Schwarzer Schiedsrichter
Ein historisches Vorbild in der englischen Premier League

Mehr als vierzig Prozent der Spieler in der englischen Premier League sind Schwarz. Doch die Führungspositionen in Vorständen, Schiedsgerichten oder Sponsoren werden meist von weißen Männern besetzt. Aktivisten, die sich seit Jahren für mehr Vielfalt einsetzen, haben nun einen Fürsprecher mehr: den Schiedsrichter Sam Allison.

Von Ronny Blaschke |
Sam Allison pfeift die Premier-League-Partie zwischen Bournemouth und Luton Town.
Sam Allison pfeift die Premier-League-Partie zwischen Bournemouth und Luton Town. (IMAGO / Pro Sports Images / IMAGO / Graham Hunt)
Der 26. Dezember 2023 ist ein historischer Tag. Sheffield United spielt gegen Luton Town. Und Sam Allison pfeift sein erstes Spiel in der Premier League. Er ist damit erst der zweite Schwarze Schiedsrichter in der Geschichte der englischen Spitzenliga, die vor 32 Jahren gegründet wurde.
Sam Allison ist 43 Jahre alt. Er war ein guter Fußballer, aber kein sehr guter. Erst am Ende seiner aktiven Zeit, mit Anfang 30, entscheidet er sich für das Schiedsrichterwesen. Er bildet sich fort, wird befördert, pfeift schnell in höheren Klassen. Seinen Lebensunterhalt verdient Allison lange als Feuerwehrmann.
So wird er zu einem Vorbild für andere, sagt Joel Mannix, der Gründer eines Netzwerks für Schwarze und asiatischstämmige Schiedsrichter: „Ich kenne Sam persönlich, und ich weiß, dass er sehr hart gearbeitet hat. Leider gibt es noch immer sehr viele Barrieren. Wir sollten die Rekrutierung verändern und die Talente langfristig in den Strukturen halten. Dann wächst auch die Repräsentation. Wenn man keine Schwarzen Schiedsrichter in der Öffentlichkeit sieht, dann fehlen den jungen Leuten die Vorbilder.“

Der Druck kann entmutigen

Joel Mannix und seine Mitstreiter haben Zahlen für die höchsten Ligen des englischen Fußballs recherchiert: In den vergangenen fast 150 Jahren waren dort lediglich neun nicht-weiße Schiedsrichter aktiv. Die Interessenvertretung rund um Mannix veranstaltet nun Konferenzen für mehr Diversität. So zum Beispiel im Stadion von Aston Villa in Birmingham. Im VIP-Raum sprechen Schwarze Schiedsrichter und Schiedsrichterinnen aus unterschiedlichen Ligen über ihren Alltag. Über Zuschauer auf dem Land, die Bierflaschen werfen. Über Platzwarte, die nach rassistischen Anfeindungen keine Polizei rufen wollen. Über musternde Blicke und abfällige Handbewegungen.
„Mit 16 Jahre habe ich mein erstes Spiel bei den Erwachsenen gepfiffen. Das war entmutigend. Trotzdem wollte ich als Schiedsrichter in die Premier League“, erzählt Ashley Hickson-Lovence, 33, und berichtet von seinen Anfängen als Schiedsrichter. Und von seinem großen Vorbild: Uriah Rennie ist bis zu seinem Rücktritt 2008 der einzige Schwarze Schiedsrichter der Premier League.
Hickson-Lovence kann sich mit Rennie identifizieren. Beide haben Vorfahren in der Karibik und erleben früh Rassismus. Beide stoßen als Schiedsrichter auf „Unconscious Bias“, auf unbewusste Voreingenommenheit. „Es gibt eine kleine Zahl von Schiedsrichter-Beobachtern, die unsere Leistungen bewerten und die rassistisch sind“, sagt Hickson-Lovence. „Wenn ich als Schiedsrichter unter Beobachtung stand, hatte ich das Gefühl, dass ich dreimal so hart arbeiten musste wie meine weißen Kollegen. Wenn ich nicht beobachtet wurde, hatte ich eine tolle Zeit. Dieser Druck kann langfristig demoralisierend sein. Man verliert das Selbstvertrauen.“

Ein Roman über das große Vorbild

Ashley Hickson-Lovence will sich diesem Druck nicht mehr aussetzen. Nach elf Jahren als Schiedsrichter pfeift er 2019 sein letztes Spiel. Hauptberuflich ist er als Autor tätig. In seinem Roman „Your Show“ verbindet er die Biografie von Uriah Rennie mit fiktionalen Elementen und seinen eigenen Erfahrungen. Und in seiner Freizeit ist Hickson-Lovence nun selbst als Schiedsrichter-Beobachter unterwegs. Er sagt: „Gleich nach meinem letzten Spiel als Schiedsrichter habe ich Emails verschickt und gefragt: Wie kann ich ein Beobachter werden? Nach all den Jahren war ich es leid, dass ältere weiße Männer mich weniger nach Leistung, sondern nach Aussehen bewerten. Ich möchte dazu beitragen, dass sich das ändert.“
Ashley Hickson-Lovence trägt einen FA-Trainingsanzug und blickt lächelnd in die Kamera.
Ashley Hickson-Lovence hat elf Jahre lang Fußballspiele als Schiedsrichter geleitet. Mittlerweile verdient er sein Geld als Autor, außerdem ist er Schiedsrichter-Beobachter. (Foto: Ronny Blaschke)
Seit einigen Jahren entwickeln Verbände und Vereine in England Konzepte und Kampagnen, um die Vielfalt auch jenseits der Spielfelder zu erhöhen. Doch noch immer sind Schwarze Menschen in etlichen Bereichen unterrepräsentiert: in Trainerstäben und Sportmedizin, bei Sponsoren und Fußballmedien. Doch vielen Aktivisten geht der Wandel nicht schnell genug. Sie haben eigene Netzwerke gegründet, in denen sie sich sicherer und selbstbewusster fühlen. Netzwerke für Schwarze Schiedsrichter, Führungskräfte oder Sportjournalisten.

Netzwerk will Veränderungen vorantreiben

Ein Wegbereiter dafür ist der langjährige Reporter Leon Mann, er sagt: „Mehr als zehn Jahre standen wir außerhalb des Systems und haben Forderungen gestellt. Aber wir kamen zu der Einsicht, dass wir in die Strukturen hineingehen müssen, um die Kultur zu verändern. Die Führungskräfte im Fußball sollen merken, dass wir ungeduldig sind. Es reicht auch nicht, dass die Klubs ihre Maßnahmen für Vielfalt auf die Webseite stellen und dann abwarten. Wir müssen raus in die Communitys und unsere Pläne genau erläutern.“
Journalist Leon Mann, Mitgründer der Plattform "Football Black List", lächelt in die Kamera.
Der Journalist Leon Mann hat die Plattform "Football Black List" mitgegründet. Er setzt sich für eine Veränderung in der englischen Fußballkultur und die Teilhabe Schwarzer Menschen ein. ((Foto: Ronny Blaschke))
Leon Mann ist einer der Gründer der „Football Black List“. Dieses Netzwerk will über symbolische Aktionen gegen Rassismus hinausgehen. Mit Workshops, Stipendien, Mentoren-Programmen. Damit nicht wieder Jahre vergehen müssen, bis der nächste Schwarze Schiedsrichter in die Premier League vordringt.