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Spendenskandal oder haltloser Vorwurf?
Der Fall World Vision in Gaza und seine Folgen

Mohammed el Halabi sitzt seit einem Jahr in Haft. Israel wirft dem Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Vision vor, über Jahre Hilfsgelder an die islamistische Hamas abgezweigt zu haben. Er bestreitet das. Der Fall ist kompliziert, denn über geheime Ermittlungsergebnisse darf nicht gesprochen werden.

Von Benjamin Hammer | 04.08.2017
    Frauen in Gaza Stadt halten Plakate, auf denen sie die Freilassung von Mohammed El Halabi fordern.
    Im Herbst 2016 demonstrierten Frauen in Gaza Stadt für die Freilassung von Mohammed el Halabi. (imago stock&people)
    Hilfsorganisationen leben von dem Vertrauen ihrer Spender. Am 4. August 2016 wird dieses Vertrauen in einem Fall jedoch infrage gestellt. Israels Armee veröffentlicht an diesem Tag ein Video. Der Generalmajor Yoav Mordechai steht an der Grenze zwischen Israel und Gaza. Er wendet sich an die palästinensische Bevölkerung des Küstenstreifens.
    "Ich möchte heute mit Ihnen über die Terrororganisation Hamas sprechen, die Ihr Geld gestohlen hat, um ihre Terroragenda voranzutreiben. Dieses Mal hat die Hamas dabei eine rote Linie übertreten."
    Etwas später schaltet sich auch der israelische Premierminister ein. Benjamin Netanjahu sucht dabei gleich die Weltbühne.
    "Vor wenigen Tagen hat die Welt erfahren, dass die Hamas, die Terrororganisation, die den Gazastreifen kontrolliert, Millionen Dollar gestohlen hat von Hilfsorganisationen wie World Vision. Unschuldigen und verarmten Palästinensern wurde wichtige Hilfe verwehrt, die aus der ganzen Welt kam."
    Israel beschuldigt im Sommer 2016 auch die Mitarbeiter anderer Hilfsorganisationen. Die Vorwürfe gegen den Mitarbeiter von World Vision wiegen jedoch am schwersten. Mohammed el Halabi, leitender Mitarbeiter der Organisation im Gazastreifen, sei über Jahre ein verdecktes Mitglied der Hamas gewesen. Seit 2005 habe er bis zu 50 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern an die Hamas abgezweigt.
    Mohammed el Halabi hat die Vorwürfe gegen ihn mehrfach zurückgewiesen. Seit über einem Jahr befindet er sich in einem israelischen Gefängnis. Maher Hanna ist der Anwalt des Mitarbeiters von World Vision. Er sagt: Bisher wurden ihm keine Beweise für eine Tat präsentiert.
    Was den Fall el Halabi – auch ein Jahr nach der Anklageerhebung - so kompliziert macht: Die meisten Unterlagen und Informationen dürfen nicht veröffentlicht werden. So sagt der Anwalt Hanna gegenüber der ARD: Israel habe ihm geheime Ermittlungsergebnisse vorgelegt, die die Schuld seines Mandanten beweisen sollen. Er hingegen glaube, dass diese Ergebnisse el Halabi entlasten. Darüber sprechen dürfe er jedoch nicht, was Israel mit Sicherheitsbedenken begründet. Auf Verschwiegenheit treffen wir auch an einer anderen Stelle unserer Recherchen.
    Keine Hinweise, dass australische Hilfsgelder bei der Hamas landeten
    World Vision hatte eine externe Beratungsfirma beauftragt, den Vorwürfen gegen ihren Mitarbeiter auf den Grund zu gehen. Seit wenigen Wochen gibt es die Ergebnisse dieser Untersuchung. World Vision legte sie auch den Israelis vor. Allerdings vereinbarten alle Parteien Stillschweigen. Immerhin verweist die Organisation auf frühere Statements, wonach ihr keinerlei Beweise für Verfehlungen ihres Mitarbeiters bekannt sind. Außerdem: Auch die Regierung von Australien hat den Fall untersucht. Australien war lange Zeit der größte Geldgeber für die Arbeit von World Vision im Gazastreifen. Das Ergebnis der Prüfung: Es gibt keine Hinweise darauf, dass australische Hilfsgelder bei der Hamas landeten. Halil el Halabi, der Vater des World-Vision-Mitarbeiters, verfolgt das alles vom Gazastreifen aus.
    "Ich hoffe sehr, dass das Gericht fair ist. Mein Sohn ist unschuldig. Ich hoffe, dass sie ihn freisprechen. Mein Sohn hat sich immer ausschließlich für humanitäre Hilfe eingesetzt. Er gehört gar keiner palästinensischen Organisation an, auch nicht der Hamas."
    Wir haben die Sprecher mehrerer israelischer Behörden um eine Einschätzung gebeten. Diese wollen sich jedoch nicht äußern und verweisen darauf, dass der Gerichtsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Der Prozess geht im September weiter. Auch World Vision will die Lage nicht weiter kommentieren.
    World Vision hat jedoch sämtliche Aktivitäten in Gaza gestoppt
    In einem früheren Statement verweist World Vision darauf, dass mehr als 1,1 Millionen Menschen im Gazastreifen auf Hilfe angewiesen sind. World Vision hat jedoch sämtliche Aktivitäten in Gaza gestoppt. Man sei zutiefst betroffen und besorgt über die negativen Auswirkungen auf jene Kinder und ihre Familien, die bisher von World Vision unterstützt wurden. Auch wenn der Fall el Halabi noch nicht aufgeklärt ist. Für die Hilfsorganisation hat er bereits gravierende Folgen: Auch die deutsche Bundesregierung hat ihre Förderung von World Vision-Projekten im Gazastreifen seit einem Jahr ausgesetzt.