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Buddhismus
Die dunkle Seite der Erleuchtung

Ende August starb Sogyal Rinpoche, einer der bekanntesten spirituellen Lehrer. Der Kopf der Rigpa-Organisation wird noch immer hochverehrt, aber unvergessen sind auch die Skandale um ihn. Eine neue Studie des Soziologen Werner Vogd analysiert die Machtstrukturen der Gruppe.

Von Mechthild Klein | 12.09.2019
Sogyal Rinpoche (†), Begründer der Rigpa-Organisation, einer der bekanntesten tibetisch-buddhistischen Gruppen im Westen
Der verstorbene Sogyal Rinpoche, Begründer der Rigpa-Organisation, in Berlin (Deutschlandradio / Mechthild Klein)
Sogyal Rinpoche ist der Begründer der Rigpa-Organisation, einer der bekanntesten tibetisch-buddhistischen Gruppen im Westen. Ende August ist der spirituelle Lehrer an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. In der Rigpa-Krise spielte er die zentrale Rolle. Ex-Schüler bezichtigten ihn öffentlich des körperlichen und geistigen Missbrauchs, Monate später trat der Meister ohne Schuldeingeständnis zurück. Das war vor 2 Jahren. Der Soziologe Werner Vogd hat sich eingehend mit dieser buddhistischen Richtung beschäftigt. Er möchte in seiner Analyse, die Denkmuster und Dynamiken für Machtmissbrauch entschlüsseln. Als er mit seiner Forschung zur Rigpa-Bewegung begann, war Sogyal Rinpoche noch in Amt und Würden. Aber schon damals gab es offenbar viele Mitwisser unter den Anhängerinnen, sagt der Wissenschaftler:
"Sie hatten zwischen Vertrauen und Misstrauen gependelt. Und fingen im Interview an: "Ja, da gibt es ein Problem, da wird von außen schlecht über uns geredet. Aber das kann nicht sein. Das ist ja ein erleuchteter wiedergeborener Meister und ich möchte das nicht glauben."
Wer kritisiert, steht auf einmal alleine da
Werner Vogd lehrt an der Universität Witten/Herdecke. In seinem Buch beschreibt er die Rigpa-Bewegung als ein System geprägt von Erwartungen, von Täuschung und Enttäuschung - Faktoren, die sich wechselseitig bedingen und stabilisieren. Der Meister arbeitete mit den Erwartungen und Enttäuschungen. Warum so viele Schüler trotz ihres Unbehagens nicht gegangen sind, das habe Gründe. Vogd sagt:
"...dass viele Menschen auch etwas sehr Wertvolles gewonnen haben. Also durch Rigpa, durch die Kurse, durch die Belehrungen vom Meister. Und stellenweise auch aus tiefen existentiellen Krisen herausgekommen sind. Dann ist natürlich diese Dankbarkeit. Und dann kann man nicht gleichzeitig Dinge glauben, die nicht passieren dürfen. Das ist ein ganz einfacher psychologischer Mechanismus. Das Fachwort ist kognitive Dissonanz. Und dann versucht man die eine Seite wegzuschieben, die man nicht haben möchte."
Wer etwas kritisiert, steht auf einmal alleine da. Alle sind dann gegen den oder die eine - solche Mechanismen habe die Gruppe entwickelt. Sogar auf sogenannten Informationsveranstaltungen zur Krise wurde Betroffenen geraten, das Geschehen für sich persönlich durchzuarbeiten, als spirituelle Aufgabe. Im Buch heißt es:
"Nicht der (vermeintliche) Täter erscheint als Problem, sondern die Menschen, welche mitfühlend an der Perspektive der Opfer teilhaben oder sich gar selbst getäuscht sehen. Was sich hier also diesseits des Schweigens zeigt, ist eine ontologische Verwirrung: Sachverhalte, die objektiv zu klären sind, werden subjektiviert. Die Subjektivität des Meisters – seine angebliche Heiligkeit – wird zur objektiven Tatsache verklärt. Das Schweigen schützt damit kein mystisches Geheimnis, sondern verhindert nur das Aufdecken einer Illusion. Das Tragische ist, dass mit diesem Arrangement auch die Spiritualität der Anhänger von Rigpa tiefgreifend korrumpiert wird."
Weil der Meister zu den Vorwürfen schweigt, müsse in der Organisation umso mehr gelogen werden, schreibt Vogd. Wenn Zweifel an seiner Aufrichtigkeit nur ein persönliches Problem des Schülers ist, dann kann der Meister machen, was er will. Selbst wenn er Schülerinnen drangsaliert - es wird ja berichtet von Gewalt und Schlägen – dann arbeitet der Meister nur mit ihnen, um ihr Ego aufzulösen, so die Binnensicht.
Aus Taten mach Erleuchtung
Im tantrischen Buddhismus nehmen Schüler das Gelübde auf sich, zu jedem Wesen Liebe und Mitgefühl zu entwickeln, in einer Sonderübung fangen sie an mit ihrem Meister als Hauptlehrer zu üben.
Vogd sagt: "Von der Grundidee ist das wunderbar, weil dann lerne ich, dass vielleicht Tiere, Hunde, auch Verbrecher und Mörder von ihrer Natur her leidende Wesen sind, zu denen ich Mitgefühl entwickele. Das ist eigentlich die Grundidee, dass man versucht, erst mal mit dem Lehrer das zu üben. Und wenn man das kann und sieht, er ist auch nur ein Mensch, hat Fehler, das auf andere zu übertragen. So das ist eigentlich diese tantrische Übung.
Es gibt nach Ansicht des Soziologen aber das fatale Missverständnis, dass der Schüler alle Handlungen des Lehrers als erleuchtet ansieht. So kommt es, dass die Schüler über ihren Guru denken: "Wenn der Meister Mist macht, lass ihn doch. Das gehört zum spirituellen Programm." - Die Übung werde nicht nur als Realität gedacht, sie sei Realität, sagt Vogd.
"Also wenn er jetzt jemanden schlägt. Dann heißt es, dann macht er was Tolles, um die Leute zur Erleuchtung zu führen. Das glauben dann leider viele. Und das ist natürlich Quatsch. Das können wir empirisch relativ gut sagen mit unseren Mitteln, dass auf die Weise niemand zur Erleuchtung gekommen ist. Sondern sie sind traumatisiert die Leute. Das geht leider genau in die gegenteilige Richtung. Aber durch dieses Missverständnis wollen die Leute einfach glauben, dass das was Gutes ist. Das das eine Tat ist, die die Menschen zum spirituellen Erwachen bringt."
"Die eigenen Projektionen hinterfragen"
Und weil die Anhänger eben auch gute Erfahrungen gemacht haben, schieben sie Irritierendes oder Verstörendes ständig zur Seite. Schon die Kursanfänger lernen das. Ein Unbehagen bleibt, auch bei Leuten, die schon 10 oder 15 Jahre dabei sind. Manchen sei das Abspalten dieser Beobachtung bewusst, aber sie wollten ihren Glauben nicht verlieren.
Vogd: "Ich sehe: Die Leute werden schlecht behandelt, den Leuten geht es eigentlich gar nicht gut, die schlecht behandelt werden von der Gruppe oder dem System. Aber jetzt muss ich eigentlich meinen eigenen Wahrnehmungen misstrauen und sagen, es sind eigentlich nur Projektionen, alles nur Illusionen. In Wirklichkeit ist das ein erleuchteter Meister."
Das Tragische sei: Je länger eine Anhängerin oder ein Anhänger da mitgemacht hat, um so mehr müsste er oder sie anerkennen, dass er selbst mitgespielt und das Lügengebäude gestützt habe. Auch deshalb fällt der Austritt so schwer. Dabei könnte die Grundidee hilfreich sein, meint Vogd: dass man seine Projektionen hinterfragt, indem man eigene Ängste, Wünsche, Begierden und Zweifel anschaut. Dann bräuchte man nicht so symptomatisch reagieren, sondern wäre wirklich frei – aus buddhistischer Sicht.
Stattdessen hörten die Rigpa-Anhänger: Du musst deine Zweifel überwinden, um dein Ego zu überwinden – das sei eine klassische Falle. "Die meisten Leute wissen ja gar nicht, was es heißt, das Ego zu überwinden. Sie haben eine Vorstellung, da kommt jemand, zerschlägt das Ego und dann bin ich befreit. Aber faktisch ist es ja so, umso mehr jemand auf einen drauf schlägt, umso mehr man misshandelt wird, umso mehr sammelt man wieder neue Traumata an. Die Befreiung – so wie ich sie verstehe – liegt wesentlich mehr darin, praktisch aus alten emotionalen Verstrickungen herauszukommen, um die Gegenwart, wie sie jetzt ist, sehen zu können. Und zu dem Sehen gehört auch ganz klar, vielleicht hat mein Lehrer Probleme."
Opfer tauschen sich im Internet aus
Vielleicht ist der Lehrer eben sexsüchtig und gewalttätig. Den Ausweg aus der Krise suchen derzeit unterschiedliche Gruppen bei Rigpa. Das hört auch mit dem Tod Sogyal Rinpoches nicht auf. Zum Beispiel die Aufarbeitungsgruppe "What now" - die Mitglieder tauschen sich im Internet aus.
Vogd sagt: "Die Gruppe erkennt an, dass es diese Missbrauchsgeschichten gibt. Sie versuchen erst mal sich selbst zu vergeben, dass sie sich so lange haben täuschen lassen. Versuchen aber auch gleichzeitig für sich Mitgefühl und für die anderen Opfer Mitgefühl zu entwickeln. Das ist eine sehr produktive Weise des Aufarbeitens."
Es gebe aber eine ganze Reihe von tibetisch-buddhistischen Lamas, die weitermachen wollen wie bisher. Auf Austritte und Kritik reagierten sie mit Strafreden und Drohungen, sagt Vogd. Auf Abtrünnige warten angeblich tantrische Höllen, wenn sie sich von ihrem Hauptlehrer abwenden. Doch nur die Person an Spitze auszutauschen – das hält Werner Vogd für zu wenig. Damit würde das alte System mit aller Anfälligkeit für Machtmissbrauch erhalten bleiben. Der Soziologe kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass auch die Dogmen und Tabus des tibetischen Buddhismus im Westen auf den Prüfstand gehören. Die wesentlichen Einsichten des tibetischen Buddhismus wären neu zu übersetzen.
Werner Vogd: Der ermächtigte Meister – Eine systemische Rekonstruktion am Beispiel des Skandals um Sogyal Rinpoche
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2019, 138 Seiten, 19,95 Euro.