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SPD-Politiker: Bundeswehr darf nirgendwo und niemals zu einer Art Hilfspolizei degradiert werden

Die SPD sieht nach der Verfassungsgerichtsentscheidung zum Bundeswehreinatz im Innern keine Mehrheit für eine Grundgesetzänderung. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Michael Hartmann, meint, nicht nur seine Partei, sondern auch FDP, Grüne und Linkspartei würden da nicht mitmachen.

Fragen an Michael Hartmann von Martin Zagatta | 18.08.2012
    Martin Zagatta: Die Bundeswehrsoldaten also anstatt der Polizei oder gemeinsam mit der Polizei soll jetzt im Innern eingesetzt werden. Das ist ein umstrittenes Thema. Bist gestern war ein solcher Einsatz auf Situationen wie Naturkatastrophen beschränkt, jetzt allerdings hat das Bundesverfassungsgericht den Weg freigemacht auch für einen möglichen Waffeneinsatz der Bundeswehr im Inland – zwar in Ausnahmefällen nur, aber die Bundeswehr darf nach dem Richterspruch künftig militärische Kampfmittel zur Gefahrenabwehr, zur Terrorabwehr, heißt es, einsetzen. Endlich, sagt dazu Innenminister Friedrich, und das Regierungslager, zumindest die Union, sieht ihre Rechtsauffassung jetzt bestätigt. Michael Hartmann ist der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Hartmann!

    Michael Hartmann: Guten Morgen!

    Zagatta: Herr Hartmann, das Regierungslager, die Union, sieht sich bestätigt. Dieses Urteil, ist das jetzt auch irgendwie eine Ohrfeige für die Opposition?

    Hartmann: Also ich habe den Eindruck, alle fühlen sich irgendwie bestätigt, der Bundeswehrverband, Frau Leutheusser, wenn auch in ganz anderer Weise als Herr Friedrich und Herr de Maizière, und auch wir fühlen uns zumindest ein Stück weit bestätigt. Ich will Ihnen das begründen: Das Urteil sagt nämlich an vielen, vielen Stellen sehr, sehr klar aus, dass nirgendwo und niemals die Bundeswehr zu einer Art Hilfspolizei degradiert werden darf. Das ist in so eindeutiger und scharfer Weise ausgeführt, dass nun endlich diese Pläne, quasi als Ersatz für abgebaute Polizeikräfte doch bitte bewaffnete Truppen aufmarschieren zu lassen, endgültig in der Schublade beziehungsweise noch besser im Reißwolf verschwinden sollten.

    Zagatta: Also Sie können mit dem Urteil ganz gut leben?

    Hartmann: Es gibt eine Stelle, das gestehe ich freimütig ein, wo ich stolpere, nämlich, wenn von diesen Ereignissen eines katastrophischen Ausmaßes gesprochen wird. Das ist eine Formulierung, die in Romanen ganz gut passen mag, in Urteilen des Verfassungsgerichts vielleicht nicht ganz so, denn was soll das denn sein? Sehen Sie, so, wie das Verfassungsgericht sehr klar ausführt, was alles nicht geht, Beispiele nennt, das definiert, stellt es einfach diesen einen Begriff in den Raum und lässt den Beobachter, im Zweifelsfalle sogar in einer Krisensituation den Entscheider, ziemlich hilflos zurück. Wo soll das tatsächlich greifen, wann soll das greifen? Es darf nicht eine Passagiermaschine, die von Terroristen entführt wird in mörderischer Absicht, abgeschossen werden, das sagt man klar, es darf aber auch nicht Bundeswehr wie Polizei eingesetzt werden. Wo ist da noch Raum dazwischen? Ich befürchte fast, am Schluss werden diejenigen, die in einer hoffentlich nie eintretenden Situation entscheiden müssen, tatsächlich sich auf sich und ihr Verantwortungsbewusstsein verlassen müssen.

    Zagatta: Da würde Ihnen das Gericht jetzt wahrscheinlich entgegenhalten: Wir entscheiden nur über das Grundsätzliche, das auszugestalten, ist dann tatsächlich Sache der Politik.

    Hartmann: Das ist wahr, aber das Grundsätzliche bleibt ja im Ungefähren, indem man einfach nur das Wort "katastrophisches Ausmaß" in den Raum stellt und nicht einen Definitionshinweis gibt. Wie gesagt, man ist nicht so zurückhaltend bei dem, wo beschrieben wird, was alles nicht gehen soll. Da hätte ich mir schon gewünscht, dass man es entweder konkreter macht, oder vielleicht auch zugibt, dass in Wirklichkeit hier ja in einer erst zum fünften Mal existierenden Situation eine Plenarentscheidung herbeigeführt werden muss, und vielleicht ist das dann auch so wie sonst im Leben oder in der Politik: Man muss Kompromisse schließen, man muss zueinanderfinden, man muss Formeln finden. Mir kommt es auch bei mehrmaligem Lesen dieses veröffentlichten Textes da und dort tatsächlich so vor.

    Zagatta: Wenn Sie eine parlamentarische Entscheidung ansprechen oder anmahnen: Kann denn die Regierung jetzt entscheiden – der Verteidigungsminister hat es angedeutet, man wolle über die Umsetzung jetzt nachdenken –, kann denn die Regierung jetzt entscheiden, wie sie künftig vorgeht, oder ist jetzt der Bundestag gefragt, das gesetzlich einzuschränken oder zu regeln?

    Hartmann: Wir sind keinen Schritt weiter als vorher, um ganz offen zu sein, denn das Gericht sagt ja, dass im Falle einer solchen Katastrophe, wenn ausnahmsweise auch bewaffnet Bundeswehr im Innern eingesetzt werden soll, die Bundesregierung als Kollegialorgan entscheiden muss. Und das Gericht sagt zugleich auch, dass die Situation schon eingetreten sein muss.

    Nun frage ich Sie: Wie soll das in der Praxis funktionieren? Eine unglaubliche Katastrophe, nehmen wir mal einen exorbitant großen Terroranschlag, ist bereits als Situation vorhanden, und nun soll das Kollegialorgan Bundesregierung, also alle Ministerinnen und Minister und die Kanzlerin, entscheiden: Wird die Bundeswehr eingesetzt oder nicht? Deshalb sage ich noch einmal: Es wird wohl so sein, dass in einer – der liebe Gott möge sie verhüten – solchen Situation jemand mit dem Mut und dem Verantwortungsbewusstsein eines Helmut Schmidt, siehe Flutkatastrophe oder Mogadischu, tatsächlich entscheiden muss, Verantwortung übernehmen muss und vielleicht sogar nolens volens Schuld auf sich lädt.

    Zagatta: Anders geht es wohl auch gar nicht.

    Hartmann: Ich befürchte ja, ich möchte aber nicht ständig in solchen Szenarien denken, denn eines ist auch klar: Erstens, die Bundesrepublik Deutschland besteht seit 1949 und wir haben es doch ganz gut geschafft bisher mit unserer Polizei in den Ländern und im Bund, unsere innere Sicherheit gut zusammenzuhalten, auch in Terrorlagen übrigens, denken sie an Baader Meinhof, aber denken Sie auch an islamistischen Terrorismus. Und auf der anderen Seite haben wir eine gute Bundeswehr zur Landesverteidigung. Die einen können die anderen nicht ersetzen, deshalb sollte jeder bei seinem Leisten bleiben, und man sollte auch nicht ständig so tun, als seien wir in dieser Grenzsituation eines Staatsnotstandes.

    Apropos Staatsnotstand: Im Prinzip wiederholt das Gericht an vielen Stellen einfach das, was im Grundgesetz steht, nämlich im Artikel 87a, wo die Bundeswehr ja tatsächlich im Falle des Notstandes ausnahmsweise bereits bewaffnet eingesetzt werden darf. Ansonsten gilt Artikel 35, nämlich: Die Bundeswehr darf vieles, aber nur im Rahmen der Amtshilfe bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, und dann immer unbewaffnet, dabei wird es auch bleiben.

    Zagatta: Aber wir haben trotzdem eine neue Rechtslage. Die Linkspartei beklagt, das sei eine Verfassungsänderung durch die Hintertür. So falsch ist das doch nicht, oder?

    Hartmann: Doch, ich halte das für falsch. Das ist überzogen. Die Verfassung kann nur der Verfassungsgesetzgeber und der Verfassungsgeber ändern, also sprich, Sie bräuchten eine Grundgesetzänderung, und dafür sehe ich nirgendwo eine Mehrheit. Denn weder die FDP will dabei mitmachen, noch die Grünen, noch die Linken, noch meine Partei, die SPD. Es wird sich also de facto nichts ändern, und es wird niemand am Grundgesetz herumfummeln, um den Notstand nun weiter auszudifferenzieren.

    Im Übrigen – bei einer Terrorlage: Glauben Sie, dass da tatsächlich ein Soldat auf dem Hauptbahnhof in Berlin oder Köln helfen kann, oder ein Panzer? Nein, nein, da braucht es schon Polizei, und zwar eine gute Polizei, die am besten im Vorfeld verhindert, dass es zu solchen Extremlagen kommt.

    Zagatta: Herr Hartmann, zum Schluss, und weil wir gleich nach den Nachrichten auch noch mit einem Meinungsforscher darüber sprechen: Nach dem jüngsten Deutschland-Trend der ARD will fast niemand Ihren Vorsitzenden Sigmar Gabriel mehr als Kanzlerkandidaten, nur zwölf Prozent, magere zwölf Prozent der Bevölkerung, und selbst unter SPD-Anhängern nur 14 Prozent halten ihn für den richtigen Mann. Ist Gabriel jetzt damit raus aus der Troika?

    Hartmann: Also ich erkenne sehr, sehr an – das wird oft vergessen –, dass Sigmar Gabriel bereit war, in einer Situation, in der die SPD tatsächlich niedergeschmettert am Boden lag, Verantwortung für die Truppe zu übernehmen, und er führt sie nicht schlecht, er hält sie nicht schlecht zusammen.

    Zagatta: Aber das klingt schon wie ein Nachruf, Herr Hartmann.

    Hartmann: Nein, nein, nein, nein, nein. Es klingt nach Anerkennung, es klingt nach Anerkennung. Wissen Sie, wie heißt es so schön bei Wallenstein: "Von der Parteien Gunst und Hass verzerrt, schwankt sein Bild in der Geschichte" – ich glaube, so geht es auch Sigmar Gabriel. Und über den Kanzlerkandidaten entscheiden wir nicht über ein Jahr vor der Bundestagswahl, auch wenn es manche noch so gern hätten.

    Zagatta: Und das kann man so machen, den Deutschen jetzt noch ein halbes Jahr lang einen Kandidaten präsentieren, den so gut wie niemand will und der damit chancenlos ist?

    Hartmann: Also erstens: Es wird gar kein Kandidat präsentiert, sondern wir machen anständige, solide, fundierte Oppositionsarbeit. Und zweitens: Wir sind im Moment noch nicht im Wahlkampf für den nächsten Deutschen Bundestag. Würden Sie sich ein Land wünschen, in dem zwölf Monate, 13 Monate hinweg Wahlkampf geführt wird? Ich nicht. Ich glaube, der Bundestag hat mit Eurokrise, innerer Sicherheit und anderen Themen noch so viel Arbeit zu leisten, dass wir nicht jetzt schon die Wahlplakate, zumindest im Kopfe, herausholen sollten.

    Zagatta: Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Hartmann, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

    Hartmann: Sehr, sehr gerne! Bis bald!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.