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SPD will Anspruch auf Krippenplatz durchsetzen

Die SPD bleibt bei ihrer Forderung nach eine Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. "Der Rechtsanspruch muss kommen", sagte Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) vor Beratungen im Koalitionsausschuss. Zugleich signalisiert er jedoch im Streit mit der Union Entgegenkommen und stellte infrage, ob der Rechtsanspruch wie bislang gefordert bis 2010 umgesetzt werden muss.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Schauen wir auf die Bremen-Wahl: Die SPD hat gewonnen, aber auch verloren bei den Wahlen zur Bremer Bürgerschaft, vor allem an die Partei "Die Linke", die offensichtlich als soziale Alternative zur SPD angesehen wird. Über dies und den Koalitionsausschuss heute Abend will ich jetzt mit Franz Müntefering sprechen, Vizekanzler und Sozial- wie Arbeitsminister. Guten Morgen, Herr Müntefering!

    Franz Müntefering: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Tut das weh, was da in Bremen geschehen ist an Verlusten?

    Müntefering: Nein. Zunächst mal freut es, wenn man einen Strich darunter zieht. Es gibt auch für die nächste Legislaturperiode einen klaren Regierungsauftrag für die Sozialdemokraten. Den wird Jens Böhrnsen ausfüllen. Da bin ich ganz sicher. Das ist für Bremen eine gute Entscheidung. Dass man sich weiter anstrengen muss, um als SPD auch zu bestehen und die Zustimmung der Menschen zu bekommen, das wussten wir.

    Durak: Woran liegt es, dass so an die 6000 in Bremen Ihnen von der Stange und zu den Linken gegangen sind?

    Müntefering: Das weiß ich nicht. Das müsste man im Einzelnen analysieren. Aber man kann natürlich aus der Entwicklung der letzten Jahre ableiten: Wir haben eine ganze Reihe von Probleme gehabt in den Städten und Gemeinden, auch in Bremen und in Bremerhaven, aber auch auf der Bundesebene. Nicht alles davon haben wir überzeugend vermitteln können, aber die soziale Gerechtigkeit bleibt das Kennzeichen sozialdemokratischer Politik. Soziale Gerechtigkeit bedeutet allerdings auch, dass man etwas tut für Chancengerechtigkeit und für Generationengerechtigkeit. Das heißt, das ganze Spektrum des menschlichen Lebens muss sich dort niederschlagen. Ich glaube, dass wir da auf dem richtigen Wege sind.

    Durak: Heute Abend beim Koalitionsausschuss wollen Sie auf diesem Wege weitergehen. Da ist ja übers Wochenende sozusagen einiges schon vorbereitet worden: Einigung für die Unternehmenssteuerreform durch Zugeständnisse der Union, so vermute ich, für einen Erbschaftssteuerkompromiss. Krippenfinanzierung durch den Bund auch für laufende Kosten von der Bundeskanzlerin bestätigt. Und Unterstützung des Haushaltskonsolidierungskurses durch die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende, die ja auch Forderungen aus den eigenen Reihen nach raschen Steuersenkungen abgewiesen hat. Ist oder wird Angela Merkel Ihre beste Mit- oder Zuarbeiterin in der CDU?

    Müntefering: Diese drei Dinge, die Sie gerade besprochen habe, hoffe ich, sind auf richtigem und gutem Weg. Man muss ja immer noch die Details sehen. Ich würde da nicht zu früh jubeln. Da gibt es sicher über den einen oder anderen Punkt dann auch noch die nötigen Auseinandersetzungen. Bei den Krippenplätzen zum Beispiel, das ist ja etwas, was wir in das Koalitionsprogramm, in den Koalitionsvertrag gedrückt haben, 230.000 zusätzliche Plätze bis 2010. Jetzt soll es noch schneller gehen und bis 2013 fortgesetzt werden. Das ist richtig. Das ist eine ganz wichtige Entscheidung. Also da kommt es eigentlich mehr auf die Frage an, wie finanziert man das denn jetzt und wie setzt man es praktisch um?

    Durak: Die Familienstiftung ist im Gespräch durch die CDU-Ministerpräsidenten. Was halten Sie davon?

    Müntefering: Im Prinzip keine schlechte Idee, aber man muss sehen: Es muss ja alles finanziert werden. Das ist letztlich kein Weg vorbei an der Frage, wer trägt die Kosten für das, was an großer Aufgabe da vor uns ist? Ich glaube, dass eine Aufteilung der Kosten ein zunächst mal guter, sinnvoller Ansatz ist, den man a weitergehen muss.

    Durak: Herr Müntefering, die Bundeskanzlerin kommt Ihnen entgegen, was die Kosten betrifft. Rücken Sie dafür im Gegenzug ein wenig vom Rechtsanspruch für die Eltern ab?

    Müntefering: Nein, der Rechtsanspruch muss kommen. Die Frage ist, wann er realisierbar ist. Rechtsanspruch bedeutet ja nicht, dass 100 Prozent der Eltern diese Möglichkeit wahrnehmen. Es gibt ja verschiedene Möglichkeiten, mit den unter Dreijährigen umzugehen und sie zu betreuen. Und da ist eine Möglichkeit so gut wie die andere. Aber wir wissen, dass mehr Familien, mehr Mütter als in vergangenen Generationen angewiesen sind darauf, dass ihre Kinder in eine Betreuungsmöglichkeit kommen. Rechtsanspruch bedeutet deshalb, die Frage zu beantworten, wie viele wollen das denn eigentlich wahrnehmen? Da ist die gemeinsame Einschätzung gewesen in der einschlägigen Konferenz, das wird so ungefähr bei 35 Prozent liegen. Ich glaube auch, dass dies die Untergrenze dessen ist, was man dafür braucht. Der Rechtsanspruch sollte schon gegeben sein.

    Durak: Damit sind Sie auf die Union zugegangen, wenn Sie sich bei den 35 Prozent treffen?

    Müntefering: Nein. Das ist eine Einschätzung, die Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam getroffen haben. Man weiß nicht, wie das 2013 und 2015 sein wird, aber dass das eine Größenordnung ist, das war uns schon immer klar. Wir haben gesagt bis 2010 etwa 500.000 und dann darüber hinaus die Zahl, die neue Zahl mit etwa 750.000. Das ist schon eine gute Dimension. Und noch mal: Rechtsanspruch muss kommen. Die Frage ist, wann man es leisten kann.

    Durak: Herr Müntefering, der Mindestlohn, ein Verliererthema auch in Bremen: Die Auffassungen in der Großen Koalition liegen noch deutlich auseinander. Es heißt, insbesondere Sie wollten das Thema heute endgültig vom Tisch bringen. Wie denn?

    Müntefering: Verlustthema war das in Bremen ganz sicher nicht. Bei allem, was ich dazu gehört habe im Wahlkampf und auch erfahren habe, sind die Menschen hoch interessiert, wie man denn diese Problematik löst, dass es zunehmend eine Lohnspreizung in Deutschland gibt, die die ganz unten besonders negativ betrifft. Deshalb ist die Lösung dieses Problems unvermeidlich. Wir müssen im Niedriglohnbereich eine Regelung finden. Wie?

    Zwei Ansätze muss man dafür unweigerlich einsetzen, und zwar zum ersten das Entsendegesetz. Das ist die Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass die einzelnen Branchen eine Vereinbarung treffen und in das Entsendegesetz aufgenommen werden, einen spezifischen Branchen-Mindestlohn machen. Und das Zweite ist ein Mindestlohn gesetzlicher Art oder ein Auffang-Mindestlohn, der generell dafür sorgt, dass eine bestimmte Lohnhöhe nicht unterschritten wird in Deutschland. Das ist auch sinnvoll, denn es macht keinen Sinn, es ist nicht menschenwürdig, wenn der Staat den Rest eines Lohnes zahlen muss, der nicht vom Unternehmen aus der Wirtschaft gezahlt wird.

    Durak: Diese Auffang-Mindestlöhne, von denen Sie sprechen, sollen also dort gelten, wo es keine Tarifvereinbarungen gibt, vorausgesetzt die Tarifpartner würden sich auf Mindestlöhne einigen?

    Müntefering: Nein. Dieser Auffang-Mindestlohn muss generell gelten. Aber wenn sich die Tarifparteien auf Mindestlöhne einigen, gehe ich davon aus, dass diese oberhalb des Existenzminimums liegen. Das ist bei solchen immer so gewesen. Wir haben das ja bisher im Baugewerbe, und wir haben das bei den Gebäudereinigern. Und es wird trotzdem nötig sein generell, aber ganz besonders für die Bereiche, in denen es solche Branchenlösungen nicht gibt, dann einen Mindestlohn zu setzen, damit diejenigen, die voll arbeiten, als Alleinstehende ohne Kinder zum Beispiel, auch voll davon leben können. Dass es zusätzliche Sozialtransfers für die Familien gibt, dass es Kindergeld gibt und Kinderzuschlag und all die Möglichkeiten, das ist ja völlig unbestritten.

    Durak: Greifen Sie damit nicht in die Tarifautonomie ein, wenn Sie solche Auffang-Mindestlöhne bringen wollen, wenn es keine Tarifvereinbarung entsprechend gibt?

    Müntefering: Nein, umgekehrt. Es gibt ja an vielen Stellen gar keine Möglichkeit mehr, weder für den Arbeitgeber noch den Arbeitnehmer, die Löhne zu setzen, weil die Hälfte der Unternehmen noch in solchen Tarifverbänden ist und die Arbeitnehmer auch immer weniger versichert sind. Das heißt, es gibt immer eine größere Unklarheit im unteren Bereich. Und es ist die Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass es dort einen ordentlichen, fairen Lohn gibt.

    Durak: Das will die Union bisher nicht. Keine gesetzlichen, keine flächendeckenden Mindestlöhne. Sie spricht allein vom Verbot sittenwidriger Löhne. Wo könnten Sie sich denn einigen?

    Müntefering: Dieser Begriff der Sittenwidrigkeit ist ja etwas, was durch Gerichte geprägt ist. Da geht es aber nicht um Mindestlohn, sondern da geht es um die Relation des vereinbarten Lohnes hin zu dem tatsächlich gezahlten. Das heißt, wenn ein Lohn von 12 Euro vereinbart wäre und er wird um mehr als ein Drittel unterschritten, also bei 7,90 Euro wäre das ein sittenwidriger Lohn. Das macht aber auch deutlich, dass das nicht das Problem ganz unten löst. Deshalb ist die Sittenwidrigkeit zu fixieren gesetzt, aber sie ist vor allen Dingen neu zu definieren.

    Ich glaube, dass ein Lohn auf keinen Fall niedriger sein darf als das Existenzminimum. Das Existenzminimum macht sich fest an dem, was wir bei Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe zahlen. Da jeder, der arbeitet, auch arbeiten kann und will, auch mehr haben soll als derjenige, der nicht kann, muss es etwas sein, was über diesem Existenzminimum liegt. Das haben alle Koalitionspartner immer wieder festgestellt in vergangener Zeit, und daran halten wir Sozialdemokraten jetzt fest. Erstens: Wer voll arbeitet, soll davon leben können, und Zweitens: er soll mehr verdienen, als wenn er nicht arbeitet. Das sind die beiden Kriterien, nach denen wir heute über Mindestlohn sprechen. Ob es nun Auffang-Mindestlohn oder tariflicher Mindestlohn oder gesetzlicher ist, das ist eine zweitrangige Frage. Der Mindestlohn ist kein Ziel; er ist ein Instrument. Das Ziel ist, dass gerechte, faire Löhne gezahlt werden, und das ist sehr wohl auch ein Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Mein Vorschlag ist ordnungspolitisch sehr viel tiefer und überzeugender in der sozialen Marktwirtschaft verankert. Alle, die sagen, dann muss der Staat halt den Rest der Löhne zahlen, die nähern sich einem planwirtschaftlichen Modell, einer Staatslohn-Regelung, und das kann nicht sein, dass das Sinn unserer Wirtschaft ist.

    Durak: Die Union als Planwirtschaftler - interessanter Gedanke.

    Müntefering: Das ist so, ja.

    Durak: Was ist Ihnen, Herr Müntefering, und ihnen, der SPD, ein Kompromiss mit der Union in Sachen Mindestlohn Wert?

    Müntefering: Wir wollen so viel rausholen, wie möglich ist. Wir wollen einen Schritt in die richtige Richtung gehen. Ich glaube, dass wir uns verständigen können darüber, dass alle Branchen ins Arbeitnehmerentsendegesetz genommen werden. Dann haben die Branchen die Möglichkeit sich zu bewegen. Und das wird auch in einigen Branchen passieren - sicher nicht in allen, aber es kommen ja Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu mir ins Büro und sagen. nehmen sie uns in diese Regelung hinein, damit wir auch gesichert sind gegenüber Lohndumping-Firmen, die auch aus Mittel- und Osteuropa nach Deutschland kommen. Das ist noch eine besondere Schwierigkeit, der wir rechtzeitig zu begegnen haben. 2009 ist die Dienstleistungsrichtlinie dann in Kraft. Spätestens 2011 ist die volle Freizügigkeit da, und dann werden deutsche Firmen konkurriert werden können, stärker noch als bisher, von ausländischen Firmen mit Niedriglöhnen. Frage: Wollen wir das? Wir wollen das nicht. Wir müssen auch an dieser Stelle die kleinen und mittleren Unternehmen schützen, ganz besonders im Dienstleistungsbereich.

    Durak: Der Koalitionsausschuss tagt heute Abend. Franz Müntefering, Vizekanzler, Sozial- und Arbeitsminister, war hier im Interview im Deutschlandfunk. Dankeschön, Herr Müntefering.

    Müntefering: Ja, bitteschön.