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Spirituelles in sozialen Netzwerken
Wenn die buddhistische Gelassenheit verloren geht

Im Netz tauschen sich Buddhistinnen und Buddhisten über ihre Erfahrungen mit Meditationen und Meistern aus. Immer wieder taucht auch Werbung für dubiose Angebote auf. Gehört das zur Meinungsfreiheit oder brauchen die Foren mehr Selbstkontrolle? Darüber streiten auch Buddhisten.

Von Mechthild Klein | 04.12.2020
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Auf Facebook werben auch zweifelhafte buddhistische Gruppen um Anhänger (imago / ZUMA press)
Buddhistinnen und Buddhisten gelten gemeinhin als gelassen. Wenn in ihren sozialen Medien aber Menschen und Meinungen aufeinanderprallen, die sich im normalen Offline-Leben nie begegnen würden, wird die Gelassenheit auf eine harte Probe gestellt – und nicht jeder oder jede bewahrt die Fassung. Das zeigt dieser anonymisierte Dialog aus der Facebook-Gruppe "Buddhismus in Deutschland". Das Forum gibt es seit gut drei Jahren mit mehr als 7000 Mitgliedern. Darin vertreten ist auch eine Gruppe, die sich laut Eigenwerbung mit Tantra beschäftigt. Unter dem Posting empören sich Forumsmitglieder. Ein Schlagabtausch beginnt:
"Eigentlich hat das mit Buddhismus so gut wie nichts zu tun. Ich sehe hier nur eine ständige penetrante Werbung für einen Sexkult, von einem Sexmodell aus China, die in Deutschland lebt und überall Erotik und Sex und Geschlechtsverkehr anbietet im Gewand von ein bissel Esoterik, Hinduismus, Paganismus und Buddhismus."

"Das ist reiner Buddhismus. Ich sehe hingegen leider bei dir nur Feindseligkeit, Hass, Intoleranz und pure Arroganz, dass du dich selbst zum Maßstab erhebst, was Buddhismus zu sein hat und was nicht."

"Einfach nur den Namen der Dame* eingeben in Google, da wird das überall gestreut. Und viele Bilder, nackt und in Sex mit Männer und/oder Frauen beziehungsweise zusammen. Auch Videos, wo es nur um eins geht: Sex! Das Ding ist 'ne Farce und eins von vielen, was dem Buddhismus eher schadet."
*Originalname entfernt

"Schaden tust einfach nur du selbst mit dem Gift deines Hasses, den du hier streust. Sie* lehrt den wahren Bodhisattvaweg der Leere und des echten Mitgefühls. Du hingegen beschmeißt sie nur mit deinem Dreck."
*Originalname entfernt
"Ich vertrete den Grundsatz der Meinungsfreiheit"
Der wütende Austausch in dem buddhistischen Forum geht noch weiter und er wiederholt sich alle paar Tage oder Wochen. Ein Kritiker wirft ein, dass die Werberin Mitleid erhaschen möchte, aber an anderer Stelle "mit Höllen und Dämonen" drohe. Andere Mitlesende verhöhnen die selbsternannte Erleuchtete, die sich auf ihrer Website als "lebende Inkarnation" einer buddhistischen Meditationsgöttin bezeichnet. Der Administrator Nils Horn möchte das Werbe-Posting nicht entfernen. Er glaubt, die Urheberin des Postings meine es ehrlich.
"Ich vertrete den Grundsatz der Meinungsfreiheit. Ich denke, dass wir in einer Demokratie leben und dass verschiedene Gruppen ihre Meinung äußern können und dass der demokratische Prozess dadurch entsteht, dass man miteinander redet, dass man Argument und Gegenargument bringt und dass sich dann sozusagen die Wahrheit irgendwann herausschält. Und das ist auch mein Ansatz im Buddhismus. Es gibt ja relativ viele buddhistische Gruppen. Und im Internet jedenfalls sind sie meistens schon sehr dogmatisch und tolerieren eigentlich nur ihre Richtung. Und in meiner Gruppe könnte sich alle treffen, können alle miteinander diskutieren. Allerdings, dann wird das manchmal schwierig. Dann knallt das, dann sind die aggressiv. Dann versuche ich einzuschreiten."
Theologie bei Facebook, Twitter und Co. - Rumorende Debatten im Netz
Manche Journalisten und Politiker kehren den sozialen Medien den Rücken. Im Gegensatz dazu entdecken etliche Menschen aus Theologie und Kirche die Kanäle erst allmählich für sich.
Erst bei Beleidigungen wolle der Administrator einschreiten, sagt er. Nur politische Posts lösche er sofort. Was aber passiert, wenn in den Diskussionsforen sozialer Medien die Anhänger von problematischen Gruppen sich äußern, genauso wie alle anderen?
Administrator Nils Horn glaubt an die Schwarmintelligenz. Wenn hier tatsächlich jemand versuchte, anderen Sand in die Augen zu streuen, dann kritisierten das doch die anderen Mitleser. Eine Form, die Verantwortung anderen zu überlassen? Und wenn die anderen keine Lust mehr haben auf Konfrontation?
Nils Horn: "Der Buddhismus ist sehr vielfältig. Und es gibt ja keine höhere Instanz wie den Papst, der jetzt sagt: Mach das so! Sondern gerade im Westen können die sich frei entfalten wie sie wollen. Natürlich gibt es da auch viele Menschen, die problematisch sind. Es gibt ja auch einige Skandale so im Buddhismus. Und ja, der Punkt ist: Normalerweise kann keiner was dagegen sagen, weil die völlig unabhängig sind. Aber in meiner Gruppe sozusagen, da können sie sich darstellen. Aber dann tauchen auch welche Leute auf, die sie kritisieren und sagen: Hier, da lief das und das schief. In meiner Gruppe kann sozusagen Missbrauch diskutiert werden, während das sonst leicht unter den Tisch gekehrt wird."
"Die Kommunikation ist immer manipulativ"
Einer, der diese Haltung kritisiert und in den Foren allzu Schräges bislang noch kommentiert und dagegenhält, ist der Buddhist Hendrik Hortz. Er ist Chefredakteur des buddhistischen Magazins "Ursache-Wirkung" und er betreut auch selbst ein Forum "säkularer Buddhisten" auf Facebook. Hendrik Hortz befürchtet, dass ein falsch verstandener Liberalismus in den Foren sofort ausgenutzt werde.
Hortz sagt: "Gerade in der letzten Zeit ist zu beobachten, dass viele problematische Gruppen sektiererisch aller Art hier um Mitglieder werben. Und das macht mir etwas Sorgen, weil die Menschen, die fragen, die spirituell Suchenden sich häufig nicht vorstellen können, dass es auch in buddhistischen Kreisen problematische Gruppen geben kann, die nicht darauf ausgerichtet sind, Suchenden eine wirkliche Hilfe zu sein, sondern ganz andere Interessen verfolgen."
Hortz beobachtet das immer gleiche Vorgehen. Jemand ist neu in der Facebook-Gruppe und sucht angeblich Austausch. Aber schon bald wirbt er nur für seinen Meister oder die Organisation dahinter.
Er sagt: "Ja, das Muster ist, dass in der Regel ganz harmlos zu Meditation für Gruppen eingeladen wird. Die haben dann einen Titel wie 'Stressabbau', 'Burn out-Prävention'. Es ist kostenlos! Kommt doch einfach vorbei. Es gibt dann häufig einen Link zu einer Webseite mit einem umfassenden Programm. Und das kommt alles sehr, sehr harmlos daher. Und vor allem, es wird Hilfe angeboten."
Eine Buddha-Skulptur im Gras.
Viele Menschen haben ein naives Bild vom Buddhismus (imago)
Solche Mitgliederwerbung für buddhistische Gruppen ist nach der Beobachtung des Journalisten Hendrik Hortz häufig gut durchdacht. Es gebe offizielle Hauptaccounts und Unteraccounts. Diese Unteraccounts lobten die Angebote und Posts der eigenen Gruppe. Besonders aktiv werden sie, wenn Kritik geäußert oder gewarnt werde. Nun kann ein Administrator in den geschlossenen Facebook-Foren selbst entscheiden, wen er in die Gruppe hineinlässt, welche Posts er kommentiert oder auch so belässt. Aber es gibt noch ein anderes Hindernis, so Hendrik Hortz:
"Man begegnet in buddhistischen Gruppen immer wieder der Vorstellung: Man muss immer alles sagen dürfen können. Und außerdem herrscht eine Konfliktscheuheit. Es herrscht die Vorstellung, als Buddhist muss man zu allen Menschen immer ganz lieb sein. Das nutzen problematische Gruppen aus und werben für ihre Kurse. Und die Administratoren verhindern diese Anwerbeversuche von problematischen Gruppen aus diesem falsch verstandenen Liberalismus nicht."
Buddhismus - Die dunkle Seite der Erleuchtung
2019 starb Sogyal Rinpoche, einer der bekanntesten spirituellen Lehrer. Der Kopf der Rigpa-Organisation wird verehrt. Eine Studie des Soziologen Werner Vogd analysiert die Machtstrukturen der Gruppe.
Dass die Administration eine Gratwanderung ist, weiß auch Nils Horn mit seiner Facebook-Gruppe. Er glaubt aber, dass eigene Korrekturen und die der Mitleser ausreichend seien, um sich ein ausgewogenes Bild von der Sache zu machen. Und manchmal geht es auch nicht nur um kleine buddhistische Gruppen.
Horn sagt: "Es handelt sich hier um große buddhistische Gruppen. Und da finde ich wichtig, dass da eine Diskussion stattfindet. Dass nicht der Buddhismus sich in verschiedene Gruppen aufspaltet, die sich gegenseitig bekämpfen, sondern dass die in eine Diskussion miteinander kommen. Das ist für mich der zentrale Ansatzpunkt."
Hendrik Hortz hingegen glaubt nicht an den Dialog mit problematischen Gruppen.
Schwarmintelligenz ist kein Selbstläufer
Um für Aufklärung zu sorgen, hat der Buddhist nun eine nichtkommerzielle Website gegründet, die aus seiner Sicht unproblematische Meditationsangebote für einzelne Städte auflistet: https://meditieren.tips/.
"Es geht uns allein darum, dass wir Angebote empfehlen, die wirklich dazu geeignet sind, Meditation zu lernen und für den Menschen, der das lernen möchte, hilfreich ist."
Auch buddhistische Diskussionsgruppen in den sozialen Medien müssen sich entscheiden, welchen Weg sie wählen, um den Einfluss problematischer Gruppen zu beschränken: Entweder rigoroser Ausschluss, dann ist entspanntes und kritisches Diskutieren möglich, aber nur in der eigenen Filterblase. Oder die Leiter der Foren lassen problematische Gruppen und ihre Vertreter rein, inklusive deren Dauerwerbeschleife. Dann gibt es das Risiko, dass nicht alle das Treiben durchschauen und informierte Buddhisten genervt wegbleiben und immer mehr Problemgruppen andocken.
In der Gruppe, in der jeder ungefiltert posten kann, haben die fraglichen Accounts inzwischen ihre schärfsten Kritiker blockiert und die meisten kritischen Kommentare gelöscht. Die Geblockten können übrigens die Werbepostings nicht mehr lesen, kommentieren oder davor warnen. Ein Kritiker erhielt sogar eine Unterlassungserklärung vom Rechtsanwalt. Eine Schieflage ist entstanden. Nils Horn sieht darin, wie er auf Nachfrage sagt, kein Problem. Die Selbstkontrolle vor allem auf andere Mitleser zu verteilen, ist ein bequemer Weg auf Facebook und entspricht einem idealisierten Bild buddhistischer Gemeinschaften.