehen?
    von Alemann: Ja. Man weiß ja nicht, was dann für ein Wahlergebnis herauskommen wird. Auch wenn die Union weiterhin die unangefochten stärkste Partei sein wird bei den beiden Volksparteien, muss die Union in jedem Fall einen Koalitionspartner haben. Noch vor ein, zwei Jahren wurde die Union gehandelt, sie könne ja auch die absolute Mehrheit holen. Das ist längst vorbei, daran glaubt im Augenblick niemand mehr. Die Union braucht also einen Koalitionspartner und die SPD ist damit weiterhin einer der möglichen Koalitionspartner. Ob es gut ist, auf Dauer und auf längere Zeit eine Große Koalition zu haben, ist eine ganz andere Frage, aber diese Große Koalition, wenn sie denn weiter kommen würde, hätte ja eine ziemlich starke Opposition aus mehreren Parteien gegen sich.
    Zagatta: Dann aber unter Umständen nicht mit Sigmar Gabriel.
    von Alemann: Ja, das wäre durchaus denkbar.
    Zagatta: Der Politikwissenschaftler Ulrich von Alemann. Herr von Alemann, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und für Ihre Einschätzungen.
    von Alemann: Ja, ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.