Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

SPD-Politiker Dreßler zum Ende von Jamaika
"Es wäre nicht falsch, den Bürger erneut zu befragen"

Mit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen sei eine Situation entstanden, "die wir noch nicht hatten", sagte der SPD-Politiker Rudolf Dreßler im Dlf. Eine Lösung könnten Neuwahlen sein. Dass sich die SPD einer Großen Koalition verweigere, halte er für richtig.

Rudolf Dreßler im Gespräch mit Mario Dobovisek | 20.11.2017
    Der ehemaliger deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, SPD
    Der ehemaliger deutsche Botschafter in Israel, Rudolf Dreßler, SPD (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Mario Dobovisek: Das Experiment Jamaika ist gescheitert, noch bevor es überhaupt richtig beginnen konnte. Klare Ansage der FDP vergangene Nacht. Unverständnis bei CDU und CSU, Enttäuschung bei den Grünen.
    Die Frage wollen wir weitergeben an Rudolf Dreßler, Sozialdemokrat. Er war lange Zeit Sozialpolitiker seiner Partei und auch 16 Jahre lang Mitglied im Parteivorstand. Guten Tag, Herr Dreßler.
    Rudolf Dreßler: Guten Tag!
    Dobovisek: Kann die SPD ihre Haltung durchhalten und sich einer Mitarbeit mit der CDU, einer Großen Koalition verweigern?
    "Der SPD Verantwortungslosigkeit zu unterstellen, wäre anmaßend"
    Dreßler: Ich denke, das kann sie sich sehr wohl leisten, weil sie in den letzten Jahren hohe politische Verantwortung übernommen hat in der Großen Koalition, vor der ich inhaltlich in meiner Partei immer gewarnt habe. Aber sei es darum. Und sie hat das mit teuren Dingen bezahlt. Sie hat eine Rentenversicherungspolitik, Gesundheitspolitik, Agenda zehn gemacht, die die SPD im Preis zum Schluss auf 20,5 Prozent gebracht haben. Der SPD, wenn sie Nein sagt, Verantwortungslosigkeit zu unterstellen, das wäre nun wirklich anmaßend.
    Dobovisek: Aber das ist genau das, was ihr vorgeworfen wird, sich aus der Verantwortung zu stehlen, und das nach all dem, was wir auch gerade von unserem Korrespondenten, von Stephan Detjen aus dem Hauptstadtstudio gehört haben, es klar ist: Es wäre die einfachste Möglichkeit, um Deutschland wieder Stabilität zurückzubringen. Kann sich die SPD so einfach aus der Verantwortung stehlen?
    Dreßler: Das kann sie sehr wohl. Ich habe ja gerade ausgeführt, in welcher Form sie bereits Verantwortung übernommen hat. Das kann ich nun bei den anderen Koalitions-Verhandlungsparteien, die bis gestern Nacht getagt haben, überhaupt nicht erkennen. Die FDP war gar nicht im Parlament. Jetzt kommt sie rein, macht im Wahlkampf große Plakate. Da steht drauf: "Nichts tun ist Machtmissbrauch". Und was macht sie, wenn sie gerade gewählt worden ist? – Sie sagt, es ist besser, nicht zu regieren als falsch. Das sind ja nun Plattitüden, mit denen man eine solche Partei nicht aus der Verantwortung entlassen sollte.
    Dobovisek: Was raten Sie Ihren aktuellen Genossen? Unter welchen Bedingungen soll die SPD wieder Verantwortung übernehmen?
    "Die SPD hat Verantwortung übernommen"
    Dreßler: Die SPD hat Verantwortung übernommen. Das tut sie jetzt auch. Man muss nämlich dann definieren, was Opposition in einer Demokratie bedeutet.
    Dobovisek: Opposition ist Mist, sagt Franz Müntefering.
    Dreßler: Franz Müntefering mit seinem Satz – wie hieß der noch mal genau?
    Dobovisek: Opposition ist Mist!
    Dreßler: Opposition ist Mist. Das kann ich nur so kommentieren: Ich habe selten einen merkwürdigeren Satz gehört, der sich über die Opposition in einer parlamentarischen Demokratie so äußert. Ich kann nicht erkennen, dass Herr Müntefering, wenn er mal darüber nachdenkt, heute bereit wäre, diesen Satz noch einmal zu sagen.
    Dobovisek: Noch einmal die Frage: Wie geht es weiter mit der SPD? Wie kann die SPD jetzt Verantwortung übernehmen, wenn nicht in der Opposition?
    "Ich kann keine Gefahr sehen, wenn Neuwahlen von Bürgern erwartet werden"
    Dreßler: Die SPD ist im Bundestag. Sie wird Oppositionspartei sein und auch bleiben. Und die anderen, die müssen sich nun finden. Und wenn das nicht möglich ist, dann wird auch was Neues in Deutschland entstehen, nämlich Neuwahlen. Ich kann nicht erkennen, dass es falsch wäre oder gefährlich wäre, den Bürger erneut zu befragen, ob er mit dieser Situation und wie er mit ihr zurechtzukommen gedenkt.
    Dobovisek: Ihr Parteifreund, der ja jetzt in seinem Amt parteilos ist, nämlich der Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, sieht das genau anders. Der sieht eine große Gefahr in den Neuwahlen. Können Sie das nachvollziehen?
    Dreßler: Nein, kann ich überhaupt nicht nachvollziehen, dass ich eine Gefahr sehen soll in einer Situation, in der Neuwahlen von Bürgerinnen und Bürgern erwartet werden, bei ihm beantragt werden. Das kann ich überhaupt nicht erkennen. Das sehe ich eher, mit Verlaub, Herr Bundespräsident, dass Sie das unter parteitaktischen Gesichtspunkten sehen. Dieses sehe ich nicht so.
    Dobovisek: Und das ist falsch?
    "Eine Lösung wäre, Neuwahlen auszuschreibe"
    Dreßler: Ich halte das für falsch, weil Demokratie und Neuwahlen eine Gleichung sind. Das kann ich nicht als gefährlich definieren.
    Dobovisek: Sie schöpfen ja aus einer Erfahrung eines langen Politikerlebens. Wir erleben was ganz Neues. Das kennen wir so noch nicht. Was bedeutet das Ende dieser Sondierungen am Ende für Deutschland und für die Politik in Deutschland?
    Dreßler: Ich kann nicht erkennen, dass wir jetzt ein Szenario diskutieren sollten, in dem Deutschland in Gefahr stünde, irgendetwas zu verlieren, oder die Demokratie auf wackeligen Füßen stünde. Das kann ich überhaupt nicht erkennen. Ich kann nur erkennen, dass eine neue Situation entstanden ist, die wir noch nicht hatten, mit der wir uns aber jetzt abfinden müssen und aus der heraus wir neue Lösungen zu bieten haben.
    Dobovisek: Andere ohne Angela Merkel?
    Dreßler: Es gibt Möglichkeiten, die man jetzt ergreifen kann, ohne dass man sagen muss, die SPD ist jetzt die letzte Hoffnung Deutschlands für eine Regierung.
    Dobovisek: Ist das, was wir gerade erleben, das Ende der Ära Merkel?
    "Herr Lindner ist gescheitert mit seiner FDP"
    Dreßler: Das kann durchaus sein. Das muss Frau Merkel selbst entscheiden, ob sie noch Chancen hat. Das kann ich überhaupt nicht beurteilen. Aber jetzt zu schreiben, Merkel sei gescheitert, ist ja deshalb schon Unsinn, weil Merkel nicht gescheitert ist, sondern Herr Lindner ist gescheitert mit seiner FDP.
    Dobovisek: Sind Sie sich da sicher?
    Dreßler: Da bin ich mir sehr sicher. Ich glaube auch nicht irgendwelchen Umfragen, dass die FDP aus dieser Situation verstärkt hervorgeht. Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
    Dobovisek: Das würden wir im Zweifel sehen bei Neuwahlen, wenn sie denn kommen.
    Dreßler: Richtig.
    Dobovisek: Gucken wir zurück zur SPD. Da stehen ja auch noch einige Veränderungen an und Diskussionen rund um den Parteichef, um Martin Schulz. Da bejammert die SPD ja noch das klägliche Ergebnis aus der Wahl, 20,5 Prozent. Das ist so schlecht wie noch nie für die Partei. Da sind Erneuerungen notwendig. Anfang Dezember steht der Parteitag an. Da soll vieles geklärt werden. Hat die SPD eine Zukunft mit Martin Schulz?
    "Die SPD muss sich neu sortieren"
    Dreßler: Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass das Ergebnis, was wir bekommen haben, mit 20,5 Prozent kein Ergebnis Martin Schulz’s ist. Zu glauben, wenn ein anderer dort gestanden hätte, hätte die SPD 27 oder 30 Prozent bekommen, das ist ja albern. Inhaltlich sind wir verprügelt worden, nicht personell. Die Inhalte, die wir in den letzten 15 Jahren als Arbeitsergebnisse dargetan haben, hat eine große, große Menschenmasse, die uns immer unterstützt und gewählt hat, nicht mehr akzeptiert. Das ist der Punkt, den die SPD jetzt diskutieren und wieder neu sortieren muss.
    Dobovisek: Der frühere SPD-Spitzenpolitiker Rudolf Dreßler. Ich danke Ihnen für das Gespräch.
    Dreßler: Bitte!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.