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SPD-Vize Ralf Stegner
"Der Juso-Vorsitzende darf radikaler formulieren"

SPD-Vize Ralf Stegner hält die Diskussion um Kevin Kühnerts Äußerungen zum Sozialismus für einen "Sturm im Wasserglas". Er sagte im Dlf, es sei üblich, dass die SPD-Jugendorganisation links von der Mutterpartei stehe. Zudem sei klar, dass Kühnert über demokratischen Sozialismus gesprochen habe.

Ralf Stegner im Gespräch mit Jörg Münchenberg |
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner
Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner (imago stock&people)
Auch frühere Juso-Chefs hätten sich stets weiter links positioniert. "Wer, wenn nicht der Juso-Vorsitzende, kann so sprechen?" In jeder Partei gebe es ein breites Meinungsspektrum. Stegner glaubt, die Wähler könnten zwischen dem Wahlprogramm der SPD und den Äußerungen Kühnerts unterscheiden. In dem diskutierten Interview mit der "ZEIT" sei es um politische Utopien gegangen. Die SPD als Gesamtpartei habe hingegen praktische Antworten, die nicht so weit gingen wie die Vorstellungen von Kühnert.
Wieso also die aufgeregte Debatte über Kühnerts Äußerungen? "Ich glaube, das ist Nervosität im Umgang mit einem Debattenbeitrag", sagte Stegner. Kühnert habe bestehende Missstände angesprochen, wie etwa die wachsende soziale Ungleichheit oder den Mangel an bezahlbarem Wohnraum.
Stegner lobte Kühnert für seinen "unermüdlichen" Einsatz und dessen Versuch, junge Leute zu erreichen. "Das kann er mehr und besser als andere". Es sei wichtig, bei jungen Menschen Gehör zu finden.
Kühnert bekräftigt seine Aussagen
Kühnert hatte in einem Interview über die Möglichkeit gesprochen, große Firmen wie BMW zu vergemeinschaften und den Immobilienbesitz in Deutschland zu beschränken. Im "Spiegel" bekräftigte er seine Forderungen. Er habe diese sehr ernst gemeint. Der Kapitalismus sei "in viel zu viele Lebensbereiche" vorgedrungen. So könne es nicht weitergehen, und das müsse auch in Wahlkampfzeiten diskutiert werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Hier lesen Sie das vollständige Interview:
Jörg Münchenberg: Es sind schon radikale Aussagen, selbst wenn Juso-Chef Kevin Kühnert auf das Grundsatzprogramm der SPD verweist. Auch da sei schließlich von einem demokratischen Sozialismus die Rede. Doch Forderungen nach einem genossenschaftlichen Automobilbetrieb BMW, oder die in einer optimalen Welt Abschaffung privater Wohnungsvermietungen, das alles hat auch in den eigenen Reihen für Kopfschütteln gesorgt. Der Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, fragte gestern etwa auf Twitter: "Was hat denn der geraucht?" - Am Telefon ist nun SPD-Vize Ralf Stegner. Herr Stegner, einen schönen guten Morgen!
Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Stegner, hat die SPD Angst vor dem Sozialismus?
Stegner: Nein, das hat sie bestimmt nicht, und die Passage, auf die Sie Bezug nehmen, im Grundsatzprogramm der SPD, die gibt es ja schon ganz lange. Das Entscheidende ist ja, dass wir über demokratischen Sozialismus da reden und über eine Zukunftsvorstellung, und ich bin schon ein bisschen verblüfft. Man muss nur das eine oder andere Wort erwähnen, dann haben wir eine hysterische Debatte in Deutschland.
Der SPD muss nun wirklich niemand erklären, dass wir da immer nur über demokratische Formen reden. Wir waren schließlich in der DDR verboten, im Gegensatz zu anderen Blockparteien. Das muss uns niemand erzählen. Und Kevin Kühnert hat, nebenbei bemerkt, in dem Interview mit der Zeit, was ja mehr so ein bisschen philosophischen Charakter hatte, nach dem Motto, wie stellen Sie sich das eigentlich vor mit dem Sozialismus, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es um demokratische Formen geht und keineswegs um das, was wir in der Geschichte da teilweise gesehen haben.
"Probleme angesprochen, die wir in der Gesellschaft haben"
Münchenberg: Aber wenn man sich jetzt die Reaktionen ansieht - von der Union, würde ich mal sagen, kommt das ja nicht so überraschend, aber auch aus der SPD war es ja doch ziemlich harsch. Da war von grobem Unfug die Rede, linker Revolutionsrhetorik. Das hat der SPD-Chef in Baden-Württemberg, Andreas Stoch etwa gesagt. Das fällt doch ziemlich scharf aus in der Tonalität, gerade auch bei der SPD.
Stegner: Ich glaube, dass das teilweise Nervosität ist im Umgang mit so einem Debattenbeitrag. Wer, wenn nicht der Vorsitzende der Jungen Sozialisten darf auch mal ein bisschen radikaler formulieren und vielleicht auch anders, als das der Parteispitze gefällt. Das war früher übrigens bei den Juso-Vorsitzenden, ob sie Gerhard Schröder oder Andrea Nahles hießen, auch nicht anders. Die haben auch radikalere Forderungen gestellt.
Man darf ja eines nicht vergessen: Der Kevin Kühnert hat sich ja mit Missständen auseinandergesetzt. Er hat ja angesprochen die Probleme, die wir in der Gesellschaft haben. Die Bevölkerung sagt ja selbst, dass das Ausmaß an Ungleichheit viel zu groß ist. Es gibt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, aus der wir wissen, dass 82 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass die soziale Ungleichheit zu groß ist und dass man was dagegen unternehmen muss und dass man da auch einen handelnden Staat braucht, der das macht.
Nehmen Sie das Beispiel Wohnen, um das es da ja geht. Dann sieht man: Wir haben einen absoluten Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Wir haben Missbrauch, wir haben jede Menge Luxuswohnungen, die gebaut werden. Da wird spekuliert. Und natürlich hat die SPD da eine praktische Antwort, die nicht so weit geht wie das, was der Kevin Kühnert sagt. Wir sagen, wir wollen eine Mietpreisbremse und wir wollen den Bodenwert besser besteuern, wir wollen Genossenschaftswohnungen haben.
Münchenberg: Herr Stegner, Entschuldigung! Aber hilft das der SPD, wenn Kevin Kühnert jetzt eine Verstaatlichung von BMW fordert?
Stegner: Auch das war ja eher eine Frage von den Journalisten. Das wurde ihm mehr oder weniger in den Mund gelegt.
"Es ging ja auch um politische Utopien"
Münchenberg: Aber er hat es ja gesagt.
Stegner: Ja, gut! Aber ich sage mal, der Vorsitzende der Jusos, der darf doch auch ein bisschen radikaler formulieren, als wir das in der praktischen Politik machen. Und was heißt, ob das hilft? Ich muss ehrlich sagen: Mir ist ein Juso-Bundesvorsitzender, der links von der SPD ist mit seinen Forderungen, deutlich lieber, wenn ich mal den Scheuer mir angucke, als den Vorsitzenden der Jungen Union, der davon redet, es herrsche Gleichschaltung in der CDU, weil dort über eine humanitäre Flüchtlingspolitik von Frau Merkel nicht so geredet wird, wie er sich das vorstellt. Da ist mir der Juso-Vorsitzende deutlich lieber. Ich muss da nicht allem zustimmen, ich stimme auch nicht allem zu, aber ich finde, das ist das Vorrecht. Und es ging ja auch um politische Utopien, nebenbei bemerkt, in dem Interview. Wenn man das mal genau liest, was die wenigsten wohl getan haben, dann ist das doch auch ein bisschen Sturm im Wasserglas, ehrlich gesagt.
Münchenberg: Aber noch mal die Frage, ob es der SPD hilft. Wir haben ja zum Beispiel jetzt die EU-Wahlen. Ist es dann nicht wichtiger für die SPD, sich mit konkreter Politik zu beschäftigen, als wenn jetzt doch ein recht bekannter SPD-Politiker solche Utopien an die Wand malt?
Stegner: Wir tun doch beides. Die Menschen sehen unser Wahlprogramm, und übrigens der Kevin Kühnert ist von morgens bis abends unermüdlich im Wahlkampfeinsatz für den Europawahlkampf und da reden wir über gute Arbeit, da reden wir über die Besteuerung großer Digitalkonzerne, die sich dem entziehen, da reden wir über Frieden und Abrüstung und dass wir was tun müssen gegen die rechten Populisten, wo die Konservativen und Liberalen ja sehr schlapp sind. Da muss die SPD vorangehen. Da reden wir über all solche Dinge.
Aber Sie dürfen doch auch nicht vergessen: Schauen Sie mal zum Beispiel die Fridays for Future Bewegung an, die für Klimaschutz demonstrieren.
Münchenberg: Die aber sehr konkrete Forderungen erheben und jetzt nicht revolutionäre Forderungen stellen.
Stegner: Aber ich will Ihnen was sagen: Was kriegen die für Antworten? Die werden arrogant zu Recht gewiesen von Herrn Lindner von der FDP oder von Herrn Ziemiak von der Union. Wir reden auch mit den jungen Leuten und versuchen, die ernst zu nehmen, und der Kevin Kühnert ist einer, der, glaube ich, auch junge Leute erreicht, mehr und besser als andere, und da darf man auch über Zukunftsfragen nachdenken. Ich glaube, das stört sich überhaupt nicht. Die Bürgerinnen und Bürger kennen schon die Wahlprogramme. Die wissen, dass nicht die Automobilkonzerne verstaatlicht werden und dass wir so was auch gar nicht vorhaben. Aber man darf trotzdem so reden, finde ich, und ich freue mich darüber, wenn wir einen Juso-Vorsitzenden haben, der auch weiterdenken will. Dass nicht jeder Beitrag von ihm allen gefällt, das ist Teil seines Jobs.
"Das geht nicht nur mit braven Debatten"
Münchenberg: Aber ist das vielleicht auch der Versuch, jetzt eine Art Arbeitsteilung hier zu praktizieren, dass Kevin Kühnert versucht, mit solchen Aussagen gerade im linken Wählerspektrum zu fischen?
Stegner: Ich glaube nicht, wenn Sie den Kevin Kühnert sich angucken, dass man den in die politische Taktik einordnen kann, sondern das ist durchaus jemand, der einen Bereich, wo wir dringend was tun müssen, nämlich dass wir wieder bei jungen Menschen mehr Gehör finden, der sich darum ganz gut kümmert. Schauen Sie sich die Europawahl an: Wir haben doch gesehen, die jungen Leute haben sich nicht genug beteiligt an der Brexit-Abstimmung in Großbritannien, und das Ergebnis war eines, was eine Tragödie für Europa ist. Jetzt stehen wir wieder vor einer ganz wichtigen Wahl in Europa und wir müssen junge Menschen wieder für Politik interessieren. Das geht nicht nur mit braven Debatten.
Münchenberg: Aber noch mal: Erreicht man mit solchen Äußerungen tatsächlich Wähler, gerade jetzt vor den wichtigen Europawahlen? Oder wird das Profil der SPD nicht deutlich unschärfer, dass sich manche vielleicht fragen, was denn nun, wollen die die Verstaatlichung von Großkonzernen, oder wollen sie Änderungen bei der Grundrente?
Stegner: Nein. Ich glaube, die Menschen können schon unterscheiden, was konkretes Programm ist, und da sehen Sie, wir sind zum Beispiel für die Grundrente, wollen dafür sorgen, dass Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, besser dran sind als die, die nicht gearbeitet haben. Andere wollen lieber Steuersenkungen für die Großverdiener. Da gibt es schon klare Unterschiede. Aber die Parteien haben doch auch ein unterschiedliches Spektrum. In so einer Volkspartei gibt es doch nicht nur eine Meinung und da gibt es doch auch unterschiedliche Strömungen, die man bedenken muss.
Und schauen Sie, ich will Ihnen mal ein anderes Beispiel sagen: Es gibt Leute in der CDU, die sagen, man soll mit der AfD koalieren. Deswegen kommt doch trotzdem niemand auf die Idee zu sagen, das sei jetzt die Position der CDU und hält das denen vor. Das ist nun ein besonders hässliches Beispiel, aber es ist eines, was es gibt. In den Volksparteien werden unterschiedliche Meinungen vertreten. Ich bin jedenfalls froh, dass es die Jusos gibt und dass der Kevin Kühnert einer ist, der sich engagiert an der politischen Debatte beteiligt und versucht, heute junge Menschen wieder für demokratische Politik zu gewinnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.