Donnerstag, 25. April 2024

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Duale Karriere
Wie Spitzensportler sich durchs Studium kämpfen

Der Leistungssport ist eigentlich ein Vollzeitjob. Dennoch ist fast jeder zweite Olympiateilnehmende aus Deutschland an einer Hochschule eingeschrieben. Das bedeutet eine zeitliche Doppelbelastung, mit denen die Athletinnen und Athleten unterschiedlich gut klarkommen.

Von Simon Stolz | 15.04.2023
Fabienne Königstein bei den Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften in Braunschweig.
Marathonläuferin Fabienne Königstein hatte zu Beginn ihres Studiums Probleme mit der Vereinbarkeit von Studium und Leistungssport. (imago images)
Wie schwer Studium und Leistungssport vereinbar sein können, hat Langstreckenläuferin Fabienne Königstein selbst schmerzlich erfahren müssen:
„Im ersten Semester hat's mir auch die Wettbewerbssaison komplett zerhauen, weil ich einfach ziemlich kaputt war, sodass ich da keine gute Leistung bringen konnte.“
Während ihrer Sportkarriere hat Königstein insgesamt sechseinhalb Jahre an der Uni Heidelberg studiert. Vielen ihrer Kameraden ging es dabei ähnlich – auch sie kamen durch die Doppelbelastung an ihr Limit.
„Wer's probiert hat, Marathon zu laufen neben dem Studium oder Beruf, war nach einem halben Jahr verletzt. Weil du zwar die Trainingszeit noch unterkriegst, aber die Regenerationszeit fällt halt weg.“

Leistungssportlerinnen und -sportler haben keine Wahl

Richtige Pausen gibt es bei dem Pensum kaum. Doch die meisten Leistungssportler haben keine andere Wahl: Sie müssen sich während des Leistungssports auf den Berufseinstieg vorbereiten. Fast die Hälfte aller deutschen Olympia-Teilnehmer sind oder waren an einer Universität eingeschrieben. Bei der Umsetzung helfen sogenannte Karriereberater. Eine von ihnen ist Annika Reese am Olympiastützpunkt NRW/Rheinland. Ihre Aufgabe ist es, die Spitzensportler bei der Planung und Umsetzung der dualen Karriere zu unterstützen:
„Die Erfahrung, die wir machen, ist, dass es den Sportlern sehr bewusst ist, dass sie parallel was machen und nach der sportlichen Karriere ganz regulär in einen Beruf einsteigen müssen.“
Fast jeder Leistungssportler hat laut Annika Reese irgendwann Kontakt mit Karriereberatern. Ihre Erfahrung zeige, dass für die meisten Leistungssportler ein Studium neben dem Leistungssport gut möglich ist. In sportlich schweren Zeiten könne ein Studium auch Halt geben. Sie glaubt,…
„…dass sich das auch gut ergänzen kann. Wenn eine Verletzung da ist, dann gar nichts zu machen, das macht dann auch unzufrieden und ich glaube, das sehen die Sportler dann auch alle so.“

Schwethelm: Anfangs großer Respekt vor der Doppelbelastung

Diese Erfahrung hat auch der ehemalige Basketball-Nationalspieler Philipp Schwethelm gemacht. Anfangs hatte er noch großen Respekt vor einem Studium während der Leistungssportkarriere. Doch mit der Zeit lernt er, mit der richtigen Planung und dem richtigen Studium kann es gut gelingen. Um anderen Sportlern dabei zu helfen, schreibt er schon während seiner Karriere als Mitautor ein Buch - über die duale Karriere und die Vorbereitung auf das Leben nach dem Profisport.
„Da wollten wir einfach was schaffen, was Spielern hilft. Wo sie sich dann orientieren können, was gibt es für Möglichkeiten, um sich auf die Zeit nach der Karriere vorzubereiten.“
Auch bei ihm hat alles mit einem Karriereberater angefangen:
„In einem Sommer bin ich morgens aufgewacht und dachte, ich muss was machen, ich habe da Lust zu. Bin am selben Tag ins Leistungszentrum nach Köln gefahren und er hat mir das Studium empfohlen.“
Das Fernstudium ist extra für Spitzensportler ausgelegt: kaum Präsenzpflicht und Prüfungstermine, die mit dem Sport vereinbar sind. Durch die enge Zusammenarbeit der Hochschule mit dem Leistungssport konnte Schwethelm so das Studium und Basketball gut miteinander kombinieren.
„Da ging's dann um Kleinigkeiten, dass Prüfungen nicht am Wochenende geschrieben werden.“

Große Mehrheit glaubt, dass duale Karriere möglich ist

Insgesamt 80% der Sportler finden, dass eine duale Karriere im Leistungssport möglich sei. So eine Befragung der Stiftung Deutsche Sporthilfe von über 1.000 Athleten aus dem Jahr 2021.
Vor allem der Anteil der Studierenden wird im Leistungssport immer größer. Bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 waren laut Athleten Deutschland etwa 45 Prozent der deutschen Delegation aktive oder ehemalige Studenten.
Ein Grund für die hohe Studierendenquote ist die Flexibilität des Studiums: Mehr als 200 Kooperationsverträge hat der Deutsche Olympische Sportbund mit Hochschulen abgeschlossen. Diese sollen dabei helfen, Spitzensport und Studium besser kombinieren zu können. Trotzdem finden Spitzensportler an sogenannten Partnerhochschulen des Spitzensports überall unterschiedliche Bedingungen vor, kritisieren Sportwissenschaftler. Sportler seien deshalb weiterhin vom Wohlwollen einzelner Professoren abhängig.
„Man ist dann halt doch irgendwie eine kleine Ausnahme und die Profs wissen nicht so richtig, wie sie mit einem umgehen sollen“,
sagt auch Marathonläuferin und Athletensprecherin Fabienne Königstein. Auch ihre Uni gehörte theoretisch zu den Partnerhochschulen, in der Praxis hatte sie aber nicht viel davon. So stoßen viele Athleten trotz Beratung und Unterstützung auf Probleme.
Die Kommunikation könnte generell noch besser werden, findet auch Rennrodlerin Dajana Eitberger von „Athleten Deutschland“. Sie ist bei der unabhängigen Athletenvertretung Teil der AG „Duale Karriere“ und spricht dort die Probleme aus Sicht der Athleten an. Auch viele Trainer und Verbände hätten zu wenig Verständnis für die Situation der Sportler, meint Eitberger.
„Von daher glaube ich schon, dass es sehr viel Potential im Bereich der Kommunikation gibt. Das heißt, dass Verbände, Trainer und alle Sportfunktionäre verstehen, dass das Thema duale Karriere unfassbar wichtig ist und den Athleten einen gewissen Sicherheitsaspekt gibt.“

Wintersportler vor besonderer Herausforderung

Insbesondere Wintersportler haben wegen der langen Abwesenheitszeiten während ihrer Weltcupsaison große Probleme einem geregelten Studium nachzugehen. Viele Sportler fühlen sich deshalb irgendwann gezwungen, sich zwischen der sportlichen und beruflichen Karriere zu entscheiden.
Ein weiteres Problem ist die finanzielle Unterstützung. Denn die bereits erwähnte Studie der Deutschen Sporthilfe zeigte auch: Ein Drittel aller Sportler kann sich wegen des niedrigen Einkommens nicht genug auf den Sport konzentrieren. Viele junge Athleten fragen sich deshalb, ob sie nicht lieber mit dem Leistungssport aufhören sollten, erzählt Dajana Eitberger.
„Da wird es für jemanden, der von einer kleinen Summe im Monat lebt und nicht mal nebenbei etwas ansparen kann, echt schwer, wenn man Lebensunterhalt und Sport in einer Summe miteinander kombinieren muss.“
Der Bund hat erst in den vergangenen Jahren die Grundförderung an Nachwuchs- und Spitzenathleten substanziell erhöht. Ob es in den kommenden Jahren eine weitere finanzielle Erhöhung geben wird, ist fraglich. Dajana Eitberger erhofft sich diese trotzdem. Denn nur ohne Geldsorgen könne eine berufliche Ausbildung für Leistungssportler problemlos funktionieren.