Sonntag, 28. April 2024

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SPD: Stasi-Unterlagen-Behörde wird nicht aufgelöst

Heuer: Vor genau einer Woche wurde bekannt, dass der Innenminister seine Zuständigkeit für die Stasi-Unterlagenbehörde an die Kulturstaatsministerin abgibt. Mit der Behördenleiterin war darüber im Vorfeld nicht etwa gesprochen worden, Marianne Birthler, nicht gerade Otto Schilys beste Freundin, wurde lediglich informiert. Heute nun schreibt die Berliner Zeitung, der Birthlerbehörde drohe das Aus. Bis 2010 solle sie nach den Plänen von Christina Weiss abgewickelt werden. Am Telefon bin ich nun mit Stefan Hilsberg verbunden, 1998 hat er die sozialdemokratische Partei in der DDR mitbegründet, heute sitzt er für die SPD im Deutschen Bundestag. Herr Hilsberg, wäre die Auflösung der Birthlerbehörde das richtige Signal?

Moderation: Christine Heuer | 10.12.2004
    Hilsberg: Nein, ganz im Gegenteil, das wäre fatal, dem müsste man sich entschieden entgegen stellen, aber das sehe ich auch nicht.

    Heuer: Wieso nicht?

    Hilsberg: Was wir bei dem Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen haben, ist eine Bedeutungsveränderung und darauf muss man reagieren, angemessen reagieren und rechtzeitig. Das ist geschehen, vielleicht sogar ein bisschen früh und natürlich ein bisschen in Schilyscher Manier ist da ein Ressortwechsel angekündigt worden, ohne dass vorher die Öffentlichkeit darüber informiert war und das Parlament hat diskutieren können. Über diesen Stil mag man diskutieren, von der Sache her ist das richtig. Die Aufgaben des Bundesbeauftragten, die Funktion die gegenwärtig von Marianne Birthler wahrgenommen wird, hat mehrere Facetten und ein Teil dieser Aufgaben hört jetzt auf. Dazu gehören beispielsweise die Überprüfungen im Öffentlichen Dienst, einige Fristen, was staatsanwaltschaftliche Ermittlungen betrifft und die Ermittlungen der Regierungs- und Vereinigungskriminalität sind für meine Begriffe schon abgelaufen, also Strafverfolgungsfristen und das waren zentrale Aufgaben. Das hört auf. Was bleibt, und das ist sehr, sehr wichtig und das darf auch nicht beeinträchtigt werden, das sind die ganzen Rechte der Betroffenen auf Einsicht in ihre unmittelbaren Unterlagen und das ist das Recht auf den Einblick in die entsprechenden Täterakten, selbst wenn es Personen der Zeitgeschichte sind. Dafür ist ja das Stasiunterlagengesetz mit an wichtigster Stelle geschaffen worden, dass das möglich ist. Diese Aufgaben müssen gewährt bleiben, selbst wenn es von der Sache her richtig ist. Die Unterlagen, die ehemaligen Stasi-Dokumente, die ja faktisch Bundesakten sind, mit dem Bundesarchiv zusammenzuführen, dabei darf eines nicht passieren, nämlich das diese 1989/90 unter dem Stasiunterlagengesetz verbrieften und erkämpften Rechte in irgend einer Art und Weise tangiert werden. Das ist der Maßstab für den Prozess, der jetzt ansteht. Aber an und für sich ist der richtig und zwar aus einem ganz besonderen Grund.

    Heuer: Wenn aber die Akten ins Bundesarchiv wandern und die Zuständigkeiten, die Frau Birthler bisher wahrnimmt, ab 2010 spätestens an andere Institutionen, ist das dann nicht das Signal, dass die Aufarbeitung der SED-Vergangenheit eben nicht mehr in einer Hand ist, das dieses Thema zersplittert wird und nicht mehr so leicht zugänglich sein wird?

    Hilsberg: Über diese Fragen muss man sich unterhalten, wobei ich sagen würde, dass das ein Stück weit auch Formalien sind. Entscheidend ist Folgendes: dass die Rechte auf Akteneinsicht weiter gewahrt bleiben, dass die Akten hier vor Ort sind...

    Heuer: Also in Berlin, nicht in Koblenz?

    Hilsberg: Natürlich, wir sind ja nicht nur in Berlin, die Normannenstraße in Berlin ist ja auch ein Gedenkstättenkonzept von Frau Weiss an zentraler Stelle und das kann man doch gar nicht machen, wenn man nicht die Akten hier hat. Wir haben eine Reihe von Außenstellen. Darüber wird zur Zeit sogar gerade diskutiert, weil das neu konzipiert werden muss und da liegen auch sehr viele Akten. Das muss für meine Begriffe so bleiben. Es ist ja gar nicht vorstellbar, dass die Behörde ihre künftige Aufgabe für die politische Bildung, die eine viel größere Rolle einnehmen wird als bisher, wahrnehmen kann, wenn nicht die entsprechenden Unterlagen gewissermaßen vor Ort sind. Deshalb ist das eine zentrale Frage.

    Heuer: Nun hat die Gauck-, später Birthlerbehörde eine wahre Erfolgsgeschichte geschrieben. Warum soll das denn jetzt beendet, geändert werden?

    Hilsberg: Erfolgsgeschichte hat sie geschrieben, das ist richtig und das ist auch gut so. Das ist ja einmalig in der ganzen Welt. Wir waren zumindest die ersten, die überhaupt in einer solchen besiegten Diktatur die Unterlagen in dieser Art und Weise der Öffentlichkeit mit zur Verfügung gestellt haben. Das ist unverzichtbar und das muss auch weiter gewährt bleiben. Aber die Diskussion, sie werden sich erinnern, in den letzten Jahren haben ja abgenommen und sie haben nicht abgenommen, weil die Leute kein Interesse mehr da dran haben, sondern weil wichtige Fragen und Diskussionen schlicht und einfach ein Stück zu Ende geführt worden sind, nicht immer mit dem Ergebnis, was ich mir gewünscht habe, zum Beispiel die Rechtsentscheidung, die Gerichtsentscheidung über den Kohlprozess, wo er geklagt hat über das Stasiunterlagengesetz und letztlich Recht bekommen hat, das hat mir überhaupt nicht gefallen. Aber im Wesentlichen haben wir doch die Standards durchhalten können. Diese Diskussionen haben sich entzündet über beispielsweise die Prozesse der Mauerschützen, über die Prozesse im Zusammenhang mit Regierungs- und Vereinigungskriminalität und auch über die vielen Entlassungen, die zu machen waren und diese Aufgaben sind schlicht und einfach abgewickelt. An dieser Stelle hat die Behörde die Bedeutung nicht mehr, die sie mal gehabt hat, weil das erledigt ist. Jetzt geht es nicht um Abwicklung, sondern es geht darum, die Behörde auf eine Schiene zu stellen, dass sie rechtzeitig eingestellt werden kann auf die Aufgaben, die vor uns liegen und in den nächsten 20, 30 Jahren die zentrale Rolle haben und das ist eben politische Bildung.

    Heuer: Sollte die Regierung tatsächlich die Pläne, wie sie jetzt bekannt geworden sind, so dem Parlament vorstellen, empfehlen Sie zuzustimmen, die umzusetzen?

    Hilsberg: Ich würde das abhängig machen, das ist auch meine Empfehlung intern, von dem Konzept das für die Zukunft der Behörde ja jetzt ausgearbeitet wird, im Rahmen des Gedenkstättenkonzeptes und als Gesamtkonzept, was die Frau Weiss ja vorgeschlagen hat. Da gibt es viele Detailpunkte, über die zu reden ist. Da sind Daten genannt, die sehr kurzfristig sind, da sind Strukturvorstellungen drin, die für meine Begriffe - ich will sie nicht naiv nennen - aber ein Stück weit auch ohne Sachkenntnis vorgenommen wurden. Es war bisher Usus und daran haben wir festgehalten, dass ist wichtig, dass die Entscheidung zusammen mit den Stasiunterlagengesetz von einer breiten parlamentarischen Mehrheit getragen wird. Die Voraussetzung für die Umwandlung der Behörde ist eine parlamentarische Entscheidung, denn alleine der Ressortwechsel schon bedarf der parlamentarischen Zustimmung. Das ist im Stasiunterlagengesetz so geregelt. Wir haben alle Grundlagen dafür, unter der Voraussetzung, dass wir am parlamentarischen Konsens mit der CDU, mit den Grünen, in der Koalition sowieso und der FDP festhalten, das sollten wir machen, auch in Zukunft machen, dass wir nicht nur Diskussionen darüber führen können, sondern zum Schluss eine einvernehmliche Lösung darüber haben. Ich sehe nicht, dass dieser eigentlich notwendige Prozess der Umgestaltung und auch der Verwaltung, beziehungsweise Anpassung an die Behörde, an die Strukturen - letztlich geht es auch ein bisschen um Effektivität und um Verwaltungseffektivität und um geringe Kosten, das darf man auch nicht außer Acht lassen - dass wir diesen Prozess nicht lösen können.

    Heuer: Aber einer Auflösung der Behörde würden Sie auch nicht zustimmen?

    Hilsberg: Nein, einer Auflösung der Behörde, da wäre ich definitiv dagegen. Das wäre das falsche Signal. Das wiederhole ich noch mal.