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Spionage-Affäre
Bosbach plädiert für Zäsur bei TTIP-Verhandlungen

Angesichts der Spionagevorwürfe gegen die USA hält der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach zunächst Gespräche über Datenschutz für angebracht, bevor die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen fortgesetzt werden können. Die Enttäuschung über die US-Spionage in Deutschland sei groß, sagte Bosbach im DLF.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Jürgen Liminski | 12.07.2014
    Ein Porträtfoto des CDU-Politikers Wolfgang Bosbach
    Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Bosbach forderte zudem, die deutsche Spionageabwehr zu stärken. Das Bundesamt für Verfassungsschutz sollte dafür besser ausgestattet werden. Die USA würden sich vielleicht bemühen, künftig mit ihren Ausspäh-Aktivitäten nicht mehr aufzufallen. Er bezweifelte jedoch, dass sie damit aufhörten. Der Vorsitzende des Innen-Ausschusses des Bundestags zeigte sich überzeugt davon, dass auch die Briten und die Franzosen in Deutschland spionieren.
    Amerika würde sich gegen Spionage auf dem eigenen Territorium genauso wehren wie Deutschland, sagte Bosbach mit Blick auf die Ausweisung des Repräsentanten der amerikanischen Geheimdienste. Deutschland würde jedoch überhaupt nicht auf die Idee kommen, flächendeckend und ununterbrochen die Kommunikationsdaten amerikanischer Bürger auszuspionieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Liminski: Es war der britische Premier Lord Palmerston, der vor rund 150 Jahren einen Grundsatz der Politik formulierte, den auch die ehemaligen Kolonien in Amerika dann übernahmen. Er lautet: "England hat keine ewigen Freunde und keine ewigen Feinde, es hat nur ewige Interessen." Gilt das auch heute? Was bedeutet Freundschaft in der Politik? Gehört es zur Interessenpolitik, befreundete Staaten auszuspähen? Müssen die Deutschen ebenso handeln? Viele auch grundsätzliche Fragen stellen sich im Zusammenhang mit der Spionageaffäre. Für einige bekommen wir jetzt vielleicht eine Antwort vom Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für Inneres, Wolfgang Bosbach!
    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Liminski!
    Liminski: Herr Bosbach, Sie gelten als einer der ehrlichen in der Politik. Ist es nicht naiv zu glauben, dass auch befreundete oder verbündete Staaten hier keine Informationsbeschaffung betreiben?
    Bosbach: Natürlich dürfen wir nicht davon ausgehen, dass wir ganz auf der sicheren Seite sind, wenn es sich um Partner handelt, um befreundete Staaten. Das ergibt sich ja schon daraus, dass wir seit Monaten, und nicht erst seit wenigen Tagen über die Notwendigkeit eines 360-Grad-Blickes bei der Spionageabwehr sprechen, denn wir müssen uns wappnen gegen Spionage in jeder Form, ganz gleich, aus welcher Himmelsrichtung sie vollzogen wird. Also, ob sie aus Russland oder China kommt oder aber aus England oder Großbritannien, ist nicht die entscheidende Frage. Entscheidend ist, dass wir die Spionageabwehr stärken.
    "Partner sollten sich nicht gegenseitig ausspionieren"
    Liminski: Schäuble meint, es sei zum Heulen, und die Kanzlerin bezeichnet das Ganze als Vergeudung von Kraft und Zeit. Wo sind denn die Grenzen der Informationsbeschaffung unter Freunden?
    Bosbach: Dort, wo das Strafrecht greift. Spionage auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschlands zum Nachteil unseres Landes ist nicht nur politisch nicht erwünscht, das ist strafrechtlich bedroht. Also jeder, der in der Bundesrepublik Deutschland Spionageaktivitäten ergreift, muss wissen, dass er dann strafrechtlich belangt wird. Hinzu kommt natürlich die besonders große Enttäuschung, wenn diese Spionage betrieben wird von den Vereinigten Staaten von Amerika, mit denen wir auf vielfältige Art und Weise verwoben sind, politisch. Wir sind in einer Einstandsgemeinschaft in der NATO. Wir betonen ja immer wieder, es ist nicht nur ein Verteidigungsbündnis, es ist auch und gerade ein Bündnis von Staaten, die gemeinsame Werte haben und sie teilen. Und Partner sollten sich nicht gegenseitig ausspionieren.
    Liminski: Die Ausweisung des CIA-Chefs in Deutschland zeigt Wirkung. Man diskutiert jetzt in Washington öffentlich über das Verhältnis zu Deutschland. Glauben Sie, dass die Amerikaner jetzt auch das Spionieren aufgeben?
    Bosbach: Vielleicht werden sie sich jetzt bemühen, in Zukunft nicht mehr aufzufallen. Ob sie es ganz aufgeben, ist eine ganz andere Frage. Da kann niemand die Hand für einen bestimmten Staat ins Feuer legen. Allerdings beobachte ich mit großem Interesse die inneramerikanische Debatte, denn langsam, aber sicher dämmert es ja den ersten, was sie angerichtet haben. Ich bin mir jetzt seit Monaten schon nicht ganz sicher, ob die Amerikaner tatsächlich nicht wissen, wie groß der außenpolitische, der diplomatische Schaden aufgrund der NSA-Spähaffäre und der Enttarnung der beiden Doppelagenten ist, oder ob es ihnen egal ist, was wir in Deutschland über ihre Aktivitäten denken. Egal, welche Variante man nimmt, erfreulich ist keine der beiden.
    Liminski: Es besteht aber offenbar ein Interesse bei den Amerikanern, auch Geheiminformationen zu beschaffen, das heißt, das Vertrauen ist eben nicht hundertprozentig. In amerikanischen Medien werden hier deutsche Geschäftsbeziehungen zu Iran und die Sympathien von Prominenten und im Volk hierzulande für Putin genannt. Mit anderen Worten, man kann nie identisch sein, deswegen wird es immer Unterschiede auch in der Interessenlage geben. Ist das die immerwährende Grundlage für Spionage?
    Bosbach: Wenn das Argument wirklich überzeugend wäre, dann müssten es ja auch die Amerikaner klaglos hinnehmen. Ja, selbstverständlich würde sich Amerika gegen Spionage auf dem eigenen Territorium genauso wehren, wie es die Bundesrepublik Deutschland auch tut. Und ich füge hinzu, auch im eigenen Interesse tun muss mit der gleichen "Logik" könnten ja die Amerikaner sagen, beklagt euch nicht über die Aktivitäten unserer Geheimdienste, ihr habt ja selber auch einen Auslandsnachrichtendienst der auch Nachrichten erhebt auf ähnliche Art und Weise die Amerikaner das tun. Nur, der alles entscheidende Unterschied ist: Überhaupt auf die Idee, flächendeckend, ununterbrochen die Kommunikationsdaten und Kommunikationsverhältnisse der amerikanischen Bürgerinnen und Bürger auszuspionieren, sind wir aus guten Gründen noch nie gekommen. Darauf werden wir auch nie kommen. Und würden wir auf diesen Gedanken kommen, würden sich die Amerikaner genauso wehren, und zwar mit guten Gründen, wie wir es tun gegenüber den Amerikanern bei dem flächendeckenden Ausspähprogramm der NSA.
    "Kein Land aus dem Blickwinkel nehmen"
    Liminski: Muss man davon ausgehen, Herr Bosbach, dass auch die Briten und Franzosen in Deutschland spionieren?
    Bosbach: Ja. Das wundert mich sowieso, dass es offensichtlich viele gibt, die glauben, wenn die NSA ihr Spähprogramm auf das wirklich zur Gefahrenabwehr notwendige Maß reduziert, also zu legitimen Maßnahmen der Terrorabwehr, dann findet in Deutschland keine Ausspähung mehr statt. Da haben wir vielleicht ein Problem gelöst, aber doch alle anderen Problem nicht. Ich glaube, dass Großbritannien sich jeden Morgen darüber freut, dass die amerikanischen Ausspähaktivitäten im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, weil Großbritannien dann mit seinen Diensten dann im Windschatten der USA unentdeckt mitsegeln kann. Selbstverständlich werden andere Staaten ähnliche Aktivitäten zum Nachteil unseres Landes und unserer Bürger entfalten. Deswegen 360-Grad-Blick, kein Land aus dem Blickwinkel nehmen.
    Liminski: Sie sind, ähnlich wie Innenminister de Maizière, für sozusagen eine Ausweitung unserer Geheimdienste, auch unserer nicht nur Abwehr, vielleicht aber auch der Aktivitäten in diesen Ländern?
    Bosbach: Jein. Abwehrkräfte stärken, ja. Aber, Herr Liminski, wer a sagt, muss auch b sagen. Dann müssen wir auch bereit sein, das Bundesamt personell und technisch so auszustatten, dass es die Spionageabwehr effektiver bewältigen kann. Ich ahne aber schon, was für eine innenpolitische Debatte dann beginnt. Sobald wir anfangen, Sicherheitsbehörden zu stärken, sind wir wahrscheinlich für die Kritiker wieder auf dem Weg in den Überwachungsstaat. Ich bin nicht dafür, dass wir jetzt ähnliche Aktivitäten starten wie die NSA, denn wenn wir das tun würden, hätten wir jede Legitimation verloren, uns über amerikanische Ausspähpraktiken wirklich glaubwürdig zu beklagen.
    Liminski: Zur Informationsbeschaffung und Beobachtung gehört auch eben die Beobachtung der sozialen Netzwerke. Justizminister Maas ist dagegen, de Maizière dafür - was sagen Sie?
    Bosbach: Es kann im Einzelfall notwendig sein, und zwar dann, wenn wir diese Maßnahmen im wahrsten Sinne des Wortes brauchen, also wenn sie not-wendig sind, also wenn sie notwendig sind in dem Sinne, um eine konkrete Not abzuwenden. Zur Aufklärung von schwersten Straftaten, zur Überwachung von Gefahren der organisierten Kriminalität, zur Abwehr terroristischer Gefahren. Das darf man doch nicht verwechseln mit einem flächendeckenden Ausspähprogramm des Kommunikationsverhaltens aller Bürgerinnen und Bürger ohne Anlass, ohne dass also unsere Behörden einen konkreten Grund haben, eine Überwachungsmaßnahme vorzunehmen, weil sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass von bestimmten Personen oder Organisationen schwere Gefahren drohen.
    "Alle Nachrichtendienste suchen die berühmte Nadel im Heuhaufen"
    Liminski: Das heißt, um es ganz konkret zu sagen, Sie sind gegen den totalitären Ansatz der Datenbeschaffung?
    Bosbach: Richtig. Es sind ja auch zwei unterschiedliche Denkmodelle, die sich gegenüberstehen. Alle Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste suchen die berühmte Nadel im Heuhaufen, also die Information, die sie in die Lage versetzt, schwere Angriffe auf unser Land abzuwehren. Die Amerikaner denken: Haben wir alles Heu dieser Welt gesammelt, ist die Nadel mit Sicherheit dabei. Wir Deutsche denken: Wenn du alles Heu dieser Welt sammelst, also alle verfügbaren, absaugbaren Daten, wirst du die Nadel nie finden. Und deshalb gehen wir nur ganz gezielt vor - die Einzelheiten würden jetzt in diesem Gespräch zu weit führen. Wir haben einen strikten rechtlichen Rahmen, den wir nicht nur einhalten, den wir sogar mangels weitergehender technischer Fähigkeiten deutlich unterschreiten. Wir haben ganz bestimmte Regionen, in denen wir Nachrichten erheben, Regionen zum Beispiel in Afghanistan, im pakistanischen Grenzgebiet, zum Schutz unserer dort im Einsatz befindlichen Soldaten und Soldatinnen. Das ist etwas ganz anderes als die flächendeckende Speicherung von Metadaten oder gar Inhalten.
    Liminski: Justizminister Maas sieht auch die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen gefährdet, und die Opposition verlangt wegen der Spionageaffäre, diese Verhandlungen sofort abzubrechen. Sehen Sie hier auch einen Zusammenhang?
    Bosbach: Es gibt natürlich Kritik an dem vermuteten Inhalt des TTIP-Abkommens, das heißt, die Spionageaffäre wird jetzt von den Kritikern zum Anlass genommen, den Abbruch der Gespräche zu fordern. Die Gespräche sollte man auch deshalb kritisch betrachten, weil sie ja hinter verschlossenen Türen ablaufen und viele ein grundlegendes Misstrauen haben auch gegen die Art und Weise der Verhandlungsführung. Das ist nicht meine Position. Meine Position ist, gerade weil es wohl den Amerikanern - denen geht es doch nicht um das Privatgeplauder in Deutschland - aber Wirtschafts- und Industriespionage - die Amerikaner behaupten ja immer, das machen sie nicht, aber das muss man nicht unbedingt glauben - kann für eine exportstarke Nation wie Deutschland, wo man viele Unternehmen mit wissensbasierten Produkten hat, von einem riesigen Nachteil sein. Wenn zum Beispiel Forschungsergebnisse, die mit Millionen- oder Milliardenaufwand gewonnen worden sind, bei Spionage in falsche Hände geraten, kann das für ein Unternehmen ruinöse Folgen haben. Deswegen mein Rat: Jetzt mal eine Zäsur bei den Verhandlungen und mal über Datenschutz und Datensicherheit mit den Amerikanern sprechen, damit man auch einmal deutlich macht, dass und warum wir uns das nicht erlauben können, dass Wirtschafts- und Industriespionage zulasten Deutschland und Europas betrieben wird.
    Akte Spionageaffäre "lässt sich nicht schließen"
    Liminski: An diesem Wochenende treffen Außenminister Steinmeier und sein amerikanischer Amtskollege Kerry bei den Atomgesprächen mit dem Iran zusammen. Lässt sich die Akte Spionageaffäre mit einer gemeinsamen Erklärung schließen oder bedarf es weiterer Schritte?
    Bosbach: Nein, sie lässt sich nicht schließen, weil wir jetzt schon seit 13 Monaten zähe Verhandlungen führen mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Da geht es zunächst um die Überschrift No-Spy-Abkommen, also ein Abkommen analog des Abkommens, was es bereits unter der Überschrift "Five Eyes" gibt, zum Beispiel Amerikaner-Großbritannien, Amerikaner-Australien oder Kanada. Ich habe nicht das Gefühl, dass ein solches Abkommen zustande kommen wird. Also müssen wir doch mit den Amerikanern weiter verhandeln, dass das Maß der Überwachung zum Nachteil unserer Bürger auf das wirklich notwendige Maß reduziert wird. Und Wolfgang Schäuble hat es ja vorhin angedeutet und Angela Merkel auch: die Vergeudung von Kraft. Natürlich stellt sich für uns die Frage: Warum konzentrieren sich die Vereinigten Staaten nicht auf die Länder und Regionen, von denen tatsächlich eine erhebliche Bedrohung ausgeht oder ausgehen kann. Die Amerikaner sagen ja immer wieder, ja, aber die Attentäter vom 11. September haben ja über einen längeren Zeitraum unerkannt in Deutschland gelebt, und anschließend haben sie ein Attentat begangen mit schwersten Folgen. So richtig es ist, dass Mohammed Atta und Konsorten unter uns gelebt haben - das kann ja keine legitime Begründung dafür sein, die Bürgerinnen und Bürger in alle Zukunft flächendeckend auszuspähen. Und Deutschland hat - und das müssen wir den Amerikanern deutlich machen - auch eine Schutzpflicht gegenüber den eigenen Bürgerinnen und Bürger. Wenn deren Kommunikationsverhalten, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Post- und Fernmeldegeheimnis, permanent ausgehebelt wird, können wir nicht achselzuckend zur Tagesordnung übergehen. Das wird Herr Steinmeier auch Herrn Kerry noch einmal deutlich machen.
    Liminski: Sagt der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Inneres, Wolfgang Bosbach. Besten Dank fürs Gespräch, Herr Bosbach!
    Bosbach: Ich danke Ihnen, schönes Wochenende!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.