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Spionage
Wie ein Agent Amerika entdeckte

Eine Geschichte wie aus einem Spionagefilm: In den 1950er Jahren unterhielt die CIA ein streng geheimes Reiseprogramm speziell für deutsche Geheimdienstler. Auf den Touren durch die Vereinigten Staaten sollten die Top-Agenten beeindruckt und eng an die USA gebunden werden. Der BND-Chefhistoriker Bodo V. Hechelmann erzählt von einer Reise mit dem KGB-Agenten Heinz Felfe als Teilnehmer.

Von Annette Wilmes | 15.01.2018
    Graues Schild mit blauer Aufschrift "Bundesnachrichtendienst" vor einer grauen Mauer und blauem Himmel
    Für den BND interessierte sich bereits in den 1950er Jahren auch der KGB. (dpa/picture alliance/Stephan Jansen)
    Auf die ganz besondere Amerika-Reise, die Heinz Felfe zusammen mit weiteren Kollegen aus dem frisch gegründeten BND 1956 quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika führte, ist Bodo Hechelhammer durch ein Foto aufmerksam geworden. Bis dahin war über die Reise nur wenig bekannt.
    "Doch durch einen Zufall konnte 2012 das als verschollen geglaubte Fotoalbum eines BND-Mitarbeiters, der zusammen mit Heinz Felfe nach Amerika gereist war, entdeckt und ausgewertet werden. Zusätzlich konnten Briefwechsel über den entsprechenden USA-Aufenthalt eines weiteren Mitglieds der Reise-Delegation ausfindig gemacht werden."
    Die Notizen weiterer Teilnehmer und die von Heinz Felfe selbst kamen hinzu. Hechelhammer hatte auch Gelegenheit, mit heute noch lebenden Familienangehörigen zu sprechen.
    Die Reise ihres Lebens
    "Wahrscheinlich hat man Generationen übergreifend Söhne und Töchter gequält mit den Erzählungen. Das war die Reise ihres Lebens. Das hat sich wirklich tradiert in den Familiengeschichten, man ist hingeflogen, man ist drei Wochen durch die USA gereist, auf Staatskosten und ist auch zurück dann von New York nach Le Havre erster Klasse mit dem Schiff, mit der 'United States' gefahren. Also eine dreitägige, viertägige Überfahrt mit Captain's Dinner und so weiter, und die Bordkapelle hat gespielt. Das war natürlich auch gerade speziell für diese Generation sehr, sehr einschneidend in ihren Erinnerungen."
    In der ersten Woche durchliefen die BND-Mitarbeiter ein Fortbildungsprogramm der CIA, die damals noch in Washington residierte. Danach waren sie eingeladen, quer durch die USA zu reisen. So ist ein reichlich bebildertes Reisebuch entstanden, mit eindrucksvollen Schwarz-Weiß Fotos aus Detroit, Denver, San Francisco oder New Orleans, von den BND-Mitarbeitern selbst aufgenommen. Sie ließen sich, wie andere Touristen auch, von den Sehenswürdigkeiten, den gigantischen Landschaften, den fremden Sitten und Gebräuchen und nicht zuletzt vom Essen beeindrucken.
    Positives Bild von Amerika
    Welchen Zweck verfolgte die CIA damit, den deutschen Nachrichtendienstlern solch ein fulminantes Reiseprogramm zu bieten und auch zu bezahlen?
    "Das Thema ist ja durchaus bekannt und erforscht natürlich, dass die Amerikaner, das war ja ein wesentlicher Bestandteil ihrer Cultural Diplomacy, zum Beispiel, dass man auch gerade den ehemaligen Kriegsgegnern, den Deutschen oder den Nazis natürlich Demokratie und das Amerikabild, auch das Leitbild näher bringen wollte. Und dazu zählten natürlich Amerika-Reisen-Einladungen, das war ein probates Mittel in der Zeit. Also mehrere tausend Deutsche sind ja nach Amerika eingeladen worden, politische Eliten, Wirtschaftseliten, Kultureliten. Das ist bekannt. Dass das natürlich auch auf dem Nachrichtendienst- oder Geheimdienstsektor war, das ist eher unbekannt gewesen."
    Hinweise auf das Reiseprogramm speziell für Geheimdienstmitarbeiter habe es in den Akten, zum Beispiel im amerikanischen Nationalarchiv, schon länger gegeben, ergänzt Bodo Hechelhammer. Aber ausführlich beschrieben wird es zum ersten Mal in seinem Buch. Spannend wird es da, wo es über die reine Reisebeschreibung hinausgeht. Zum Beispiel, wenn Hechelhammer erzählt, dass der KGB-Agent Heinz Felfe beinahe schon während dieser Reise 1956 aufgeflogen wäre. Die deutschen Geheimdienstmitarbeiter wurden in die Technik des Lügendetektors eingeweiht. Wie dieses neuartige Gerät funktionierte, sollte ausgerechnet an Felfe demonstriert werden. Der wehrte sich energisch und blieb verschont.
    Mehrmals fast enttarnt
    Gegen Ende der USA-Reise geriet er noch einmal in Gefahr, entdeckt zu werden. Bei ihm brach eine starke Gesichtsallergie aus, weshalb er überstürzt zurückflog und auf die luxuriöse Schiffsreise von New York nach Le Havre verzichtete. Denn er wollte auf keinen Fall von einem amerikanischen Arzt behandelt werden.
    "Zu groß war seine Sorge, dass er etwa unter Medikamenteneinfluss seinen sowjetischen Spionage-Auftrag verraten könnte. Diese Gedanken entsprangen nicht etwa einer besonderen Paranoia Felfes. Es gab tatsächlich die strikte Weisung seines sowjetischen Agentenführers, ausgesprochen anlässlich [...] einer Mandeloperation, wenige Monate vor Reisebeginn, diese ohne Narkose zu überstehen. Die Gefahr, dass er unter der Anästhesie möglicherweise unkontrolliert Dinge erzählen könnte, wurde durch den KGB hoch eingeschätzt."
    Das schön aufgemachte Buch erzählt auch die Geschichte der westlichen Geheimdienste. Denn Bodo Hechelhammer führt ausführlich ins Thema ein. So erschließt sich auch den in Geheimdienstsachen unkundigen Lesern, wie aus der amerikanischen "Organisation Gehlen" der Bundesnachrichtendienst entstand, wie die CIA versuchte, die Deutschen weiterhin in ihre Arbeit einzubinden. Die Konzeption, sie durch spezielle Reiseprogramme zu beeinflussen, ging auf. Sogar beim Ost-Agenten Heinz Felfe entstand ein positives Amerika-Bild.
    Als der KGB-Agent 1961 enttarnt wurde, war das ein harter Schlag für den Bundesnachrichtendienst. Felfe war als Maulwurf schon in der Vorläufer-Organisation Gehlen, die unter der Aufsicht der CIA stand, aktiv gewesen und hatte dem sowjetischen Geheimdienst wertvolle Informationen geliefert. Vor allem aber aus dem 1956 gegründeten BND hatte er zahlreiche Dokumente in die Sowjetunion geschafft und BND-Agenten enttarnt.
    Karriere beim BND
    Die Geschichte des Doppelagenten Heinz Felfe beschreibt ein außergewöhnlich langes und ausgefülltes Geheimdienstleben, betont der Historiker Bodo Hechelhammer:
    "Quasi noch in der Kaiserzeit geboren, die Weimarer Republik mitgemacht, in der NS-Zeit sozialisiert worden, zum Geheimdienst gekommen, hat die Nachkriegszeit, die Zwischenzeit mitgemacht, hat da für den britischen Geheimdienst gearbeitet, den MI6, hat für die erste Stelle des Verfassungsschutzes in Düsseldorf gearbeitet, ist dann zur Organisation Gehlen gekommen, zum BND, chronologisch vorher beim sowjetischen Geheimdienst angefangen..."
    Und beim BND gelang es ihm sogar, zum Leiter im Bereich "Gegenspionage Sowjetunion" aufzusteigen. Besser konnte ein Maulwurf nicht platziert sein. Nach seiner Enttarnung wurde Heinz Felfe 1963 wegen Landesverrats zu 14 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Er kam aber schon 1969 wieder frei, im Austausch gegen 21 politische Häftlinge aus der DDR. Dort machte Felfe eine weitere Karriere als Kriminalistik-Professor an der Humboldt-Universität. Er starb 2008 im Alter von 90 Jahren.
    Bodo V. Hechelhammer: "Doppelagent Heinz Felfe entdeckt Amerika. Der BND, die CIA und eine geheime Reise im Jahr 1956."
    Ferdinand Schöningh Verlag, 256 Seiten, 39,90 Euro