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Gewalt im Amateurfußball
DFB will mehr Respekt in der Bundesliga durchsetzen

Im Amateurfußball ist die Zahl der Spielabbrüche in der vergangenen Saison deutlich gestiegen. DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann kündigte im Dlf Pilotprojekte an - und dass in der Bundesliga bei Unsportlichkeiten härter durchgegriffen werden soll.

Von Wolf-Sören Treusch und Maximilian Rieger | 22.10.2022
Essen, Deutschland, TC Freisenbruch II vs. Heisinger SV III U 23 1: 5 am 25. 10. 2020 im Waldstadion am Bergmannsbusch in Essen -Freisenbruch Die Trainerbank, und Auswechselbank der Heim und Gastmannschaft *** Essen, Germany, TC Freisenbruch II vs. Heisinger SV III U 23 1 5 on 25 10 2020 at the Waldstadion am Bergmannsbusch in Essen Freisenbruch The coachs bench, and substitution bench of the home and visiting team
Tatort Amateurfußball - die Zahl der Spielabbrüche hat laut DFB-Lagebericht zugenommen (imago images / Norbert Schmidt / Norbert SCHMIDT via www.imago-im)
Volksparkstadion Neuruppin. Männer-Punktspiel der Landesklasse West, Brandenburg. MSV Neuruppin zweite Mannschaft empfängt den Langener SV. Es ist eine umkämpfte Partie, der Gastgeber führt 2:1, direkt vor der Haupttribüne begeht ein Spieler aus Langen ein taktisches Foul. Weil er bereits verwarnt ist, sieht er nun Gelb-Rot. Wütend und lautstark verlässt er das Spielfeld. "Nimm die Drecksfrauen aus dem Fußball, wirklich!“ Dazu Rufe aus dem Publikum: "Ey, du Vogel!"
Der Spieler pöbelt gegen die Schiedsrichterin: Maja Wallstein, seit elf Jahren im Fußball-Landesverband Brandenburg aktiv. Ein klarer Fall von Diskriminierung.
"Erfahrungsgemäß sind es eher die Zuschauer, bei denen das noch nicht angekommen ist und für die es eher ein Thema ist, dass da eine Frau pfeift. Aber das ist ja nicht nur im Fußball so. Im Fußball vielleicht wie unterm Brennglas sieht man es halt noch ein bisschen stärker."

5.500 dokumentierte Vorkommnisse - von Diskriminierung bis tätlicher Gewalt

Die Schiedsrichterin notiert den Vorfall im Spielbericht in der Rubrik "Vorkommnisse". Insgesamt 5.582 so genannte Vorkommnisse haben die Unparteiischen in der vergangenen Saison in ihren Online-Spielberichten festgehalten. Diskriminierungen gehören dazu, aber auch Gewalthandlungen wie Tätlichkeiten und Bedrohungen. Gerade im Spätherbst würden Spiele häufiger eskalieren, erklärt die Kriminologin Thaya Vester, wenn Spieler, gegen die eine persönliche Strafe ausgesprochen würde, sich ungerecht behandelt fühlten.
"Wenn es in den ersten Spielen nicht läuft, kann ich mir das noch schönreden. Und irgendwann dann halt nicht mehr. Das baut sich erst so nach und nach auf, es hat ganz viel zu tun auch mit enttäuschten Erwartungshaltungen, Frustrationen, und dann häuft sich das."

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DFB sucht nach Auswegen und Konzepten zur Gewaltprävention

Thaya Vester forscht zu Gewaltvorkommnissen im Amateurfußball und berät den DFB in dieser Sache. Seit langem sucht der Fußballbund nach Wegen, der Brutalität auf dem Fußballplatz etwas entgegenzusetzen. Der Fan- und Gewaltforscher Gunter Pilz hat den DFB bei der Entwicklung eines Gewaltpräventionskonzepts beraten.
Er nennt ein Beispiel aus seiner Heimat Celle. Dort sei einem Spieler, der einen Unparteiischen krankenhausreif geschlagen hatte, angeboten worden, die einjährige Sperre um ein halbes Jahr zu reduzieren, wenn er einen Schiedsrichterlehrgang machen und anschließend wenigstens drei Spiele pfeifen würde.
Der Spieler habe sich auf den Deal eingelassen, so Gunter Pilz, mit dem Ergebnis: "Er hat endlich mal überhaupt die Fußballregeln kennengelernt. Also: die kennen zum Teil die Fußballregeln nicht. Insofern, denke ich, ist es ganz wichtig, dass alle Fußballspieler schon früh auch mal in die Rolle des Schiedsrichters kommen, dass sie also auch selbst mal ein Gefühl dafür bekommen, wie die Situation ist eines Schiedsrichters auf dem Platz."

DFB-Lagebericht: 911 Spielabbrüche in der Saison 2021/22

Seit 2014 lässt der Deutsche Fußballbund auf Basis der Online-Spielberichte der Unparteiischen ein Lagebild des Amateurfußballs erheben. Aus der vergangenen Saison alarmiert vor allem eine Zahl: die der Spielabbrüche. Sie ist deutlich gestiegen, bestätigt die Kriminologin Thaya Vester. Von 685 in der letzten coronafreien Saison 18/19 auf 911 in der Saison 21/22.
"Da hat man dann schon gemerkt, okay, es hat sich jetzt leider durch Corona nichts verändert, vor allem nicht verbessert, sondern wenn, dann eher verschlechtert. Und es gibt jetzt auch wieder mehr Krisen, und natürlich wirkt sich das dann irgendwann auf die Menschen, die diesen Fußball spielen oder gucken, aus, und dann ist der Fußball da eben leider Gottes auch ein Ventil."

DFB will wieder mehr Respekt in der Bundesliga durchsetzen

Um das Problem in den Griff zu bekommen habe der DFB vor einigen Jahren "das Rad weitergedreht und ein deutlich höheres Maß an Respekt und Toleranz eingefordert", sagte DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann, zuständig für den Amateur-Fußball, im Deutschlandfunk-Interview.
Auch in der Bundesliga sollten Gesten wie ein Abwinken in Richtung des Schiedsrichters härter bestraft werden. "Das hat am Anfang gut funktioniert, hat dann aber leider nachgelassen", so Zimmermann. "Genau aus dem Grund haben wir es jetzt wieder thematisiert und sind jetzt dabei, das Rad dorthin zurückzudrehen oder diese Leine kürzer zu ziehen, wo wir eigentlich hin wollen."
Generell sei Zimmermann dafür, dass Schiedsrichter im Amateurfußball härter durchgreifen dürften und auch schneller Gelbe und Gelb-Rote Karten zeigen dürften. Allerdings müsse er seine Kollegen überzeugen. "Wir leben in einem demokratischen Staat und da brauchst du für deine Ideen Mehrheiten."
Viele seien der Meinung, zum Fußball gehöre Emotionalität, so Zimmermann. "Und mit emotional meinen sie eigentlich etwas ganz Anderes. Und da bin ich völlig anderer Meinung."

Deeskalations-Trainings für Schiedsrichter

In den kommenden Monaten sollen nun verschiedene Pilotprojekte starten. "Wir werden Deeskalations-Trainings für Schiedsrichter machen. Wir werden in zwei, drei Landesverbänden testen, ob das funktioniert."
Dazu sollen die Vereine mehr in die Pflicht genommen werden. "Der Verein ist lokal verantwortlich", so Zimmermann. "Ich sage immer, du bis der Gastgeber und zum Gastgeber gehört es, dass du deinen Gast ordentlich behandelst. Und der Schiedsrichter gehört auch dazu." Gleiches solle auch für den Gast gelten. "Der Gast muss sich auch seiner Gastrolle bewusst sein und sich so verhalten. Und dann hätten wir schon viel erreicht."